Kreuztal. „Er war uns lieb, aber vor allen Dingen teuer“: Diesen Satz hat sich Herbert Hoß schon 2002 zu seiner Verabschiedung gewünscht. Ein Interview.

Vor über 40 Jahren kam er zum ersten Mal nach Kreuztal, als Referendar an ein junges Gymnasium, das gerade seinen ersten Abiturjahrgang entlassen hatte. Jetzt geht Oberstudiendirektor Herbert Hoß in Pension. Steffen Schwab sprach mit dem Leiter des Städtischen Gymnasiums Kreuztal, der am Donnerstag, 30. Januar, in den Ruhestand verabschiedet wird.

Welche Erinnerung haben Sie an Ihre eigene Schulzeit?

Herbert Hoß: Die Schulzeit im Gymnasium in Schleiden in der Eifel in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre – ich habe 1973 Abitur gemacht – war sicherlich eine ganz andere als heute. Es gingen vergleichsweise weniger Schüler eines Jahrgangs zum Gymnasium. Es hatte einen elitären Anspruch, der von Lehrern anders ausgelegt wurde als heute.

Das heißt?

Wenn heute Schüler Probleme haben, dann kümmern sich Lehrer: Jeder ist zur individuellen Förderung verpflichtet. Damals bestand individuelle Förderung oftmals in Schimpfen und schlechten Noten.

Waren Sie ein guter Schüler?

Ich gehörte zum oberen Drittel. Das lag sicherlich weniger an meinen Sprachnoten, die nicht so toll waren, als vielmehr an den Naturwissenschaften und Mathematik.

Wann haben Sie zum ersten Mal überlegt, Lehrer zu werden?

Ich wollte kein Lehrer werden.

Sondern?

Ich hatte schon als 16-, 17-Jähriger die Vorstellung, du gehst mal irgendwann in irgendein Unternehmen und verdienst ordentlich Geld. Das ist vielleicht aus der Armut der Eifel heraus erklärbar. In Bielefeld habe ich den Studiengang Mathematik und Wirtschaftswissenschaften eingeschlagen, auch ein durchaus ordentliches Vordiplom gemacht. Dann rief mich, im September 1975, mein Mathematiklehrer an, der in den Auslandsschuldienst gehen wollte und die Lücke an seiner Schule schließen musste. Mit knapp 21 habe ich dann tatsächlich wöchentlich acht Stunden Mathematik unterrichtet bis hoch in die Oberstufe. Da gabs welche, die noch mit mir gemeinsam bei den Bundesjugendspielen in die Sprunggrube gefallen sind und nun bei mir Mathe hatten. Ich habe das zweieinhalb Jahre lang gemacht, mir hat das den Blick dafür geöffnet, was ich auch tun könnte.

Mit 21?

Ich habe mit 17 Abitur gemacht – es gab Kurzschuljahre, und ich wurde etwas verfrüht eingeschult. Mit 9 ¾ kam ich schon aufs Gymnasium, das hat mir jahrelang nachgehangen.

Weil das zu früh war?

Wir haben ja auch unter den letzten Landesregierungen diesen Immer-früher-Hype erlebt. Ich habe das mit großer Skepsis gesehen. Die Lehrer schlugen damals ein Tempo an, das eher für den Elfjährigen richtig ist. Ich war in den ersten drei, vier Jahren kein guter Schüler. Diese Karriere hat ja nun auch jetzt wieder eine ganze Schülergeneration gemacht. Reife ist für einen vertieften Lernprozess nicht schädlich.

Was wären Sie sonst geworden?

Die Palette war groß: Ich hätte als Mathematiker in Unternehmen, bei Versicherungen arbeiten können. Einige aus meinem Jahrgang sagten mir, ich hätte doch auch etwas anderes werden können. Aber ich bereute das nicht.

Auch interessant

Wie gings weiter?

Ich habe nach dem 5. Semester umgeswitcht. Dann kam das Staatsexamen. Im Mai 1979. Beworben hatte ich mich für den 1. September. Dann habe ich geografisch ganz neue Erkenntnisse gewonnen. „Du sollst nach Siegen“, sagte mir mein Vater, als ich mit ihm von einem Campingplatz in der Bretagne aus telefonierte, „die Schule ist in Kreuztal.“ Das war für mich ein ganz blinder Fleck.

1981 bekamen Sie Ihre erste Stelle.

Am Freitag machte ich das Examen, am Montag hatte ich eine volle Stelle, samt Klassenleitung der 6 e.

Kennen Sie aus der Klasse noch jemanden?

Alle. Die habe ich erst am Ende der 10 wieder abgegeben, das war etwas Besonderes. Ich war nahezu jedes Jahr Klassenlehrer. Unheimlich gern in den Klassen 5 und 6 oder in den Klassen 8 bis 10.

Jetzt haben Sie nur die 7 ausgelassen.

Die 7 ist weder Fisch noch Fleisch. Es gibt Klassen, da sind Sie froh, die nach zwei oder drei Jahren abzugeben. Ich habe auch Klassen in Erinnerung, von denen ich mich ungern getrennt habe.

Auch interessant

Was ist das Kriterium?

Es gab Klassen, die als ausgesprochen schwierig bekannt waren. Wenn Sie aber nach vier, fünf Monaten merken, Sie haben die Klasse gepackt, die haben jetzt auch Lust auf Mathematik, dann war das für mich ein beglückendes Gefühl.

Was macht denn eine Klasse schwierig?

Dass sie überhaupt keine Lust am eigenen Lernfortschritt haben. Es gibt Gruppenprozesse, die dazu führen, dass auch Schüler, die es gut könnten, nicht mehr zum Unterricht beitragen. Dann haben Sie eine Lernatmosphäre, die bleiern ist. Ich habe schon Stunden erlebt, bei denen ich als Schulleiter zugehört habe, wo sie diesen Eindruck hatten: Vorne ist eine Lehrkraft, hinten ist die Klasse, dazwischen ist eine zehn Zentimeter dicke Glaswand. Da passiert nichts.

Auch interessant

Also geht es gar nicht um das Thema Disziplin.

Nein.

Und Sie mögen die Jahrgänge mitten in der Pubertät?

Das macht nichts. Es gab krawallige, pubertäre, aufmüpfige Klassen, aus denen Sie am Ende der Stunde erfrischt herausgehen.

Ihnen ist es lieber, wenn überhaupt was passiert.

Das ist mir lieber als Stunden, in denen die Zeit zäh wie Honig vom Löffel geht.

1990 wurde das Gymnasium Netphen eröffnet. Warum sind Sie von Kreuztal weggegangen?

Ich war in Netphen Mann der ersten Stunde. Als ich das in Kreuztal zehn, elf Jahre gemacht hatte, hatte es mich gereizt zu gucken, was es noch gibt. Das hat mein Berufsleben ungeheuer bereichert, eine Schule mit drei Klassen und 66 Schülern, fünf Lehrern und einem Schulleiter aufzubauen. Das hat viel Zeit und Kraft gekostet.

2002 waren Sie bereits drei Jahre stellvertretender Schulleiter in Netphen, als sie nach Kreuztal zurückgingen. Kannten Sie da noch jemanden aus dem Kollegium?

Ganz viele, fast alle waren noch da.

Auch interessant

Es folgten 17,5 Schulleiterjahre. Was waren Höhen und Tiefen – mal jenseits der Debatte um den Namen der Schule, die bis 2008 Friedrich-Flick-Gymnasium hieß?

Das war sicher das belastendste Jahr für mich. 2002, bei meiner Amtseinführung, habe ich mir für das Ende meiner Dienstzeit den Satz von der Stadt gewünscht: „Er war uns lieb, aber vor allen Dingen teuer.“ Wir haben zunächst das Sekretariat, dann Jahr für Jahr die Naturwissenschaften sukzessive erneuert und modernisiert. 2009 war die Pausenhalle dran, heute ist sie Aufenthaltsraum mit Caféteria. Bis auf die Jahre 2008 bis 2010, wo wir Einbrüche bei den Schülerzahlen hatten, als die Schule in der Diskussion war, hatten wir immer gute Schülerzahlen. Ich freue mich, dass unsere Schüler im MINT-Bereich regelmäßig Preise für besondere Leistungen gewinnen. Gute Entscheidungen waren der Wechsel zur 60-Minuten-Stunde und das Einführen der Profile Musik, MINT und Sport ab Klasse 5. Höhepunkt war, dass wir 2008 bis 2010 das Land bei „Jugend trainiert für Olympia“ als Landessieger im Handball vertreten durften. Ich bin Handballfan.

Spielen – dazu gehört auch Theater.

Keine Frage. Das gehört zu den Dingen, wo einem die Seele aufgeht.

Im Schaufenster der Stadtbibliothek war die Ausstellung zum 50-jährigen Bestehen der Schule zu sehen, im Aushang auch die Liste aller Jahrgangsbesten. Die sah so ein bisschen nach einem Who-is-who der Stadt Kreuztal aus.

Das ergibt sich.

Auch interessant

Denken Sie darüber eigentlich nach, welche Rolle die Schule für die Stadtgesellschaft spielt?

Ich glaube, dass wir eine Bedeutung in der Stadt Kreuztal und vielleicht auch ein wenig darüber hinaus haben. Wir haben den Grundsatz „Lernen – Spaß – Zusammenhalt“. Schüler lernen bei uns, mit anzupacken. Der Zusammenhalt, wie er in unserem Motto steht, heißt, dass ich mich für andere einsetze. Wir hätten unsere 50-Jahrfeiern ohne unsere Schüler, deren Zu- und Anpacken, gar nicht hingekriegt. Unsere Schüler setzen sich ein, von den heutigen Mitgliedern des Rates und der Ausschüsse sind viele hier zur Schule gegangen.

Nach Zusammenhalt kommt Spaß? Lernen soll doch eigentlich gar keinen Spaß machen.

Etwas Asketisches muss dabei sein, oder? Nein, Spaß mag ich. Wir leben hier nicht vom Gebäude, sondern davon, dass Schüler im Laufe des Jahres das Gefühl haben: Hey, das macht Freude. Nicht immer, nicht jeden Tag.

Herbert Hoß

Geboren 2. Juni 1955 in Kall/Eifel. Schulzeit in Schleiden, Studium in Bielefeld.

1979 bis 1981 Referendariat in Kreuztal, anschließend bis 1990 Lehrer am Gymnasium Kreuztal.

1990 bis 2002 Lehrer am Gymnasium Netphen, zuletzt als stellvertretender Schulleiter.

Seit 2002 Leiter des Städtischen Gymnasiums Kreuztal.

Verheiratet mit Gerlinde Hoß, die bis zur Pensionierung 2019 Lehrerin am Gymnasium Netphen war, Vater von zwei Töchtern, Großvater von vier Enkelkindern.

Und was machen Sie nun?

Ich werde im Juni 65. Es ist ja nicht so, dass so lange Zeit in der Schule nicht auch gelegentlich Kraft kostet. Es gab Anfragen von irgendwo, ob ich nicht irgendwas tun wolle. Ich hätte gern jetzt nach 40 Jahren drei Monate Zeit, mir das Hirn durchpusten zu lassen. Ich möchte Reisen machen und nur von mir selbst ausgewählte Termine wahrnehmen. Und dann will ich mal gucken, ob ich etwas tue, Erfahrungen, angesammelte Fähigkeiten und Kompetenzen weitergebe.

Mehr Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Siegerland gibt es hier.

Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook.