Freudenberg. Das älteste Stück im Technikmuseum Freudenberg kann am Sonntag in Aktion besichtigt werden: „Ein Vorläufer des Computers“, sagt Inge Zöller.

Mit fast 270 Jahren hätten andere sich längst zur Ruhe gesetzt. Ausgerechnet für den Webstuhl aus der Mitte des 18. Jahrhunderts – das älteste Stück im Technikmuseum Freudenberg – gilt das aber nicht. „Ich nutze den. Ständig“, sagt Webmeisterin Inge Zöller. Am Sonntag, 15. September, demonstriert sie mit einigen Helferinnen und Helfern, wie das historische Stück eingerichtet wird: Wie kilometerweise Fäden erst geschärt und dann auf den Webstuhl aufgezogen werden, um für das eigentliche Weben startklar zu sein.

Der Webstuhl

… stand ursprünglich in einem Haus in Beienbach, kam dann in einen Privathaushalt in Geisweid und landete schließlich in Freudenberg. „Hans-Jürgen Klappert vom Technikmuseum rief mich an und fragte, ob ich mal schauen könnte“, erzählt Inge Zöller. Zunächst habe sie abgelehnt, weil sie keine Kapazitäten frei hatte. „Ich war dann aber doch neugierig.“

Das Muster wird über die Farben der Fäden und über die Trittfolge an den Pedalen – den „Tritten“ – generiert.
Das Muster wird über die Farben der Fäden und über die Trittfolge an den Pedalen – den „Tritten“ – generiert. © Florian Adam

Sie nahm sich der Sache an. Der Webstuhl war „recht lädiert und nicht mehr bewebbar“, erinnert sie sich. Holzfachleute stellten fest, dass er um 1750 herum gebaut worden sein musste. Ein weiterer eindeutiger Hinweis darauf ist eine Verzierung an einem vorderen senkrechten Balken. „Dieses barocke Netzmuster gab es so nur zwischen 1750 und 1760“, sagt die Expertin.

Die Restaurierung

... war „sehr viel Arbeit“, beschreibt Inge Zöller ihren Einsatz im Jahr 2004. „Und ich habe hier im Winter echt bei 0 Grad gearbeitet.“ Alle Teile waren vorhanden und konnten aufbereitet oder ergänzt werden. Das nötige Fachwissen dafür gehört zum festen Repertoire der Webmeisterin. „Ich habe auch einen kleinen Webstuhl selbst gebaut. Aus Holz. Das gehörte damals zur Ausbildung.“ Privat besitzt sie übrigens sieben Webstühle. Der älteste stammt ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert.

Die Technik

… fasziniert Inge Zöller nach wie vor. Webstühle gehören zu den ältesten Maschinen der Menschheitsgeschichte, und „im Grunde hat sich die Technik immer erhalten“. Anders als bei modernen Hightech-Geräten „ist beim Webstuhl alles sichtbar, handwerklich zu reparieren und nachvollziehbar.“

Spuren geben Aufschluss

Der Programmpunkt „Neue Webketten“, bei dem der historische Webstuhl eingerichtet wird, beginnt im Technikmuseum Freudenberg, Olper Straße 5, am Sonntag, 15. September, um 10 Uhr. Das Ende ist für 17 Uhr vorgesehen, zu jedem Zeitpunkt wird es etwas zu sehen geben, verspricht Inge Zöller.

Der Webstuhl aus der Mitte des 18. Jahrhunderts muss den Spuren an den Füßen nach in feuchter Umgebung gestanden gaben. Das war typisch für die Leinenweberei, die oft als Nebenerwerb in Privathäusern stattfand.

Höher im Ansehen und besser in der Bezahlung standen die Wollweber da. Den höchsten Status und das meiste Einkommen hatten Gebildweber, die besonders schöne Stoffe, Muster oder auch Bilder anfertigten.

Weitere Informationen gibt es online auf technikmuseum.freudenberg.de

Kompliziert ist das Zusammenspiel aus Fäden, Schäften, Schiffchen und Pedalen – den „Tritten“ – trotzdem. Gerade „das ist es, was die Leute zum Staunen bringt: Wie alles zusammenhängt und funktioniert“, sagt Inge Zöller. Mit diesem ausgeklügelten Ineinandergreifen von Mechanismen und Steuerungsmöglichkeiten „ist der Webstuhl der Vorläufer des Computers“.

Die Webmeisterin

… kann auf eine dreijährige Vollzeitausbildung plus zwei Jahre für den Meistertitel verweisen. In einem Dänemarkurlaub in den 70er Jahren habe alles begonnen. Eine Webmeisterin hatte dort eine Werkstatt und gewährte Einblick in ihre Tätigkeit. „Ich fand das echt toll und habe mir auch Stoff mitgenommen“, sagt Inge Zöller. „Mein Mann hat mich dann gefragt, ob ich das nicht machen möchte. Ich dachte erst: ,Du spinnst’. Aber dann habe ich mich bei einer Webschule beworben.“

Den Webstuhl richtet Inge Zöller ein. Den Stoff stellen Teilnehmerinnen ihrer Workshops im Museum her. Die Besucher können zuschauen.
Den Webstuhl richtet Inge Zöller ein. Den Stoff stellen Teilnehmerinnen ihrer Workshops im Museum her. Die Besucher können zuschauen. © Florian Adam

hr sei klar gewesen, dass sie damit allein nicht ihren Lebensunterhalt würde verdienen können. Ihr sei aber auch klar gewesen, dass es für Weben eine Nische im Freizeitbereich gibt. Und an dieser Stelle schließt sich der Kreis zu ihrer beruflichen Vorgeschichte als gelernte Erzieherin und Kindergartenleiterin. Heute gibt sie Kurse an der Jugendkunstschule des Kreises Siegen-Wittgenstein und Workshops für Erwachsene. „Ich habe eben auch den pädagogischen Hintergrund.“

Die Einrichtung

… des Webstuhls „ist das, was die meiste Arbeit macht“ – und dauert etwa 40 Stunden, wie Inge Zöller erklärt. Zunächst sind umfangreiche Berechnungen notwendig, um die passende Konfiguration aus Fäden, Schäften und Tritten für ein bestimmtes Muster zu schaffen.

Dann folgt die Arbeit am so genannten Schärbaum, an dem die Kett- oder Spannfäden vorbereitet und schließlich auf den Webstuhl gezogen werden. Diese Aufgaben übernimmt im Technikmuseum für gewöhnlich Inge Zöller – ehrenamtlich. Am Sonntag aber können die Besucherinnen und Besucher ihr und einigen ihrer Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer ab zehn Uhr beim praktischen Teil zuschauen und so einen Einblick in den Gesamtprozess, der das Weben bestimmt, gewinnen.

Das Muster

… wird beim Webstuhl mit den Füßen gemacht. Über die Tritte werden die quer im Gerät hängenden Schäfte bedient, die die Spannfäden heben und senken. Die einfachste Variante, erläutert Inge Zöller, wäre zweischäftig: Ein Schaft hebt Fäden, ein Schaft senkt Fäden und durch das sich ergebende Dreieck wird der „Schuss“ (oder das „Schiffchen“) mit dem Schussfaden geschoben, der dann Mal um Mal mit den Spannfäden zusammen das Tuch entstehen lässt.

Je mehr Schäfte ins Spiel kommen, um so aufwendigere Muster sind möglich. Das Muster wird generiert durch die Farbe der Fäden und die Trittfolge. Viele Menschen erinnere das an eine Orgel, sagt Inge Zöller. Zu Recht. Denn „weben ist wie sichtbare Musik“.

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