Siegen/Freudenberg. Ein Überfall in Freudenberg wirft im Amtsgericht viele Fragen auf. Zwei Männer bedrohen den Angeklagten in seiner Wohnung, dieser greift sie an

Amtsrichterin Jennifer Hennrichs hat spürbar mit der Entscheidung zu kämpfen. Die Frage „Wer ist Täter, wer ist Opfer?“ ist an diesem Verhandlungstag nicht so leicht zu beantworten. Schließlich verhängt sie fünf Monate mit Bewährung wegen zweimal gefährlicher Körperverletzung gegen den Angeklagten W. aus Freudenberg. Dieser verabschiedet sich mit einem „Einspruch“.

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Freudenberger hatte Todesangst

„Ich bin das Opfer“, hatte der 31-Jährige zuvor mehrfach gesagt. In den frühen Morgenstunden des 19. Januar tauchten zwei Männer bei ihm auf, „klingelten Sturm“ und bedrohten ihn mit einem Elektroschocker. Einer habe ihn umbringen wollen, habe er zuvor gehört. „Ich hatte Todesangst“, sagt W. Er sei schließlich in purer Verzweiflung mit einer Hantelstange zur Tür gelaufen und habe sich wehren wollen. Nach einem Taserangriff will er dem Besitzer des Schockgerätes auf den Arm geschlagen haben. Dabei sei der Taser beschädigt worden. „Der zweite Mann wollte mich von hinten herumreißen, der hat ein paar Mal meinen Ellbogen bekommen“, berichtet der Angeklagte. Es sei nicht der erste Besuch gewesen. Davor hatte es einen Zusammenstoß mit dem jüngeren Bruder des Mannes gegeben. Dem hatte W. bei anderer Gelegenheit „ein paar Backpfeifen versetzt“. Der Bruder habe sich rächen wollen.

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Amtsrichterin Jennifer Hennrichs erinnert sich an die Sache, hat W. damals auch schon zu einer Geldstrafe verurteilt und macht noch einmal deutlich, „dass es in Deutschland nun einmal keine Selbstjustiz gibt. Ich habe Ihnen damals schon gesagt, sie sollen die Polizei rufen!“ Die beiden nächtlichen Besucher bekunden übereinstimmend, von W. mit der Hantelstange geschlagen worden zu sein. Sie seien vom Verbrennen der Weihnachtsbäume gekommen, „gut alkoholisiert“, als der jüngere G. (24) auf die Idee kam, mit W. „eine Sache zu klären“. Die angeblich friedliche Absicht wird für die Vorsitzende durch das Mitführen des Tasers unglaubwürdig. Der Zeuge spricht etwas hilflos von einer „Dummheit“, behauptet allerdings fest, nie Drohungen ausgestoßen zu haben. Was von einer Bekannten beider Parteien später glaubhaft widerlegt wird.

Richterin in Siegen zeigt Verständnis

Der Begleiter an jenem Morgen war der frühere Chef des G., der die ganze Sache „völlig falsch und daneben“ fand, sie seinem Ex-Azubi aber nicht ausreden konnte. „Ich bin zum Händchenhalten mitgegangen“, sagt der Handwerker. Er trug eine Platzwunde davon, „die zweimal genäht werden musste“.

W. betont noch einmal seine Angst und Panik, steht auf und zieht sein Hemd hoch. „Wenn ein 20-Jähriger Sie abstechen wollte, würden Sie auch anders reden“, ruft er der Richterin zu, die sich mehrfach einen anderen Ton erbittet, aber Empathie für W. zeigt.

Unhaltbare Vorwürfe

Zunächst war W. angeklagt, mit dem Taser einen Finger des G. verbrannt zu haben. Das ist schnell vom Tisch, da keiner der Zeugen sich daran erinnert.

Der erklärt noch, aus Furcht keine Nacht mehr in seiner Wohnung zu bleiben. „Auch meinen Sohn kann ich da nie mehr haben“, schüttelt er den Kopf. Das sei ihm zu gefährlich. „Ich kann das alles nachvollziehen und verstehe Sie auch“, gibt Jennifer Hennrichs zurück. Erklärt dann aber, dass menschliches Empfinden und gesetzliche Vorschriften nicht immer deckungsgleich seien. Dass Notwehr nur in engen Grenzen gegeben sei und nicht jedes Mittel erlaubt sei. Hier hätte es aus ihrer Sicht für W. gereicht, die Tür geschlossen zu halten und die Polizei zu rufen. Dennoch nimmt sie am Schluss einen minderschweren Fall an und hält dem Angeklagten viele mildernde Umstände bei ihrem Urteil über fünf Monate zu Gute.

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