Dahlbruch. Gebrüder-Busch-Kreis präsentiert im Dahlbrucher Theater „Eine Stunde Ruhe“ des französischen Dramatikers Florian Zeller.
Eine Stunde kann sehr kurz sein oder sich unendlich lang hinziehen. Es kommt immer auf den Betrachter und den Anlass an. Für Michel (Timothy Peach), einen französischen Mittelschicht-Spießer, wird sie auf der Bühne des Gebrüder-Busch-Theaters zum Alptraum.
„Ich hab sie, ich hab sie“, schreit er außer sich vor Freude, „das ist der schönste Tag in meinem Leben.“ „Sie“ ist eine endlich gefundene Jazzplatte. Eine Stunde bräuchte er, die Musik in Ruhe anzuhören, aber weil es in französischen Komödien kein klassisches Happy-End gibt, wird Michel keine Sekunde davon hören und am Ende alles verlieren, was er so sicher zu haben glaubte.
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Beziehungs-Wirrwarr auf der Bühne
Als da wären Nathalie (Nicola Tiggeler), seine Frau (auch im echten Leben), die er mit Elsa (Saskia Valencia), deren bester Freundin betrügt. Was Michel nicht weiß: Die vergnügt sich längst mit Leo (Thomas Koll), einem vermeintlich aus Polen stammenden Klempner, der aber aus Portugal kommt. Polen machen sich nur als Schwarzarbeiter besser, auch wenn Leo vom Klempner-Handwerk wenig versteht und eine heillose Überschwemmung anrichtet.
Auch zu Sohn Sébastien (Johannes Lukas) hat Michel eine gestörte Beziehung. Was vor allem an dem großmäuligen Faulpelz Anfang 30 liegt, der nicht arbeitet, seltsame Musik macht, sich „Fucking Lion“ nennt und Kakerlaken verspeist („Das Protein der Zukunft“). Nebenbei hat Sébastien den Dachboden der Eltern zwölf Illegalen und einem Hund zur Verfügung gestellt.
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Hauptdarsteller Timothy Peach brilliert
Störfaktoren für Michels Platte sind auch seine Mutter, die ständig aus der Seniorenresidenz anruft und Nathalie, die auf psychiatrischen Rat unbedingt gestehen will: Vor 30 Jahren hat sie Michel zwei Wochen lang betrogen. Der nimmt’s leicht, denn noch weiß er nicht, dass es sein bester Freund Pierre (Benjamin Kernen) war, ein windiger, ständig klammer Lebemann – und Vater seines Sohnes. Nachbar Pavel (Reinhard Froboess), ein echter Pole, bringt auch keine Ruhe, zumal er Michels Traumplatte zu kennen scheint: „Das ist Pop-Jazz für Teenies.“
Dieses Gefühls- und Beziehungsknäuel bringen die sieben Darsteller rasant und authentisch auf die Bühnenbretter, besonders brilliert Michel als betrogener Betrüger. Die Charaktere sind wie das Bühnenbild mehrschichtig und detailreich gezeichnet, selbst dem ungeratenen Filius nimmt man die Zerrissenheit zwischen zwei Vätern, von denen keiner der (r)echte ist, ab. Der übliche Komödien-Klamauk wird nur einmal etwas dick aufgetragen: Als vor der Pause Klempner Leo doch allzu sehr zur Polen-Karikatur gerät.
Durch Wasserschaden obdachlos
Nichts wird gut. Elsa und Leo ziehen ebenso ab wie Nathalie und Pierre, schließlich auch Sébastien. Pavel, durch Wasserschaden obdachlos, zieht bei Michel ein, der einem Leid tun kann. Immerhin eins hat dieses gefallene Großmaul nun: Eine Stunde Ruhe, um die Platte zu hören. Die liegt auf seinem Sessel, und Vinylplatten sind sehr zerbrechlich…
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