Siegerland. . Zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen erzählen eine Polizeikommissarin und die Leiterin des Weißen Rings in Siegen.
- Kommissariat Kriminalprävention und Opferschutz als Schnittstelle zwischen Beratung und Betroffenen
- Regina Wagner vom Weißen Ring bietet Opfern ein Stück Geborgenheit, um Erlebtes zu verarbeiten
- Gesellschaftliches Bewusstsein hat sich auch durch die Emanzipation verändert
Opfer sind meistens weiblich und die Taten geschehen zu Hause. Betroffen sind Frauen aller Altersstufen, aus allen sozialen Schichten, geflüchtet oder reich. Manchmal wurden sie zum ersten Mal Opfer von Gewalt, häufiger haben sie einen langen Leidensweg hinter sich, noch häufiger ist es nicht nur körperliche Gewalt, sondern sexueller Missbrauch. „Oft werden die Vorfälle mit der Zeit schlimmer“, sagt Andrea Niggemann. Sie ist Hauptkommissarin der Kriminalprävention/Opferschutz. Aus einer Ohrfeige wird irgendwann ein Tritt in den Unterleib. Oder Schlimmeres. „Gerade bei Kindern sind das schlimme Sachen“, sagt Regina Wagner vom Weißen Ring in Siegen. „Was ich da manchmal zu hören bekomme, macht mir schon sehr zu schaffen.“
Von allein kommen Frauen meist nicht. Irgendwann ist der Punkt, an dem sie es nicht mehr aushalten, erreicht, physisch und psychisch. Dennoch: Freunde müssen oft dazu drängen, endlich Hilfe zu suchen. Oder Nachbarn rufen die Beamten, weil sie Geräusche hören; Schluchzen, Schreien und Prügeln.
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Opfer sind auch die Familien. Kinder werden Zeuge von Misshandlungen, leiden darunter, dass die Mutter leidet. Oder werden selbst missbraucht. Häufiger Mädchen, seltener Jungen, auch das kommt aber vor. Zum Opfer kann jeder werden. Je wehrloser, desto leichter für Täter. In Fällen häuslicher Gewalt setzen Beamte obligatorisch das Jugendamt in Kenntnis.
Die Polizei ist in erster Linie Drehscheibe. „Es gibt viele Geschädigte und es gibt viele Beratungsstellen“, sagt Niggemann – die Behörde bringt das zusammen. Die Polizei, so die Kommissarin, sei oft erste und einzige Instanz mit Kontakt zum Opfer. Sie erkenne Bedarf und leite ihn weiter. „Es gibt im Kreis zahlreiche Institutionen für jede Situation“, betont Niggemann.
„Es herrscht Strafverfolgungszwang“, betont Niggemann. Nicht jede Frau will, dass ihr Peiniger bestraft wird, so die Kommissarin, „die wollen einfach nur, dass es aufhört.“ Parallel zu den Ermittlern kümmert sich die Kriminalprävention um die Opfer. Häufig verweist sie an den Siegener Verein Frauen helfen Frauen, der das Frauenhaus und eine Beratungsstelle betreibt oder den Weißen Ring.
Situation erträglicher machen
Dort ist Regina Wagner seit mehr als einem Vierteljahrhundert für Menschen da. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. „Den meisten fällt es unendlich schwer, über die Übergriffe zu sprechen“, sagt sie. Wagner sucht Opfer zu Hause auf – oder, wenn das nicht geht, trifft er sich in einem geschützten Raum bei der Polizei mit ihnen. Neben akuten Fällen hat es Regina Wagner häufig mit Erwachsenen zu tun, die als Kind missbraucht wurden.
Auch sie versteht ihre Aufgabe als „Lotsenstation“, sie will Vertrauen aufbauen, ein Stück Geborgenheit schaffen, überlegen, wie die Situationen erträglicher werden, Stück für Stück wieder ein eigenes Leben entstehen kann. „Viele müssen erst einmal verstehen, was die Täter über einen langen Zeitraum mit ihnen gemacht haben“, sagt Wagner. „Sie brauchen Rückendeckung, das Gefühl, nicht allein dazustehen, eine Alternative zu haben.“ Mitunter ein sehr langer Entwicklungsprozess.
Ob die Zahl der Fälle gestiegen ist? Keine einfache Frage. „Gewalt gegen Frauen hat es immer gegeben“, sagt Andrea Niggemann. Aber das gesellschaftliche Bewusstsein habe sich verändert, auch das Anzeigeverhalten der Frauen. „Sie sind selbstbewusster geworden, trauen sich eher, eine Tat anzuzeigen“, sagt die 54-Jährige. Die Emanzipation wirke sich auf Männer aus – sie müssen eher Konsequenzen ihrer Taten fürchten – seit es das Gewaltschutzgesetz gibt, Misshandlungen aus dem Privaten in den Bereich der Offizialdelikte gerückt wurden, die Staatsorgane sich kümmern.
Hilfe für Opfer von Kriminalität
Polizistin Andrea Niggemann ist auch zuständig für Menschen, in deren Wohnungen eingebrochen wurde, für Senioren, die auf eine Betrugsmasche hereingefallen sind. Regina Wagner betreut beim Weißen Ring derzeit rund 80 Personen pro Jahr – allein. Mit halbstündigen Telefonaten ist ihre Arbeit nicht getan, längst nicht. Sie wünscht sich dringend Mitstreiter. Und dass sich Menschen, egal wo und wann ihnen Gewalt begegnet, an sie wenden: „Haben Sie den Mut, sich an uns oder die Polizei zu wenden. Wir können dabei helfen, dass es ihnen bald besser geht!“
>>>INFO: Wichtige Kontaktdaten
Kommissariat Kriminalprävention/Opferschutz der Kreispolizeibehörde: Weidenauer Straße 231, 0271/7099-4800 oder -4814, KPO.Siegen-Wittgenstein@polizei.nrw.de
Weißer Ring: In Siegen Regina Wagner, 0151/55164768, wagner.regina50@web.de, bundesweites Opfer-Telefon 116006, info@weisser-ring.de
Frauenberatungsstelle Siegen: Freudenberger Straße 28,
0271/21887, Frauenhaus 0271/20463, online via frauenhelfenfrauen-siegen.de.
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