Kreuztal. Janet und Guido Bingener führen den Familienbetrieb in der dritten Generation. Sie wünschen, dass die Politik auch auf die „Kleinen“ hört.

Mit 13 Jahren sah Janet Bingener eine Dokumentation über einen Schlachtbetrieb. Die darin gezeigten Zustände für Mensch und Tier fand die Fleischertochter derart schlimm, dass sie ein halbes Jahr kein Fleisch mehr aß. Das ist 14 Jahre her – was in der Fleischindustrie passiert, ist also lange bekannt, sagt Janet Bingener. In der familiengeführten Metzgerei versuchen die Bingeners, das Fleischer-Handwerk hochzuhalten.

Wurst und Käse

Inhaber Guido Bingener führt das Familienunternehmen in dritter Generation. Seit 15 Jahren hat die Feinkostfleischerei in der Marburger Straße in Kreuztal ihren Sitz. Darüber hinaus bietet die Metzgerei ihre Produkte auf den Wochenmärkten im Siegerland an. Der Fleischkonsum habe sich schon verändert, stellt der Fleischermeister fest, viele Kunden kauften weniger, aber dafür besseres Fleisch.

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Aber längst nicht jeder: „Wenn alle, die sagen, dass sie darauf achten, auch darauf achten würden, dann ginge es uns gut“, sagt Guido Bingener. Die Zahlen und Fakten sprächen aber leider eine andere Sprache.

15 Mitarbeiter arbeiten für das Familienunternehmen, auch die Bauern und Schlachtbetriebe, bei denen Bingener einkauft, seien eher klein, sagt Janet Bingener. „Wir wissen, wo alles herkommt“, stellt sie klar. Das merke der Kunde auch an der Qualität des Produktes, außerdem erhalte er im Geschäft eine gute Beratung. Der Kundenkreis sei relativ klein, dafür kenne das Team die Vorlieben. „Das ist, was die Kunden schätzen.

Volle Transparenz

Auf der Homepage, bei Facebook, auf Flyern und beim Gespräch im Laden klärt das Team der Metzgerei die Kunden auf Wunsch lückenlos über der Herkunft des Fleisches auf.

So kommt das Schweinefleisch beispielsweise exklusiv von einem Bauern im Kreis Borken, der die Tiere ausschließlich gentechnikfrei mit Futter aus eigenem Anbau versorgt. Die Schweine werden dort geboren und artgerecht aufgezogen. Der Tiertransport zum Schlachthof beträgt nur 10 Minuten.

Die Kreuztaler Metzgerei hat eine eigene App fürs Smartphone, die unter anderem aktuelle Angebote, die Mittagstischkarte und die Möglichkeit zur Online-Bestellung bietet.

Über 90 Prozent ihrer Wurstwaren stellt die Metzgerei selbst her und versucht dabei möglichst auf sämtliche Zusatzstoffe zu verzichten. Viele Kunden haben mit Allergenen zu kämpfen, bei Bingener können sie trotzdem problemlos passende Wurstprodukte finden. Ginsalami oder die „Tussi-Bratwurst“ mit roter Beete finden sich gelegentlich im Angebot der Metzgerei, oder auch Leerdamer mit Tomate und Basilikum, denn auch Käsespezialitäten gibt es bei Bingener. „Wir versuchen stetig besser zu werden in allem, das macht uns aus“, sagt Janet Bingener.

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Catering und Corona

Die Auswirkungen der Coronakrise sieht Janet Bingener zwiegespalten. Die Einnahmen aus Catering und Mittagstisch sind stark zurückgegangen. Normalerweise bietet Bingener Partyservice für bis zu 400 Personen an. Dieser Geschäftszweig ist komplett weggebrochen. „Sehr traurig, für Hochzeitspaare aber noch mehr als für uns“, sagt Janet Bingener. Auch der Mittagstisch konnte zunächst gar nicht mehr, und jetzt mit weniger Gästen stattfinden. „Normalerweise ist es ein Treffpunkt“, sagt Janet Bingener. Viele Rentner, die sonst alleine zuhause sind, kämen ins Geschäft und säßen dann zusammen an den Tischen zum gemeinsamen Essen. Das geht noch nicht wieder.

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Der Verkauf von Fleisch, Wurst und Käse sei zu Beginn der Krise aber sogar gestiegen und auch der Online-Handel – Bingener verkauft seine Produkte über die lokale Plattform Lozuka“ – sei gewachsen. Mittlerweile jedoch seien wiederum die Auswirkungen der Kurzarbeit spürbar – und die des Fleischskandals. Kurzarbeit gibt es bei Bingener nicht, nur die Öffnungszeiten wurden leicht angepasst. Aktuell geht es dem Betrieb gut, auch wegen der Soforthilfe. Trotzdem stellt sich Janet Bingener die Frage: „Was, wenn die Leute kein Geld mehr haben, um sich teures Fleisch zu leisten?“.

Handwerk und Industrie

Während sie mit der Unterstützung in der Coronakrise zufrieden ist, fühlt sich Janet Bingener in Bezug auf die Fleischindustrie von der Politik alleingelassen. Alle Gesetze , die zum Beispiel in den vergangenen Jahren von der EU kamen – und die sie zum Teil auch für gut und wichtig hält – seien nur auf größere Betriebe zugeschnitten. Die Strukturen in Industrie und Handwerk seien völlig unterschiedlich, trotzdem würden beide über einen Kamm geschoren. Auch an den Gesprächen nach dem neuerlichen Skandal aus dem Hause Tönnies seien fast keine Vertreter des Handwerks beteiligt. „Sie müssen auch den Kleinen zuhören“, fordert Janet Bingener von der Politik.

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„Wenn ich den Preis im Supermarktregal sehe, blutet mir das Herz“, sagt Janet Bingener. Wenn sie nur die Alternative Supermarkt hätte, würde sie auf Fleisch verzichten, sagt die heute 27-Jährige. Als sie 13 war, fing sie erst dann wieder mit dem Fleischkonsum an, als ihre Eltern ihr zeigen konnten, wo ihre Produkte herkamen – vom Bauernhof und nicht aus Massentierhaltung. „Wenn man Fleisch ist, dann nur von Tieren, die respektvoll behandelt wurden“, sagt sie. Immerhin hat der erneute Skandal wieder einige Menschen zum Nachdenken gebracht. Einmal im Monat verkauft die Metzgerei Bio Bentheimer Schweinefleisch. „So schnell war es noch nie weg“, berichtet Guido Bingener vom Verkauf in der Woche nach dem Bekanntwerden des Tönnies-Skandals.

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