Deuz. Am Deuzer Bahnhof ist der Nachbau eines 5-PS-Benz ausgestellt. Im 61. „Blick ins Netpherland“ wird die Geschichte dieses Nachbaus erzählt

Wenn sich am 21. März der Korso der Omnibusse in Deuz in Bewegung setzt, mit dem Netphen und Siegen den 125. Jahrestag der ersten Motoromnibus-Linienfahrt der Welt begehen, bleibt das eigentliche Geburtstagskind bestimmt nicht im Glaskasten: Dort, am Deuzer Bahnhof, ist seit November 2016 der Nachbau eines der beiden 5-PS-Benz ausgestellt, der eigentlich immer noch wie eine Kutsche aussieht. Die beiden Busse schaukelten in neun Monaten gut 10.000 Menschen über die anderthalb Stunden lange Strecke, bevor das Vorhaben an Steigungen und schlechten Straßen schon im Dezember 1895 scheiterte. Der Nachbau entstand 1970, zur 75-Jahrfeier – und wird somit nun selbst 50 Jahre alt.

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Idee für Verkehrsfesttage 1970

Für den 61. „Blick ins Netpherland“, die Jahreszeitschrift des Heimatvereins Netpherland, hat Wilfried Lerchstein die Geschichte dieses Bus-Nachbaus aufgeschrieben. Dem Organisationskomitee der ersten „Verkehrsfesttage“ der Gemeinde Netphen war die Idee erst im April 1970 gekommen. Der Deuzer Ortsvorsteher Ernst Kämpfer wandte sich an Dr. Erich von Gumpert, den Geschäftsführer vom Walzen Irle. Nicht nur, weil das Unternehmen, weil es 1970 sein 150-jähriges Bestehen feierte, sowieso in Partystimmung gewesen sein könnte. Sondern weil Otto Irle selbst einer der Gesellschafter der Netphener Omnibus-Gesellschaft war.

Von Gumpert gab dem Schlossermeister Erwin Knipp den Auftrag: „Den musst du mir nachbauen“, soll der Chef zu seinem Mitarbeiter gesagt haben, und dann hat Knipp die Zeichnungen für den grün-schwarzen 1-Zylinder-Landauer gefertigt, der im Original mit 20 Sachen auf die Strecke gegangen war. In der Lehrwerkstatt entstand dann das Modell im Maßstab 1:1, erfuhr Lerchstein von Dieter Schleifenbaum, dem Schwiegersohn Erwin Knipps. Außer mit Schleifenbaum konnte Lerchstein mit Schlossermeister Günter Stötzel und Schlosser Henner Daub sprechen, die beide im Irle-Werk 2 beschäftigt waren und innerhalb von sechs Wochen den ersten Motoromnibus der Welt nachgebaut haben.

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Heinz Stötzel beschäftigt sich im „Blick ins Netpherland“ in zwei Aufsätzen mit den nicht mehr vorhandenen Schöffenbänken in Netphens alter Martini-Kirche und der 125 Jahre alten Tradition der Martinsfeuer im Netpherland.

Dr. Peter Vitt stellt das Lebenswerk des aus Unglinghausen stammenden, vielseitig begabten Prof. Dr. Jacob Heinrich Schmick (1824 - 1905) vor.

Karl-Erich Daub schildert den Werdegang des Hauses „Hennriens“ in Beienbach von der Telegraphen- zur Poststelle unter der Leitung seiner Tante Luise Daub.

Wilfried Lerchstein geht zunächst auf den Großbrand in Niedernetphen im Jahr 1869 ein, der sich ebenfalls wie der Brand des „Klubbs“ in der Siegener Oberstadt vor 150 Jahren ereignete.

Außerdem hat Lerchstein sich mit dem mittlerweile in der fünften Generation von den Familien Stötzel, Schneider und Dielmann geführten Gastronomie- und Hotelbetrieb im Haus „Ewerts“ in Deuz beschäftigt.

Auch die Geschichte des vor 110 Jahren als Dorfschmiede von Friedrich Steiner in Salchendorf gegründeten Familienunternehmens, das dieses Jubiläum in der vierten Generation in Netphen als Autozentrum Steiner begehen konnte, hat Wilfried Lerchstein nachgezeichnet.

Das Fahrgestell wurde in der Schlosserei bei Irle zusammengeschweißt, den Holzaufbau fertigte Josef Diehl in der Schreinerei des Unternehmens. Eingebaut wurde der 24-PS-Motor eines VW Käfer. Bereift war das Gefährt zunächst mit Rädern aus Holz und einem Eisenring als Lauffläche. Später wurden die Eisenräder mit Vollgummireifen nachgerüstet, auf denen der Bus auch heute noch im Glaskasten steht.

Das Reifenproblem hatte es 1895 auch schon gegeben, mur umgekehrt: Da sprangen die Gummireifen ab, weil die Straßen zu schlecht waren, und wurden durch harte Eisenräder ersetzt. Komfortabel war die Fahrt für die bis zu acht Fahrgäste damals nicht. An Steigungen und bei Regen mussten sie aussteigen und schieben. Und wenn ein Pferdefuhrwerk entgegenkam und die Pferde scheuten, musste der mit Benzin aus der Apotheke betriebene Motor abgestellt werden. Das Ganze kostete dann auch noch 70 Pfennige Fahrgeld für die gesamte 15 Kilometer lange Strecke.

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Lob vom TÜV – für 6 km/h

Am 30. Juni 1970 kam der TÜV nach Deuz. „Eine großartige Leistung“, lobte der Prüf-Ingenieur die Irle-Mannschaft. Nur für die 12 km/h wollte er seinen Stempel nicht geben. Der Nachbau darf, trotz mehr PS als das Original, nur mit sechs Sachen durch die Straßen zockeln. Seine Fahrgäste haben es in der Regel aber auch nicht eilig: Meist fährt der Bus in Festzügen mit, zum Beispiel 2010 beim NRW-Tag in Siegen und 2014 bei der 775-Jahrfeier in Netphen. Manchmal ist der Landauer auch Hochzeitskutsche.

Berühmt geworden ist der Bus auf jeden Fall. 1970 zierte er eine Goldmedaille, geprägt in 18-karätigem Gold bei der Bundesprägeanstalt in Karlsruhe, 1970 und 1995 gab es Sonderstempel von der Post. Kein schlechtes Ende, gemessen an der Pleite von 1895: Die Netphener Omnibus-Gesellschaft gab die beiden Landauer an den Hersteller Benz & Cie. zurück und löste sich auf, 12.500 Mark Einlagen der Gesellschafter waren verbraucht. Die Personenbeförderung übernahm vorerst wieder die Pferdekutsche. Und ab 1906 die Kleinbahn.

Den neuen „Blick ins Netpherland gibt es beim Heimatvereinsvorsitzenden Nico Eggers, Futura Druck + Verlag in Netphen, und bei Wilfried Lerchstein in Grissenbach zum Preis von 9,95 Euro. Mehr Informationen gibt es auf der Seite des Heimatvereins.

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