Littfeld. Eigentlich hätten Kreuztaler Bürgermeister und Eichener Pfarrer dem jüdischen Jungen von damals Heiligabend zum 80. Geburtstag gratulieren können.
Am nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erinnert die Stadt Kreuztal – stellvertretend für alle Opfer -- an einen kleinen jüdischen Jungen in Littfeld: Fred Meier wurde nur drei Jahre alt. Über sein Schicksal wird auch am Montag, 27. Januar, um 15.30 Uhr bei der Feierstunde auf dem Platz gesprochen, der seit 1983 nach Fred Meier benannt ist. Bürgermeister Walter Kiß und Pfarrer Jochen Ahl werden dort sprechen. Und vielleicht erwähnen, was gewesen wäre, wenn es den Holocaust nicht gegeben hätte: Sie hätten vor ein paar Wochen, am Heiligen Abend 2019, Fred Meier zu seinem 80. Geburtstag Glück gewünscht.
1939: Geburtsurkunde für Fred Meier
In den Akten des Kreuztaler Standesamtes ist die Geburtsurkunde erhalten – Ergebnis einer Spurensuche, die von dieser Zeitung vor über zehn Jahren veranlasst wurde: Der Eintrag befindet sich auf Blatt 99 des Krombacher Geburtenregisters von 1939. Es ist die letzte Amtshandlung in jenem Jahr, die der Krombacher Standesbeamte vornimmt. Am 31. Dezember 1939 beurkundet er, dass Fred eine Woche zuvor von Minna Sarah Meier geborene Hony um 2 Uhr morgens „zu Littfeld in ihrer Wohnung“ zur Welt gebracht wurde und dass es sich bei dem Vater um den „Hilfsarbeiter Siegfried Isreal Meier“ handele. Beide Eltern seien „mosaischen Glaubens“.
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Der Standesbeamte vergaß nicht, den jüdischen Eltern ihre aufgezwungenen zweiten Vornamen beizuschreiben: Die Verordnung von 1938 zur „Durchführung des Gesetzes über die Veränderung von Vornamen“ sah vor, alle männlichen Juden den Vornamen Israel, alle weiblichen Juden den Vornamen Sara zu tragen hatten.
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1940: Gestapo lässt Freds Vornamen ändern
Eine andere Bestimmung allerdings war dem Standesbeamten, der sicher kaum jüdische Geburten einzutragen hatte, nicht geläufig: Es gab eine Liste von vermeintlich jüdischen Vornamen, an die sich Eltern verbindlich zu halten hatten. „Fred“ war darin nicht vorgesehen. Amtsbürgermeister Moning, der die Geburt des Jungen pflichtschuldig am 15. Januar 1940 an die „Judenkartei“ der Gestapo gemeldet hatte, bekam von dort Bescheid: Bis zum 3. April sei der Name zu ändern.
Der Standesbeamte ließ sich sehr viel Zeit – und anscheinend wiederholt mahnen, was Moning schließlich sogar aktenkundig machte: Der Beamte sei „trotz wiederholter Aufforderung“ nicht tätig geworden. Am 25. Mai 1940, wurde Fred Meier gestrichen und „Berl Meier“ eingetragen, „auf Anordnung der Aufsichtsbehörde“, wie der Standesbeamte notierte. Und dann den Zwangs-Zusatzvornamen Israel „vergaß“. Dokumentiert sind übrigens eine Reihe von Vornamensänderungen, die jüdische Bürger von sich aus veranlassten: Für je 5 Mark Verwaltungsgebühr wurde aus Daniel ein Albert und aus Esther eine Gunthilde.
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1943: Verschleppung nach Auschwitz
Zeitzeugen haben berichtet, was nicht mehr in den Akten steht: Siegfried Meier wird gesehen, wie er am 28. Februar 1943 Fred in einer Schubkarre zum Bahnhof in Littfeld bringt. Minna Meier, der Mutter, wird das Kind noch vor dem wartenden Zug entrissen. Ihre Fahrt endet in der Gaskammer des Konzentrationslagers Auschwitz. Zehn Namen von jüdischen Opfern aus Littfeld und Krombach stehen auf der Gedenktafel auf dem Littfelder Friedhof. Zehn Stolpersteine wurden 2013 vor den Häusern in Littfeld, einer in Krombach verlegt. An der Hagener Straße 392 für den kleinen Fred und seine Eltern, die beide aus Bad Laasphe stammten: Siegfried Meier wurde 40, seine in Hilchenbach aufgewachsene Ehefrau Minna 42 Jahre alt. Hugo, Siegfrieds jüngster Bruder, konnte 1936 nach Palästina emigrieren – 1985 verstarb er in Israel, ohne seinen Neffen Fred je gesehen zu haben.
Gedenken in Littfeld und Hilchenbach
An der Gedenkstunde auf dem Fred-Meier-Platz in Littfeld, die am Montag, 27. Januar, 15.30 Uhr, beginnt, wirken auch Jugendliche aus dem Jugendtreff Glonk und Kinder der Adolf-Wurmbach-Grundschule mit.
In Hilchenbach findet am Freitag, 28. Februar, 16.30 Uhr, eine Gedenkstunde am Mahnmal für die jüdischen Opfer vor der evangelischen Kirche statt. Am 28. Februar 1943 wurden Gerti Holländer und ihr zehnjähriger Sohn Lothar deportiert; sie waren die letzten Juden, die noch in Hilchenbach lebten.
1950: „Berl“ Meier wird für tot erklärt
Die Spur des Verbrechens an Fred Meier und seiner Familie, die sich in städtischen Verwaltungsunterlagen niederschlägt, reicht bis in das Jahr 1950. Am 27. Dezember vollzieht der amtierende Krombacher Standesbeamte den Beschluss des Amtsgerichts Siegen, „Berl“ Meier für tot zu erklären. Als Todestag wird der 8. Mai 1945 festgelegt, der Tag der Befreiung Deutschlands von der NS-Gewaltherrschaft.
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