Siegen. Landgericht: Nach einer feuchtfröhlichen Nacht wollen vier Freunde in der Unterstadt essen. Es kommt zum Streit, der blutig endet – Notoperation.

Früher Morgen, 18. August 2018. Vier Männer wollen nach einem fröhlichen Samstagabend in einer Imbissbude an der Hindenburgstraße essen, danach soll es nach Hause gehen. Vor der Tür wird einer angerempelt und in eine Schlägerei verwickelt. H. (41), der einen Strauß Rosen für seinen Hochzeitstag am nächsten Morgen dabei hat, feiert den Sonntag nicht mit seiner Frau und der kleinen Tochter zu Hause: Er landet mit lebensgefährlichen Stichwunden im Krankenhaus. Sein Gegner wird wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagt, muss sich seit Dienstag, 24. September, vor dem Siegener Schwurgericht rechtfertigen.

Die Versionen des Tatgeschehens könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Angeklagte A. (22) berichtet, mit seiner Freundin im Imbiss gewesen zu sein. Am Nebentisch hätten das spätere Opfer und seine Begleiter gesessen und anzügliche Bemerkungen über den Po seiner Freundin gemacht. Das und eine laute Überlegung, noch in die Femina-Bar zu wollen, habe er als Anmache empfunden, sich geärgert, H. als Verursacher ausgemacht und beim Verlassen des Restaurants angerempelt. „Das wäre es für mich gewesen, die Wut war weg“, beteuert A.

Mit Klappmesser um sich gehauen, um sich zu befreien

H. habe ihn als „Kanacke“ beschimpft, die Rosen weggelegt und gesagt, jetzt werde es weh tun. A. will einen unausweichlichen Kampf erwartet und daher zuerst zugeschlagen haben. H. und dessen Bruder hätten ihn in die Ecke gedrängt, in den Schwitzkasten genommen, auf ihn eingeschlagen. Ihm sei die Luft weggeblieben, „ich war in Panik, ich hatte Angst um mein Leben“, versichert der Angeklagte. Er habe ein Klappmesser gezogen, um sich gehauen, um sich zu befreien. Dass er dabei sein Opfer mehrfach in Nacken, Schulter, Seite, sogar Lunge traf, quer über die Augenlider und eine Arm-Arterie durchschnitt, will er nicht bemerkt haben.

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„Ich konnte mich befreien und bin weggelaufen“, behauptet A. Von den schweren Verletzungen habe er erst aus den Medien erfahren. Seine besorgten Eltern schickten ihn nach seiner „Beichte“ in die Türkei, seine Schwester verbrannte die blutigen Kleidungsstücke. „Ich habe sie nicht beauftragt“, verteidigt er sich. Nachdem sein Vater Kontakt zum Anwalt aufnahm, habe man beschlossen, dass er sich der Polizei stellt. „Mir tut alles leid, aber ich hatte Todesangst.“

Den Gegner im lockeren Schwitzkasten, dann ein komisches Gefühl im Arm

Die Geschichte klingt plausibel, hat aber nichts mit der Anklage und der Sicht der anderen Seite zu tun. H. schließt zumindest nicht aus, dass in fröhlicher Runde eine Bemerkung über Freundin und Bar gefallen sei. Seine Freunde können sich gar nicht an die Geschehnisse im Restaurant erinnern. Allen ist A. erst auf der Straße aufgefallen, als er aggressiv und „völlig aus heiterem Himmel“ auf H. losging, „mit einem irren Blick, wie ein wilder Bulle“.

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„Ich habe gesagt, ich will mich nicht schlagen. Das tut mir weh und das tut ihm weh“, erinnert sich H. und berichtet, versuchte, den Kampf zu stoppen. Er habe den Gegner im lockeren Schwitzkasten gehabt, niemals würgend, schließlich versucht, A. auf die Nase zu hauen, um der Sache endlich ein Ende zu machen. Plötzlich habe er ein komisches Gefühl im Arm gehabt, dann sei das Blut gekommen. „Wie aus einem Wasserschlauch“, bestätigt sein Bruder.

Opfer leidet bis heute physisch und psychisch an den Folgen

Da sei der Täter davongelaufen. Ohne sich einmal umzudrehen, sagen die vier aus, die sich ziemlich einig sind, ohne dass aber der Eindruck entstünde, sie hätten sich abgesprochen.

Richterin Elfriede Dreisbach wundert sich, dass trotz vieler Zuschauer auf der Straße „keiner die Tat mit dem Handy gefilmt und ins Internet gestellt hat“.

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H. wurde stundenlang notoperiert, leidet bis heute physisch und psychisch an den Folgen. Er und seine Freunde beschreiben Unbehagen in Menschenmengen, meiden seither die Unterstadt, können den Vorfall nicht verstehen. „Völlig surreal“, sagt der Bruder des Opfers. Auch der Täter berichtet von einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er ist ebenfalls in Behandlung.

Die Verhandlung wird Donnertag, 26. September, fortgesetzt.

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