Netphen. Die Netphener Verwaltung legt ihren Integrationsbericht für 2019 vor: Es gibt Konflikte, aber auch Erfolgsgeschichten.
Der jährliche Integrationsbericht der Stadt Netphen, den Fachbereich Soziales, Familienbüro und Schulsozialarbeit herausgeben, beginnt mit einem doppelten Dank: an die, die „ihre persönlichen Lebensräume öffnen und Teilhabe auf vielfältige Weise praktizieren“. Und an die, „die Netphen als neues Zuhause annehmen und dieses aktiv mitgestalten“. Letztere sind die – zum Jahresbeginn – 428 Menschen mit Fluchtgeschichte, die in der Stadt leben. „Der Unterstützungsbedarf gestaltet sich intensiver, der Beratungsbedarf tiefgreifender. Die Anliegen und Problemlagen haben sich summiert, verdichtet und in Teilen inhaltlich verlagert.“
Das ist eine Auswahl von zehn Feststellungen aus dem Integrationsbericht, der dem Sozialausschuss zu seiner Sitzung am Mittwoch, 18. März, vorgelegt wird::
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1. Planbar ist der Betreuungsaufwand nicht. Der Stadt wurden seit November keine Geflüchteten mehr zugewiesen. Rechnerisch hat die Stadt aber ihre Aufnahmeverpflichtung nicht erfüllt. Sie müsste noch 17 Flüchtlinge aufnehmen und 139 Personen, die ein Bleiberecht haben, das mit einer dreijährigen Wohnsitzauflage in Netphen verbunden wird.
2. Menschen kommen nicht nur, sie gehen auch. 19 sind nicht regulär weggezogen oder abgeschoben worden, sondern „untergetaucht“. Das, so Sozialarbeiterin Anna Nell, belastet Schulklassen, „wenn Kinder von einem auf den anderen Tag ‘weg’ sind. Aber auch, die verlassene Wohnungen räumen, verwaiste Bankkonten auflösen und Mobiltickets kündigen müssen.
3. Wer einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat oder erwarten kann, macht sich selbstständig, sucht Arbeit und Wohnung. Von 57 Männern, die noch auf den Abschluss ihres Verfahrens warten, haben 34 einen Arbeitsplatz – das Klischee vom „ewigen Leistungsempfänger“ treffe nicht zu, betont der Bericht. Umgekehrt sei ein ungesicherter Status „extrem belastend“.
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4. Psychische Probleme nehmen zu. Sie werden zum einem mit der Fluchtgeschichte mitgebracht, zum anderen entstehen sie, weil Perspektiven fehlen: zum Beispiel bei Personen, die in das erste EU-Land zurückgeschickt werden, in das sie eingereist sind -- die so genannten „Dublin-Fälle“. Es entsteht Therapiebedarf, Suchtprobleme treten auf, es kommt zu Auseinandersetzungen in den Unterkünften.
5. Kinder haben einen ausgefüllten Tag. Für 62 Prozent der 62 Minderjährigen werden Leistungen für Bildung und Teilhabe in Anspruch genommen. Dass die Aktivität in Vereinen weniger dazu gehört, ist für die Sozialarbeiterin nachvollziehbar: Die meisten Kinder sind bis 16.30 Uhr in der Schule oder in der Kita. Dass für anderes dann wenig Zeit bleibe, sei „Ausdruck der hohen Bildungsorientierung der Eltern zugunsten ihrer Kinder“.
Zahlen
428 Personen mit Fluchtgeschichte lebten zu Jahresbeginn in Netphen, davon 93 Asylbewerber, 153 Geflüchtete, 82 mit Schutzstatus und 100 mit Duldung.
193 Personen haben Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, darunter 81 männliche und fünf weibliche Einzelpersonen, drei Ehepaare, 14 Familien mit Kindern und neun alleinerziehende Frauen.
36 Personen kommen aus Afghanistan, 24 aus Nigeria, 22 aus dem Irak und 20 aus Armenien – das sind die Hauptherkunftsländer.
49 Personen, darunter vier Neugeborene, wurden der Stadt 2019 als Flüchtlinge neu zugewiesen – darunter auch einige, deren „Rückführung“ bereits feststand.
6. Für Leiharbeit ist die Bürokratie zu langsam. Für viele sei Leiharbeit ein attraktiver Einstieg ins Erwerbsleben, heißt es in dem Bericht. Die Branche fordere schnelle Einsatzfähigkeit, die Genehmigung durch die Ausländerbehörde brauche aber zwei bis vier Wochen. Bei den Betroffenen führe das zu „hohem Frust und Resignation“.
7. „Wohnungssuche verlangt einen langen Atem.“ So steht es wörtlich im Integrationsbericht. Hautfarbe, Religion, Kinderzahl und Herkunftsland könnten, „nicht nur auf dem Wohnungsmarkt“, zu sozialer Benachteiligung führen – selbst dann, wenn die Suchenden in Nachbarschaften, Vereinen und Schulgemeinden integriert seien.
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8. In den Gemeinschaftsunterkünften eskalieren Spannungen: zwischen denen, die raus wollen und nicht können, und denen, die sich nach mehrjährigem Aufenthalt abgefunden haben. „Ein Streben nach privatem Wohnraum ist nicht erkennbar, die Fähigkeit dazu eingeschränkt, teils durch (massiven) Drogengebrauch und fehlende Sprach- und Schreibkenntnisse, teils aber auch bewusst gewählt.“
9. Erfolgsgeschichten müssen unbekannt bleiben. Sozialarbeiterin Anna Nell berichtet über eine Vielzahl von Personen, die eigene Förderwege in Sachen Sprache und Beruf entdeckt haben, privat wohnen und allenfalls noch ergänzende Leistungen von der Stadt beziehen. „Die Stadt Netphen erhebt nur die Daten, die zur Erfüllung ihrer Integrationsaufgaben absolut notwendig sind – auch geflüchtete Menschen haben ein Recht auf ‘Nichtöffentlichkeit’.“
10. Die Konflikte an den Grundschulen sind groß. „Das Verständnis für kulturelle Unterschiede, sprachliche Barrieren und auch Traumatisierungen erschweren die Integration sehr“, berichten die Schulsozialarbeiterinnen, „des Weiteren führt auch Mobbing von Kindern mit Fluchthintergrund zu vermehrten Konflikten.“
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