Siegen. Finn Koblenzer, 14, und Meo Röttgers, 15, haben FFF in Siegen gegründet. Und wurden dafür auch mal angespuckt. Aufgeben ist für sie keine Option.
Das Klima ist kein Thema, von dem man irgendwann ablässt und sich anderen widmet. „Es geht ums Überleben der Menschen“, sagt Finn Koblenzer. „Man kann nicht mal eben aufhören“, meint auch Meo Röttgers, auch wenn der Einsatz fürs Klima kraftraubend ist. Der Klimawandel schreitet auch weiter voran, so die beiden Schüler des Evangelischen Gymnasiums Weidenau (Evau). Koblenzer und Röttgers, 14 und 15 Jahre, sind Initiatoren und Sprecher der Siegener Ortsgruppe von Fridays For Future (FFF).
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Die Anfänge: Vom ersten Klimastreik zur Demo in Siegen
Ende Januar hörte Meo Röttgers über seine Eltern von der FFF-Bewegung. „Ich war sofort elektrisiert“, sagt er, „ich hatte das Bedürfnis, etwas zu tun – dafür war auf einmal die Gelegenheit da“. Mit seinem Klassenkameraden Finn Koblenzer sprach er darüber, sie trugen sich als Organisatoren für Siegen bei der Bewegung ein, kontaktierten Gleichgesinnte, Studierende, organisierten erste Demos.
Im Oktober 2018 fand der erste bundesweite Klimastreik statt, am 15. Februar 2019 der erste in Siegen, einen Monat später die erste größere Kundgebung. Mehr als 500 Ortsgruppen gibt es inzwischen, nach wie vor kommen neue dazu.
Die Arbeit: Basisdemokratisch – keiner entscheidet allein
Alles läuft basisdemokratisch. Wer öffentlich etwas sagt oder tut, tut das nur mit Rückendeckung der anderen. Es gibt in der Ortsgruppe ein zwölfköpfiges Orga-Team, es kümmert sich, wer Zeit hat: Demos anmelden, Flyer schreiben, Grafiken erstellen. Delegierte – in Siegen Röttgers und Koblenzer – vertreten als Sprecher die Ortsgruppe auf Bundesebene. „Der Zeitaufwand ist ziemlich groß“, sagt Finn Koblenzer – aber es lohne sich auch. Prozentual habe man beim letzten Klimastreik in Siegen mehr Menschen auf die Straße gebracht als in Köln.
Der nächste Klimastreik am Freitag
Die nächste Demonstration am Freitag, 29. November, zum globalen Klimastreik besteht aus mehr als einem Kundgebungszug.
Um 10 Uhr startet ab dem Rathaus Geisweid eine Fahrrad-Demo, die sich um 10.30 Uhr auf dem Bismarckplatz in Weidenau mit dem Hauptzug vereint.
Von dort geht es um 11 Uhr weiter Richtung Innenstadt. Auf der Siegbrücke gibt es ab 12 Uhr am Freitag Vorträge, Reden und Musik. Für Verpflegung ist gesorgt.
Auf Bundesebene sind die Strukturen fester; Arbeitsgruppen sind zuständig für Forderungen, Finanzen, Pressearbeit. Auch da: Basisdemokratie. „Keiner kann eine Einzelentscheidung treffen.“ Jede AG legitimiert einen Sprecher, der zwischen Arbeitsgemeinschaften und Ortsgruppen koordiniert. „Die Ortsgruppen sind von der Bundesebene unabhängig – der Bund ist aber von den Städten abhängig“, erklärt Röttgers. Regelmäßig stimmt sich die Bewegung ab.
Distanz zu politischen Parteien halten
Längst sind die Siegener Schüler nicht mehr unter sich: An der Uni hat sich die Initiative Students For Future gegründet, es gibt das Offene Klimabündnis, in dem alle Umwelt- und Naturschutzbünde vertreten sind, viele Menschen aus dem kirchlichen Umfeld engagieren sich, auch ältere. Da braucht es neue Formen der Partizipation, neben den WhatsApp-Gruppen aus der Anfangszeit. Und das ist auch gut so, findet Koblenzer: „Wir brauchen frischen Wind.“ Der frische Wind, das können eben auch Senioren sein.
Das Engagement bei Fridays For Future ist nicht verpflichtend, es gibt keinen Verein, keine wöchentlichen Termine. „Es ist öffentlich und es ist lose“, sagt Finn Koblenzer – und das wollen sie auch sein. „Viele verstehen nicht, dass wir uns nicht in Parteien engagieren oder eine Partei gründen möchten“, sagt Röttgers – das sei nicht ihre Aufgabe. „Wir haben gewählte politische Vertreter – die sind dafür zuständig.“ Es könne nicht sein, dass FFF übernehmen solle, „weil die es nicht auf die Kette kriegen“. Außerdem, so Finn Koblenzer grinsend, seien sie ja minderjährig.
Die Anfeindungen: Wenn ein Mann einen Neuntklässler anspuckt
„Wir werden oft nicht ernst genommen“, sagt Koblenzer. Bei einer Demo wollte ein Polizist Infos vom Veranstalter haben, Meo Röttgers wollte sie ihm geben. Das habe der Beamte nicht akzeptiert, also erzählte ein Volljähriger nochmal das gleiche. Die Kritik, die Anfeindungen und Beschimpfungen würden aber mit der Zeit weniger, die beiden haben da ein dickes Fell entwickelt.
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Bei einer der ersten Demos im Februar mit ohnehin vielen entrüsteten Eltern baute sich ein älterer Herr vor Röttgers auf, ließ eine Schimpftirade los und spuckte ihn an, erzählt der Neuntklässler. „Wir bieten uns wohl an, dass manche ihre Wut an uns auslassen.“ Als Röttgers beim Kirchentag Umweltministerin Svenja Schulze während eines Gesprächs fragte, wie sie die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten wolle, habe die sich umgedreht und sei gegangen. „Diese Ignoranz hat mich schon ziemlich geschockt“, sagt er.
Wunsch nach mutigen Entscheidungen statt Kompromissen
Ihnen ist bewusst, dass sie die Gesellschaft ein Stück weit spalten. Und dass Politik, nach Bismarck die Kunst des Möglichen, immer auch aus Kompromissen besteht. Aber sie sind eben keine Politiker bei FFF. „Allen politischen Entscheidungsträgern ist klar, dass die Klimaforscher Recht haben“, sagt Röttgers. Aber trotzdem würden Entscheidungen gescheut.
Die Siegener Grünen hätten den Begriff „Klimanotstand“ abgelehnt, weil sie nicht mit dem Koalitionspartner CDU streiten wollten. „Sind sie zuverlässig gegenüber ihren Wählern oder gegenüber der Koalition“, fragt sich Röttgers. In der Frage des Klimawandels gehe es um das Überleben der Menschheit, „Kompromisse können lebensgefährlich sein. Jetzt geht es darum, mutige Entscheidungen zu treffen.“
Der Unterrichtsstoff wird nachgeholt
Dass Deutschland allein den Klimawandel nicht aufhalten könne, finden sie als Argument lächerlich. „Deutschland ist für zwei Prozent der Emissionen verantwortlich. Der VW-Konzern für ein Prozent. VW sitzt in Deutschland. Dann gibt es da noch BMW, Mercedes,...“, sagt Koblenzer. „Als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt hat Deutschland enormes Steuerungspotenzial.“
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Und was das Schulschwänzen angehe: Durch ihr Engagement hätten sie mehr gelernt als in den paar Stunden Unterricht, an denen sie nicht teilgenommen haben: Selbstständigkeit, Kommunikation, Argumentieren, Durchhaltevermögen, Verantwortungsbewusstsein. Abgesehen davon: „Wir haben den gesamten Stoff nachgeholt“, sagt Röttgers.
Die nächsten Ziele: Mehr Kooperation
Fridays For Future und der studentische Ableger Students For Future arbeiten an einem Strukturpapier, um mehr und besser zu kooperieren – beide wollen das gleiche, aber an zwei verschiedenen Stellen. „Wir wollen unsere Kräfte bündeln.“ Neben den regelmäßigen Klimastreik-Demos, die viel Zeit und Energie fordern – „fast meine gesamte Freizeit geht dafür drauf“, sagt Koblenzer –, sucht FFF den Kontakt zur Stadtgesellschaft.
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Beim Stadtgespräch der Martini-Kirchengemeinde waren sie kürzlich oder beim Bürgermeister, dem sie einen Katalog mit ihren Forderungen übergeben haben (wir berichteten). „So werden auch Leute aufmerksam, die wir über die Demos nicht erreichen“, sagt Koblenzer.
Ansonsten, ganz persönliche Ziele: Jede Demo soll größer werden als die davor. Sie wünschen sich Siegen als klimaautarke Kommune ohne Individualverkehr, 100 Prozent ÖPNV, mit vielen Grünflächen überall in der Stadt. „Siegen tut was für den Klimaschutz“, finden sie. Aber Kopenhagen sei fast energieautark. „Da wollen wir auch hin.“
„Es geht nicht um Fridays For Future, sondern um das Klima“
Sie können nicht mal eben aufhören. „Wir können nicht sagen, dass wir keine Kraft mehr fürs Überleben haben“, findet Röttgers. Wenn sie mit Unterstützern und Gleichgesinnten reden, in der Stadt, im Land, auf der ganzen Welt; merken, dass sie nicht allein sind – das gebe Kraft. „Wir reiten nach wie vor auf einer großen Welle“, sagt Röttgers. „Und die Welle wird größer.“
Hoffnung und Sorge zugleich ist, dass Fridays For Future künftig nicht mehr notwendig ist: Wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht ist – oder eben nicht und man nicht mehr gegensteuern könne. „Es geht ja nicht um Fridays For Future, sondern um das Klima.“
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