Siegen. . Zahl der Ausbildungsplätze und der Bewerber in der Region klaffen immer weiter auseinander. Gerade im Handwerk haben Betriebe zunehmend Probleme.

Die Arbeitgeber in der Region haben es zunehmend schwerer, Ausbildungsstellen zu besetzen. Von den 3402 seit Beginn des Berufsberatungsjahrs im Oktober gemeldeten Stellen in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe sind derzeit noch 1715 unbesetzt.

Azubis aus anderen Regionen gewinnen

Die einen haben einen Überhang an Stellen, die anderen an Bewerbern: Mit dem Projekt „Mobil zum Ziel“ möchte die Siegener Arbeitsagentur Jugendliche aus dem Agenturbezirk Recklinghausen für eine Ausbildung in Siegen-Wittgenstein oder Olpe gewinnen.

Warum Recklinghausen?

Im Agenturbezirk Recklinghausen kommen auf einen Bewerber 0,63 Ausbildungsplätze, im Agenturbezirk Siegen sind es 1,35. Gemeinsam mit der Handwerkskammer Südwestfalen und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen haben die Agenturen ein Konzept erarbeitet, „was man tun muss, damit Jugendliche in eine andere Region gehen“, erklärt Carsten Tillmann, Geschäftsführer für den operativen Bereich bei der Arbeitsagentur Siegen. Es geht nur um bestimmte Berufsfelder, „wir wollen in anderen Regionen keinen Raubbau betreiben“: Maschinenbau, Fahrzeugtechnik, Energietechnik, Hochbau, Verkauf. Es gibt noch zwei weitere Agentur-Regionenpaare: Oberhausen und Bonn sowie Gelsenkirchen und Rheine.

Wie funktioniert’s?

„Es ist nicht einfach, einen 17-Jährigen aus Recklinghausen zu überzeugen, eine Ausbildung in Siegen-Wittgenstein zu machen“, sagt Agenturchef Frank Schmidt. Zwar „haben wir Top-Betriebe“, aber es sei mehr erforderlich, um Jugendliche und ihre Eltern für die Idee zu begeistern – schließlich hätten die Eltern meist noch mitzureden. „Es muss ein Paket sein: Ausbildungsplatz, Unterbringung, Betreuung, Freizeitgestaltung“, erläutert Carsten Tillmann. Darum seien die Projektverantwortlichen auch auf der Suche nach Arbeitgebern, die beispielsweise Firmenwohnungen zur Verfügung haben oder bereits über Ansätze verfügen, die jungen Kollegen über rein berufliche Inhalte hinaus bei Bewältigung und Gestaltung des Alltags zu unterstützen.

Was bringt’s?

„Es ist nicht die große Lösung. Aber es ist ein Baustein“, betont Frank Schmidt. „Wir würden uns freuen, wenn wir im Ergebnis zweistellig würden.“ Bei ähnlichen Vorhaben habe die IHK Siegen es geschafft, zwei junge Leute von außerhalb für eine Ausbildung in der Region zu motivieren. Die dabei gemachten Erfahrungen wolle das Projektteam aufgreifen und den Ansatz optimieren. Eine Hürde, so Schmidt: „Das Siegerland ist nicht so bekannt. Junge Menschen in Recklinghausen kennen Bad Berleburg oder Bad Laasphe gar nicht.“ Ein zentraler Punkt sei deshalb Regionalmarketing, wie Carsten Tillmann unterstreicht – an dieser Stelle kämen die Kommunen als weitere Partner ins Spiel. „Was bietet die Region an Möglichkeiten für Sport, Freizeit und Kultur? Wir müssen Infopakete schnüren, die wir dann den potenziellen Bewerbern und ihren Eltern vorstellen.“ Im Anschluss würden die Kandidatinnen und Kandidaten zu einer Infowoche eingeladen, um sich vor Ort ein Bild machen zu können.

„Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist durchaus kritisch“, sagt Frank Schmidt, Leiter der Arbeitsagentur Siegen, bei der Zwischenbilanz zum Ausbildungsjahr 2017/18.

298 Stellen mehr als im Jahr 2016/17 wurden der Agentur gemeldet, eine Steigerung um 9,6 Prozent. Die Zahl der Bewerber hingegen sank um 255 (9,2 Prozent) auf 2527.

Genau diese Diskrepanz ist das Problem, sagt Schmidt. Unabhängig von der demografischen Entwicklung sinke der Anteil derjenigen, „die wir für eine duale Ausbildung gewinnen können“. Der Trend gehe zum Studium, von den Schülerzahlen her sei das Gymnasium „das, was vor 20 Jahren die Hauptschule war“.

Der Zulauf, den die Hochschulen hätten, sei zwar positiv, „aber wenn wir nur noch Menschen haben, die studieren, und keine mehr, die eine duale Ausbildung machen: Dann haben wir ein Problem.“ Dies zeige bereits „mehr und mehr das Handwerk“, so der Agenturchef. In manchen Bereichen sei die Situation besonders schwierig: „Sie finden heute niemanden mehr, der Fleischer oder Metzger werden will, und kaum jemanden, der Bäcker werden möchte.“ Und alles, was mit „Dreck und draußen“ zu tun habe, sei ebenfalls nicht mehr sonderlich gefragt.

1,35 Ausbildungsstellen kommen im Zuständigkeitsbereich der Siegener Agentur – Siegen-Wittgenstein und Olpe – auf jeden Bewerber. Das ist der höchste Wert aller Agenturbezirke in Nordrhein-Westfalen. Der Markt habe sich verschoben, viele junge Leute könnten sich mittlerweile ihren Ausbildungsplatz frei aussuchen.

1002 Bewerber sind aktuell trotzdem unversorgt. Bei 1715 unbesetzten Stellen kommen auf jeden davon 1,71 freie Stellen. Rein rechnerisch könnte damit zwar jeder Jugendliche versorgt werden, faktisch sagen die reinen Zahlen aber nichts darüber aus, ob Angebot und Nachfrage zueinander passen. Gerade der räumliche Aspekt fällt dabei ins Gewicht: Wer in Siegen wohnt, kann sich beispielsweise mit einer Stelle in Erndtebrück nicht immer anfreunden – und umgekehrt. Noch schwieriger sei es, wie Schmidt betont, Bewerber von weiter weg zum Umzug in die Region zu bewegen. Dennoch werde dieser Ansatz mit dem Projekt „Mobil zum Ziel“ verfolgt

1667 der insgesamt 2527 gemeldeten Bewerber kommen im laufenden Ausbildungsjahr aus Siegen-Wittgenstein, 860 aus dem Kreis Olpe.

771 Bewerber im Agenturbezirk interessieren sich laut Statistik für den Bereich „Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung“. Damit ist dieser Spitzenreiter bei den Interessenten – und mit 1371 gemeldeten Stellen auch bei den Unternehmen, die Plätze anbieten. Die wenigsten Bewerber gibt es mit 27 im Segment „Geisteswissenschaften, Kultur, Gestaltung“. Dem stehen auch nur 12 Stellen gegenüber, sieben davon für das Berufsfeld Innenarchitektur/Raumausstattung.

0 Chancen auf einen von der geografischen Entfernung her passenden Ausbildungsplatz im Wunschjob erfordern von den jungen Menschen oft ein Umdenken, bei dem die Berufsberater der Agentur helfen, „um Alternativen aufzuzeigen“, erläutert Schmidt. Den Jugendlichen seien oft „nur wenige Berufsbilder bekannt“, so dass ein größerer Überblick Orientierung biete und neue Möglichkeiten eröffnen könne.

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