Siegen. Gastspiel in Siegen: Das Deutsche Theater Berlin hat den Roman von Albert Camus als Einpersonenstück inszeniert.

„Unsere Mitbürger waren nicht schuldiger als andere. Sie vergaßen einfach nur, bescheiden zu sein, und sie dachten, alles sei für sie noch möglich.“ Mit diesen Worten beginnt Nobelpreisträger Albert Camus seinen Roman „Die Pest“, den er 1947 veröffentlicht hat und der nach wie vor zur Pflichtlektüre in den Schulen Frankreichs gehört.

Und damit beginnt auch die Theaterfassung des Romans aus dem Deutschen Theater Berlin, die das Apollo-Publikum für knapp 70 Minuten in Atem halten wird. Und manchmal meint man, Albert Camus habe „Die Pest“ im Jahr 2020 geschrieben – so beängstigend aktuell wirkt das Geschehen auf der Bühne des Siegener Theaters.

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Die Krankheit verschont niemanden

Denn die Krankheit in der algerischen Küstenstadt Oran beginnt scheinbar harmlos, weil anfangs nur Ratten merkwürdige, beunruhigende Symptome haben, an denen sie sterben. Doch sehr schnell springt die Krankheit auf Menschen über: Hohes Fieber, Erbrechen, Tod nach kurzer Zeit. Dafür gibt es nur einen Namen: Pest. Beschwichtigungen der Präfektur, das sei doch alles nicht so schlimm - Trump, Bolsonaro, Johnson lassen grüßen – werden von der Wirklichkeit überrollt. Stadttore müssen geschlossen werden, Menschen werden in einem Stadion interniert, gigantische Krankenhäuser eingerichtet und später Massengräber. Auch Kinder verschont die Krankheit nicht. Ebenso wenig wie einen Jesuitenpater, der die Pest als Strafe Gottes ansieht und einen Bet-Marathon veranstaltet.

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Nach 320 Tagen verliert die Pest an Wucht und scheint zu verschwinden. Zu den wenigen Überlebenden gehört Dr. Rieux, der zwar Kontakt mit vielen Kranken und Sterbenden hat, selbst aber nicht infiziert wird. Aber der Mediziner weiß, dass der Kampf gegen die Seuche aussichtslos ist, solange kein Impfstoff gefunden ist.

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Uraufführung im November 2019

Diese Theaterversion des Romans wurde im November 2019 in Berlin uraufgeführt. „Die Pest“ von nur einem Schauspieler darstellen zu lassen, erweist sich auch ohne die aktuellen Pandemieregeln als Glücksgriff. Denn Bozidar Kocevski schafft es, über zehn beteiligten Figuren des Romans Leben einzuhauchen. Seine Hauptrollen sind dabei natürlich die des Erzählers und des Doktors. Aber auch die des Tarrou, seines jungen Nachbarn, des Journalisten Rambert, des Richters Othou, der seinen Sohn retten möchte: Die Szene, in der Kocevski den Kinderstuhl des Kleinen minutenlang hochhält, um ihn dann doch resignierend sinken zu lassen – da war das Kind schon gestorben – , gehört zu den berührendsten Szenen des Abends.

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Am Ende sind fast alle tot

Wohltuend minimalistisch, aber dadurch besonders wirkungsvoll ist das Bühnenbild. Zunächst sind es nur zwei Stühle, aus denen dann 13 werden, wobei jeder für eine Romanfigur steht. Am Ende des Stücks liegen sie fast alle. Jeder symbolisiert ein Pestopfer.

Betörend schön wirkt der Einfall der Regie, minutenlang silberne Partikel einem sanften Regen gleich auf die Bühne schweben zu lassen. Der sehr lange Beifall des Publikums, noch verstärkt mit Bravo-Rufen, gilt vor allem Bozidar Kocevski und einer Inszenierung von ungewollter, aber atemberaubender Aktualität.

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