Siegen. „Wir schaffen das nur noch auf dem Zahnfleisch“, so Stefanie Rehländer vom Verein Frauen helfen Frauen Siegen, Träger des Siegener Frauenhauses.
78 Frauen, die auf der Flucht vor Gewalt in ihrem Zuhause waren, musste das Siegener Frauenhaus im Jahr 2018 abweisen. Obwohl die Einrichtung im Vergleich noch einigermaßen gut dasteht, arbeiten die Mitarbeiterinnen an der Belastungsgrenze. Es brauche mehr Plätze, mehr Personal, eine bessere Finanzierung, fordert der Träger, der Verein Frauen helfen Frauen Siegen.
Wie kommen die Frauen dorthin?
Viele werden von der Polizei oder von Bekannten an die Einrichtung vermittelt, andere organisieren ihre Flucht selbst – insgeheim, um eine Eskalation der Situation zuhause zu vermeiden, so Annette Koch vom Frauenhaus. Es wird ein Treffpunkt verabredet, an dem die Mitarbeiterinnen die Frau abholen. „Das ist oft ein dramatisches Bild.
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Diese Frauen haben eine lange Leidensgeschichte körperlicher und seelischer Gewalt hinter sich“, sagt Koch, häufig müssten erst einmal Wunden erst einmal ärztlich versorgt werden. Für die Kinder sei es schwer mitanzusehen, wie die Mutter geschlagen und misshandelt wird, viele haben Polizeieinsätze miterlebt, wurden oft selbst misshandelt. „Viele sind hochgradig verstört“, so Koch. Im Frauenhaus wird zunächst daran gearbeitet, dass sich die Opfer sicher und beschützt fühlen, Vertrauen fassen können.
Wie läuft die Arbeit in der Einrichtung?
29 Frauen mit 30 Kindern wohnten im Lauf des Jahres 2018 im Frauenhaus, berichtet Kochs Kollegin Stefanie Rehländer: Eine Familie pro Zimmer. Immer häufiger blieben die Frauen länger; gerade für alleinstehende Frauen sei es in Siegen „fast unmöglich, eine Wohnung zu finden“. Im Alltag müssen die Bewohnerinnen einiges erledigen, sie werden beraten, betreut, begleitet und unterstützt – gerade auch mit Blick auf die Zeit nach ihrem Auszug.
Unterstützung im Alltag auf Wunsch
Der Verein Frauen helfen Frauen Siegen wurde 1978 gegründet und ist Träger des Frauenhauses, der Frauenberatungsstelle und der Fachstelle Sexualisierte Gewalt.
Das Frauenhaus ist seit 1995 in einem Mehrparteienhaus in zentrumsnaher Lage von Siegen untergebracht und bietet in vier Wohnungen Platz für zehn Frauen und bis zu 25 Kinder. Die Frauen organisieren ihren Alltag eigenverantwortlich, die Mitarbeiterinnen unterstützen auf Wunsch. Die Aufenthaltsdauer kann schwanken zwischen ein paar Tagen bis zu länger als einem Jahr.
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Was ist das größte Problem?
Die Existenzsicherung. Denn der Aufenthalt im Frauenhaus ist teuer: 27,70 Euro am Tag, 842,62 Euro im Monat. Pro Person. „Wir haben kaum finanzielle Mittel“, sagt Rehländer – die Frauen müssen sich ums Geld kümmern. Für eine Familie, die gerade alles verloren hat, ist das oft sehr schwer. „Auch für Frauen, die eine Arbeit haben, ist das kaum leistbar.“
Erster Schritt ist ein Antrag ans Sozialamt, das prüft, ob Anspruch auf Leistungen besteht. Neben dem Tagessatz für Personal-, Sach- und Hauskosten, den die Frauen selbst bezahlen müssen, gibt es Zuwendungen des Landes und Spenden. Das deckt die Kosten so gerade, der Kreis gleicht das Defizit aus. „Das ist etwas sehr besonderes“, sagt Stefanie Rehländer dankbar. „Die Einzelfallfinanzierung führt dazu, dass Schutz vor Gewalt oft am Geld scheitert – die Gewaltsituation kann häufig nicht beendet werden.“
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Welche Frauen trifft es besonders hart?
Gerade Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus haben es besonders schwer, die Voraussetzungen dafür, Leistungen zu bekommen, sind oft nicht gegeben – und ohnehin ist es sehr schwer, überhaupt einen Platz im Frauenhaus zu finden. Süchtige oder psychisch kranke Frauen können nicht aufgenommen werden, weil sie andere Formen der Unterstützung benötigten, so Ingrid Süße, Mitarbeiterin im Ruhestand. Natürlich versuche man trotzdem, auch diesen Frauen zu helfen – „das ist manchmal sehr schlimm, wenn wir sie nicht unterstützen können“, sagt Süße. „Es ist immer bitter und das darf es eigentlich nicht sein.“
Wie geht es den Mitarbeiterinnen?
„Wir gehen über unsere Kapazitäten“, sagt Stefanie Rehländer. Mit der Landesförderung sind vier Vollzeitstellen für acht Plätze abgedeckt – das Siegener Frauenhaus hat aber zehn Plätze. Bei gleichem Personal. „Der bürokratische Aufwand ist enorm“, sagt Rehländer. Die Folgen sind Wochenendarbeit und Überbelastung des Personals. „Für eine gute Qualität unserer Arbeit brauchen wir mehr Stellen“, sagt sie. „Wir schaffen das nur noch auf dem Zahnfleisch.“
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Viele ehemalige Kolleginnen drohen in die Altersarmut abzurutschen, sagt Ingrid Süße. Ein einheitliches Gesetz zur Finanzierung unabhängig vom Einzelfall sei dringend erforderlich, um zu verhindern, dass Frauen abgewiesen werden müssen und die Mitarbeiterinnen auszufallen drohten. „Wir sind permanent voll belegt.“
Dabei stehe das Siegener Frauenhaus im Vergleich noch einigermaßen da: Die meisten Häuser müssten Frauen, die ihren Aufenthalt nicht finanzieren können, abweisen. „Das darf es nicht geben“, fordert Ingrid Süße: Jeder Frau müsse es möglich sein, aus einer Gewaltsituation in ein Frauenhaus zu fliehen. In einer solchen Lage, in der es auf schnelle, unbürokratische Hilfe ankomme, sei gerade das Thema Finanzierung eine unüberwindbare Hürde für die Frauen.
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