Hilchenbach. Nicht nur Hilchenbacher genießen die Nachmittage in dem ehrenamtlich betriebenen Café in Marktplatz-Nähe. Das Experiment endet in diesem Monat.

Ein Café in Hilchenbach funktioniert nicht? Das „Herzstück“ beweist das Gegenteil. Mehr als 500 Gäste wurden seit 25. August in den wenigen Öffnungsstunden – mittwochs und freitags bis sonntags 15 bis 17 Uhr – in dem ehemaligen Bekleidungs- und Fahrradladen an der Gerbergasse bewirtet. Die 15 Plätze drinnen sind besetzt, die Kissen auf den Fensterbänken auch. Frische Temperaturen halten Hartgesottene nicht ab, auch die Tische draußen zu belegen.

Erfolgsgeheimnisse

1. Der Betrieb läuft ehrenamtlich. Zu zehnt teilen sie sich die Dienste. Inge Bruch ist mit 81 die Seniorin, ihre Enkelin Emma Sophie Stötzel gehört mit 21 zu den Jüngsten. „Alle müssen Kuchen mitbringen“, erklärt Jutta Neuhaus.

2. Das Angebot ist übersichtlich. Kaffee, Tee, regionales „57 Wasser“ und Apfelsaft von „Keppels Früchtchen“, dazu Kuchen, wie es sich gerade ergibt. Also nicht jeden Tag Schwarzwälder Kirsch. Das war’s. „Die Leute brauchen nicht viel zum Glücklichsein“, stellt Annette Czarski-Nüs fest.

Café-Tradition

Hilchenbach hatte einmal eine gute ausgestattete Café-Landschaft. Legendär ist der „Süße Konrad“, der bis in die 1950er Jahre auch ein beliebtes Tanzcafé war.

In den letzten Jahrzehnten verabschiedeten sich das Stadtcafé in der Dammstraße, die Konditorei Kramer in der Herrenwiese und die Caféstube der Bäckerei Schenk am Markt.

3. Das Café ist Treffpunkt. „Einige Hilchenbacher, die sich seit Ewigkeiten nicht gesehen haben, haben sich hier wiedergetroffen.“ Es kommen aber auch Auswärtige. Machen Station bei einer Radtour. Oder steuern den allmählich bekannt werdenden Treff gezielt an. Sogar aus Deuz, mit Bus und Bahn.

4. H ier wird vor allem geredet. Und nur nebenbei verzehrt. Hier muss kein Personal Druck machen, weil es eben auf den Umsatz nicht ankommt. „Wir setzen uns auch mal dazu“, sagt Inge Bruch. Die Ehrenamtlichen haben nicht nur Kekse. Sondern auch eine Meinung zu vielem, was hier als Stadtgespräch landet.

5. „Herzstück“ integriert: Fremde, die hierhin geflüchtet sind. Kleine Gäste, für die es einen Kindertisch und Spielsachen gibt.

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6. Das Café vernetzt. Ein angehender Neu-Hilchenbacher hat seine künftigen Nachbarn hier schon mal zum Kaffeetrinken eingeladen. Für Autorinnen, die nebenan in der Buchhandlungen bei Eva Maria Graß lesen, macht „Herzstück“ das Catering. Im Fenster stehen „Einzelstücke“, Postkarten aus der Dahlbrucher Bauwagen-Boutique. „Wir machen auf die kleinen Sachen aufmerksam“, sagt Jutta Neuhaus, „es stimmt einfach nicht, dass es hier nichts gibt.“

7. „Herzstück“ rechnet (sich) nicht. Ein kommerzieller Betrieb brauchte so viele Gäste, wie hier in der ganzen Zeit waren, fast an einem Tag. Das Selbstkosten-Projekt lebt vom Ehrenamt. Und versteht sich nicht als Konkurrenz: „Es kriegt jeder sein Stück vom Kuchen ab“, sagt Annette Czarski-Nüs. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wer hier keinen Platz mehr findet, geht die paar Schritte zu den Gasthäusern auf dem Markt oder zur Eisdiele.

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So geht es weiter

Am letzten Oktoberwochenende ist das Experiment vorbei. „Wir wollen unbedingt weitermachen“, sagt Jutta Neuhaus, „aber wir brauchen ein bisschen Zeit.“ Die Nutzungsbedingungen für das Lokal müssen auf feste Beine gestellt werden, das WC-Provisorium (auf der anderen Seite der Gerbergasse) bei der evangelischen Gemeinschaft muss gesichert werden, der Notausgang muss herbei. Und auch das Gesundheitsamt redet mit, wenn aus dem Experiment ein Regelbetrieb wird.

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„Wir überlegen, eine Genossenschaft zu gründen“, berichtet Jutta Neuhaus. Vielleicht wirft der Betrieb dann auch so viel Geld ab, das ein Minijob bezahlt werden kann. Und dann gibt es auch noch viele Ideen: Weitere Kooperationen bieten sich an – die KlimaWelten mit eigener Küche und dem regelmäßigen „Küchentratsch“ mit leckeren Erzeugnissen sind nicht weit weg. Und Waltraud Menn aus der Bruchstraße kommt sowieso gern vorbei – mit ihren 96 Jahren hat allein sie jede Menge Stoff für das immer schon gewünschte Erzählcafé. „Alle Generationen können noch ganz viel von­einander lernen“, sagt Jutta Neuhaus. Am besten bei Kaffee und Kuchen. Im Frühjahr soll es wieder so weit sein.

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