Siegen. Siegerländer Model und Fotografin Silvana Denker spricht im Interview über ihren Weg zu mehr Selbstbewusstsein und „No Body is perfect“
Für ihre „BodyLove“-Kampagne erhielt Plus-Size-Model und Fotografin Silvana Denker vor einigen Jahren viel Aufmerksamkeit und Zuspruch, zuletzt war sie in der TV-Sendung „No Body is perfect“ zu sehen. Mit beiden Aktionen stellt sie sich dem „verzerrten Körperbild“ der Gesellschaft entgegen, unter dem sie selbst lange leiden musste. Im Gespräch mit Tim Haacke erzählt Denker, wie sie Kraft aus leidvollen Erfahrungen schöpft und von den Dreharbeiten.
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Früher haben Sie Ihren Körper gehasst und hatten Essstörungen. Wie haben Sie es geschafft, das abzulegen?
Silvana Denker: Das war ein sehr langer Prozess. Es hat locker 12 bis 15 Jahre gedauert, bis ich wirklich an den Punkt gekommen bin zu sagen: Ich bin gut so wie ich bin. Ich war in der Schule immer eine Außenseiterin. Ich war nicht nur unzufrieden mit meinem Körper, ich habe mich wirklich gehasst und mir gewünscht, jemand anderes zu sein. Durch Mobbing und Ausgrenzung wurde das noch verstärkt, so kamen auch die Essstörungen. Angefangen hat mein Prozess, als ich als Plus-Size-Model angefangen habe. Ich durfte so viele tolle Menschen kennen lernen. Models, die mit Kleidergröße 48 in einen Raum kommen und einfach strahlen und so wunderschön sind. Dadurch wurde mir zum ersten Mal bewusst: Hey, Schönheit ist keine Kleidergröße.
Wie schaffen Sie es, selbstbewusst zu bleiben und nicht in alte Muster zurückzufallen?
Ich habe bewusst an mir gearbeitet. Ich versuche, mich nicht mehr zu vergleichen, sondern zu gucken: Was gefällt dir eigentlich an deinem Körper? Statt mir immer zu sagen, was die negativen Aspekte sind. Am meisten geholfen haben mir letztendlich meine eigenen Kampagnen, BodyLove ganz besonders. Ich habe so viel Liebe von Menschen auf der ganzen Welt bekommen, die ich vorher nie erlebt habe. Da habe ich dann gedacht: Du bist doch ganz gut so wie du bist. Vorher habe ich mir immer die Frage gestellt, was falsch an mir ist, warum mich keiner mag und warum ich so ein Außenseiter bin. Heute weiß ich, ich bin richtig so wie ich bin.
Steckbrief
Silvana Denker wurde am 11. August 1984 geboren.
Die gebürtige Siegerländerin studierte Fotodesign und war von 2015 bis 2017 Teil einer Studiogemeinschaft mit mehreren Fotografen in Netphen.
Ihre Modelkarriere begann nach eigener Aussage zufällig.
Sie haben eine schwierige Operation hinter sich und seitdem eine große Narbe. Wie kam es dazu?
Ich bin ins Krankenhaus gekommen, weil ich Bauchschmerzen hatte. Zuerst wurde eine chronische Darmerkrankung festgestellt, wegen der ich zigmal im Krankenhaus war und zufällig haben sie dann entdeckt, dass ich in der Leber zwei große Tumore habe. An der Uniklinik Essen wurde mir dann gesagt, dass ich entweder Krebs habe oder ein Adenom. Beides ist lebensgefährlich und muss so schnell wie möglich operiert werden. Da sitzt man erstmal da wie vor den Kopf geschlagen. Anderthalb Wochen später ging es los. Das war eine riskante Operation und ich habe viel Blut verloren. Das hätte auch anders ausgehen können. Davon habe ich die große Narbe und auch ein paar kleinere. Das hat mich finanziell und psychisch aus der Bahn geworfen.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich war zwar mit meinem Körper im Reinen, aber als ich dann zum ersten Mal vorm Spiegel stand und die Narbe sah, musste ich weinen. Ich habe Jobs verloren, weil Firmen gesagt haben, die Narbe ist zu viel. Erst kürzlich hat mir eine Unterwäsche-Firma gesagt, als Model fänden sie mich toll, aber sie glaubten, die Narbe wäre für ihre Kunden zu viel. Das Schöne ist, dass ich ganz tolle Menschen um mich habe. Ich habe einen tollen Partner und ganz tolle Freunde. Die haben mich so unterstützt, auch finanziell – ich kann wirklich sagen, dass sie mich gerettet haben. Sie sagten: Du hast uns so viel geholfen, jetzt helfen wir dir. Dadurch habe ich es geschafft, da wieder rauszukommen.
Mittlerweile nennen Sie die Narbe sogar als Ihr Markenzeichen.
Ich habe angefangen, meine Narbe erstmal für mich positiv zu betrachten, dass ich wieder einen Kampf gewonnen habe. Ich hab ja nun schon einige Schlachten geschlagen und das sieht man halt. Ich versuche, das mit etwas Positivem zu verbinden, statt immer nur zu sagen: Narbe, schlecht, Schmerzen… So versuche ich das mit vielen Dingen im Leben. Ich habe dann einfach angefangen, Fotos zu machen, auf denen man die Narbe sieht. Das ist so gut angekommen, dass ich immer mehr Firmen gefunden habe, die mit mir vor allem Bademode und Unterwäsche shooten, gerade weil ich die Narbe habe. Das ist natürlich eine tolle Rückmeldung. Im Moment ist Diversity modern und das passt natürlich perfekt. Ich habe nicht nur die Narbe, ich hatte durch die Essstörung auch krasse Gewichtsschwankungen, zuletzt habe ich 60 Kilo abgenommen. Da ist natürlich die Haut auch nicht mehr super straff und ich habe Dellen an den Beinen, die retuschiere ich nicht weg. Ich zeige mich so, wie ich bin und das ist aktuell im Kommen. Ich finde das ganz toll, dass immer mehr unterschiedliche Körperformen gezeigt werden, Menschen mit Narben, mit Behinderungen.
Vor kurzem waren Sie in der TV-Sendung „No Body is perfect“ zu sehen, worum ging es da?
Die Sendung ist die deutsche Version von der UK-Show „Naked beach“, die dort viele Awards gewonnen hat. Sie beruht auf einer Studie und einem Experiment eines Sozialtherapeuten, der herausgefunden hat, dass Menschen, die kein Selbstbewusstsein haben, signifikant ihr Selbstbild verbessern, wenn sie eine gewisse Zeit von nackten, durchschnittlichen Körpern umgeben sind und sich selbst mit ihrem nackten Körper beschäftigen. Und ich weiß ja, was zum Beispiel Fotoshootings und Kampagnen in Unterwäsche in der Öffentlichkeit mit Menschen machen können, das habe ich selbst erlebt. Deshalb war ich sofort total fasziniert, habe mir die englische Variante angeguckt und war absolut baff, was innerhalb von vier Tagen möglich ist.
Mussten Sie zögern bei der Zusage für die Sendung, insbesondere weil Sie komplett nackt vor der Kamera stehen sollten?
Als mich die Produktionsfirma damals kontaktiert hat, war mein erster Gedanke: Ich renne doch nicht nackt durch Griechenland. Aber als ich mich dann ein bisschen damit beschäftigt hatte, war ich begeistert von der Idee und ich habe ja sowieso mit Nacktheit kein Problem. Für mich ist das das Natürlichste der Welt, ich stehe auch mit knapper Unterwäsche auf dem Times Square, das macht mir mittlerweile gar nichts mehr aus.
Welche Reaktionen haben Sie für die Sendung bekommen?
Ich persönlich ausschließlich positive. Ich habe hunderte Mails bekommen, vor allem von Frauen, die mir geschrieben haben, was die Sendung mit ihnen gemacht hat. Dass sie angefangen haben, die schönen Dinge an ihrem Körper zu suchen. Dass sie wieder schwimmen gehen, was sie seit Jahren nicht gemacht haben. Eine Frau hat mir geschrieben, dass sie eine Glatze hat und nach der zweiten Sendung zum ersten Mal in ihrem Leben ohne Perücke rausgegangen ist. Das kann eine Fernsehsendung, das ist einfach Wahnsinn. In Zeiten von Internet und Shitstorm… Da steht was von nackt und keine Modelmaße und keine straffe Haut… Natürlich habe ich auch einige Kommentare auf irgendwelchen Seiten gelesen, zum Beispiel wurde geschrieben wie übergewichtig ich ja bin. Da musste ich schmunzeln, ich habe momentan Normalgewicht. Da sieht man, wie verzerrt das Körperbild ist.
Wie hat Ihr privates Umfeld reagiert?
Als die Anfrage kam, haben alle erstmal gesagt: „Das willst du doch wohl nicht machen, das ist doch bestimmt so eine Trash-Sendung“. Ich habe das dann aber erklärt und auch einigen die englischen Folgen gezeigt – und dann haben die meisten verstanden, dass das eigentlich genau das ist, was ich sonst auch mache. Man kann sich ja denken, dass der Freund vielleicht nicht begeistert davon ist, dass die Freundin nackt durchs Fernsehen rennt und Millionen Menschen das sehen können, aber auf der anderen Seite ist er auch stolz. Und er hat mir gesagt: Das ist dein Ding, das musst du machen, ich stehe voll hinter dir.
Leider hatte die Sendung keine guten Quoten und wurde auf Sat1 abgesetzt. Was sagen Sie dazu?
Das war natürlich ein Schock. Das ganze Team war schockiert und traurig, ich habe auch geweint. Ich bin ja auch stolz auf die Sendung, weil ich weiß, dass es funktioniert hat. Vielleicht ist Deutschland noch nicht so weit, vielleicht haben viele das auch abgetan als Trash-Sendung und dem ganzen keine Chance gegeben. Ich weiß nicht, ob es ein Fehler war, die Folgen vorab online einzustellen, denn da sind die Zahlen ganz gut. Es war ein erster Versuch und vielleicht haben wir trotzdem etwas angestoßen. Was ich auf jeden Fall weiß ist, dass wir vielen Menschen geholfen haben, deswegen bin ich stolz und glücklich, dass ich ein Teil davon sein darf.
Welche persönlichen Ziele haben Sie in der nahen Zukunft?
Mein Partner lebt in New York. Das Gute ist, dass meine Arbeit auch in Amerika sehr bekannt ist, weil da sehr viel in den Medien berichtet wurde, vor allem über meine BodyLove-Kampagne. Ich habe manchmal das Gefühl, in Amerika kennt man mich mehr als in Deutschland. Also steht im Raum, ob ich irgendwann nach Amerika gehe. Aber ich plane nie so weit im Voraus, ich habe die letzten Jahre gemerkt: Das bringt eh nichts, wenn ich plane, es kommt sowieso alles anders. Deswegen lasse ich alles auf mich zukommen.
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