Siegen. Daniela Tomczak, neue Leiterin der Agentur für Arbeit Siegen, über Spaß am Job, die Bedeutung schöner Innenstädte und den Wert einer Ausbildung.
Die Berufe anderer Menschen sind ihr Job. Daniela Tomczak ist seit Anfang Juni neue Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Siegen. Im Interview mit Florian Adam spricht sie über Veränderungen in der Arbeitswelt, die größten aktuellen Herausforderungen und die Bedeutung schöner Innenstädte für den Arbeitsmarkt.
Mal direkt gefragt: Was machen Sie als Chefin der Agentur für Arbeit in Siegen eigentlich?
Daniela Tomczak: Meine Aufgabe ist es, alle Beteiligten zum Thema Arbeitsmarkt in der Region zusammenzubringen und zu vernetzen, um Herausforderungen anzugehen. Die Arbeitsagentur ist eine der Stellen, die diesen Prozess koordinieren können – und genau das will ich auch. Außerdem haben wir Geld zur Verfügung, um Menschen zu fördern. Ich stimme mich natürlich mit allen Beteiligten, intern und extern, dazu ab. Ich bringe Ideen mit, die Impulse legen wir zusammen fest.
Sie sehen die Agentur also nicht als Einzelkämpferin, sondern als Teamplayer?
Klar. Die gemeinsame Frage ist: Was können wir tun, damit es der Region – und damit den Menschen hier – wirtschaftlich gut geht? Es ist zum Beispiel so, dass Menschen, die Arbeit suchen – aber auch die, die Arbeit haben –, sich weiterbilden müssen. Da arbeiten wir mit Arbeitgebern und Kammern zusammen, ebenso mit der Politik.
„Fachkräftemangel, Nachwuchsprobleme, technische Entwicklung“
„Chefin der Arbeitsagentur“ klingt eigentlich recht trocken: Nach Schreibtischjob und jeder Menge Theorie.
Ich muss über diplomatische Fähigkeiten verfügen, um Netzwerke aufzubauen. Wäre ich ein stiller Mensch, der nicht aus dem Büro herauskommt, wäre das kontraproduktiv. Darum reise ich im Moment viel.
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Sie machen Antrittsbesuche bei den Landräten, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern?
Ja. Es ist immer besser, die Leute persönlich kennenzulernen.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt?
Fachkräftemangel, Nachwuchsprobleme, technische Entwicklung.
„Es geht um lebenslanges Lernen“
Fangen wir hinten an: Digitalisierung?
Ich finde den Begriff „Digitalisierung“ etwas abgegriffen. Es geht um lebenslanges Lernen. Die Zeit, für die einmal erworbenes Wissen reicht, um eine Arbeitsstelle auszufüllen, wird kürzer; die Halbwertzeit hat abgenommen. Mitarbeiter müssen sich ständig weiterbilden und -qualifizieren. In großen Unternehmen ist das leichter, da gibt es dafür Strukturen. In kleinen und mittleren Unternehmen ist das schwieriger. Da sind dann wir als Arbeitsagentur stärker gefragt.
Betrifft diese sinkende Halbwertzeit alle Bereiche?
Ja. Nehmen Sie Lehrer, ein schönes Beispiel. Auch da verändern sich ständig Methodiken. Einfach vorne hinstellen und etwas erzählen geht heute nicht mehr. Und in 20 Jahren wird es wieder anders sein, darum müssen sich auch Lehrer laufend fortbilden.
„Ernstnehmen, reden, hingucken“
Machen die schnellen Wandel und die permanente Notwendigkeit der Anpassung nicht vielen Menschen Angst?
Es gibt sicher Menschen, die verunsichert sind oder Angst haben. Das müssen wir ernstnehmen und dafür sorgen, dass Menschen die Möglichkeit haben, Schritt zu halten. Ernstnehmen, reden, hingucken. Weggucken ist das Verkehrteste. Es hilft deutlich zu machen, dass technischer Fortschritt bisher immer dafür gesorgt hat, dass Arbeit leichter wird.
Er sorgte auch dafür, dass in vielen Branchen immer weniger Menschen immer mehr Aufgaben in immer kürzerer Zeit zu erledigen haben.
Arbeitsprozesse werden schneller. Aber bis jetzt hat jeder technologische Fortschritt im Endeffekt zu mehr Arbeitsplätzen geführt.
„Jugendliche in die Reflexion bringen“
Thema „Nachwuchsprobleme“: Die liegen nicht nur im demografischen Wandel begründet, oder?
Wir stellen immer mehr die Tendenz fest, dass immer mehr junge Leute Abitur machen und studieren sollen. Aber tun wir den Menschen damit einen Gefallen? Die, für die es das Richtige ist, sollen das natürlich tun. Aber nicht alle sind für ein Studium geschaffen. Viele merken, dass sie lieber etwas Praktisches machen würden, aber dass es Erwartungen an sie gibt, vor allem Erwartungen der Eltern: Du sollst etwas Besseres werden. Dabei ist die eigentlich wichtige Frage: Was macht einen Menschen glücklich? Und wenn mein Job mir Spaß macht, dann bin ich in aller Regel auch gut darin. Das ist für mich der Ausgangspunkt.
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Wie wollen Sie das in die Köpfe bekommen? In den vergangenen Jahren wurde das Ansehen der Berufsausbildung gegenüber dem Studium kontinuierlich in der Gesellschaft abgewertet.
Wir müssen Jugendliche in die Reflexion bringen und ihnen die Chancen nach der dualen Ausbildung in unserer Region aufzeigen: Was wollt Ihr überhaupt machen? Ab 1. September gehen wir dafür im Projekt „Lebensbegleitende Berufsberatung“ – LBB – an die weiterführenden Schulen und die Berufskollegs. Es ist ein bundesweites Projekt, das aber schon von einigen Arbeitsagenturen erprobt wurde.
„Das Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalens“
Nehmen wir mal das Handwerk. Wie schätzen Sie da – verglichen zu einem Studium – die Aufstiegsmöglichkeiten ein?
Man hat in diesen Betrieben richtig Karrierechancen und verdient da auch gut. Man kann seinen Meister machen und in die Selbstständigkeit gehen. Ich finde übrigens, das ist durchaus mit einem abgeschlossenen Studium vergleichbar. Aber dafür müssen wir die Neugierde der Jugendlichen auf diese Berufe wecken. Dazu sind wir auch auf die Unternehmen angewiesen. Die müssen sich jungen Menschen vorstellen und die Attraktivität des Handwerks erfahrbar machen. Wenn wir das publik machen können – dann haben wir die Hoffnung, dass ein Umdenken stattfindet.
Bevor Sie nach Siegen gekommen sind, waren sie Geschäftsführerin Operativ im Jobcenter Düsseldorf, von 2005 bis 2016 beim Jobcenter Dortmund. Gerade von dort sind sie sicher andere Verhältnisse gewohnt als in Siegen-Wittgenstein und Olpe?
In Dortmund gab es den Strukturwandel – den habe ich voll mitbekommen. Als ich 2016 ging, war’s schon wieder schön. Aber ich kann mich erinnern, wie wir dort richtig hohe Arbeitslosenzahlen hatten, da hatten wir richtig viel zu tun. Bei der Agentur in Siegen ist das nun anders. Das sind Arbeitslosenquoten – traumhaft. Ich sage immer, es ist das Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalens.
„Wie kann ich Menschen hier halten?“
Toll. Dann könnten Sie doch die Hände in den Schoß legen. Zuletzt lagen die Quoten im Agenturbezirk um die vier Prozent.
Nein, natürlich nicht! Wir müssen dafür sorgen, dass das so bleibt.
Sie wohnen in Iserlohn, haben die letzten Jahre aber in Düsseldorf gearbeitet. Wie gefällt Ihnen Siegen?
Ich war vor Jahren mal hier, weil meine Stieftochter hier studierte. Damals dachte ich mir: Boah – ist das hässlich! Aber mittlerweile hat sich hier unheimlich viel verändert, jetzt ist es schön. Die Stadt hat alles richtig gemacht. Und die Gegend drumherum gefällt mir sowieso.
Dass Städte attraktiv sein müssen, ist vom „weichen“ zum „harten“ Standortfaktor geworden?
Ja. Denn wie kann ich Menschen, die hier studiert oder ihre Ausbildung gemacht haben, anschließend halten? Gibt es Freizeitmöglichkeiten? Gibt es eine Innenstadt, in der man sich gerne aufhält? Da ist man hier auf einem richtig guten Weg. Hinzukommt das kulturelle Angebot: Das Apollo-Theater, Kultur Pur. Ich kann mir vorstellen, dass Leute sagen: ,Hier ist es super, hier bleibe ich.’
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Ihr Wunsch für ihre Zeit als Chefin der Agentur für Arbeit Siegen?
Ich wünsche mir, dass die Region das Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalens bleibt und wir als Arbeitsagentur gemeinsam mit den Netzwerkpartnern dazu beitragen können.
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