Siegen-Wittgenstein. Der Kreis Siegen will die Wilnsdorfer Niederlassung des Regionalen Sozialdienstes aufgeben. Dagegen gibt es Widerspruch aus der Politik.
Auch vor dem Hintergrund zunehmenden Fachkräftemangels stellt der Kreis Überlegungen an, das Jugendamt umzustrukturieren. Es werde schwieriger, das Zwei-Augen-Prinzip mit erfahrenen Mitarbeitern einzuhalten, berichtete jetzt Pia Cimolino, Leiterin des Kreisjugendamts, im Sozialausschuss.
1. Aspekt: Unerfahrener Nachwuchs.
Ausbildung von Sozialarbeitern ist seit der Einführung des Bologna-Systems (Bachelor/Master) Veränderungen unterworfen worden, vor allem was die staatliche Anerkennung betrifft. Im Kreis hatten die großen Arbeitgeber in diesem Bereich mit der Universität Siegen ein Berufseinmündungsjahr vereinbart, das nach der theoretischen Ausbildung begleitende Seminare enthielt, die Berufsanwärter erhielten in diesem einjährigen „Schonraum“ ein Praktikantengehalt. Zwischenzeitlich hatte die Landesregierung per Runderlass diese Regelung gestrichen, auch Fachhochschulen konnten die Anerkennung eigenständig handhaben.
2018 gab es dann eine Gesetzesänderung, nach der Studierende mit 100 Tagen Praxiseinsatz, die sie während des Studiums absolvieren, den Anspruch auf die staatliche Anerkennung erwerben. „Wir hätten auch lieber berufserfahrene Bachelor- und Masterstudierende“, sagt Pia Cimolino, „aber die gibt es heute nicht mehr.“ Die Behörde arbeite daran, ein Mentorensystem einzuführen. Das sei schwierig, denn die Betreuung junger Kollegen müsse von den erfahrenen Mitarbeitern während der Arbeitszeit bewerkstelligt werden, „es gibt keine zusätzliche Stelle.“
In dieser Situation würden auch Fehler passieren, so Cimolino auf Nachfrage – sie tritt aber Gerüchten entgegen, dass aufgrund der Personalknappheit Neulinge allein Hausbesuche machen würden. „Besuche nach Meldungen zur Kindeswohlgefährdung werden immer nach dem Vier-Augen-Prinzip erledigt“, betont sie. „Kein Neuling macht alleine Hausbesuche, um solche Meldungen zu überprüfen.“
2. Aspekt: Große Flächen für kleine Teams
Um besser auf solche Situationen reagieren zu können, wird innerhalb der Kreisverwaltung eine Umstrukturierung des Jugendamts diskutiert; auch ein Gutachter hatte dazu geraten, Standorte zusammenzulegen. Derzeit gliedert sich der Regionale Sozialdienst (RSD) in die Bereiche Nord (Kreuztal, Hilchenbach) mit Sitz in Kreuztal, Mitte (Freudenberg, Netphen, Sitz in Weidenau) und Süd (Wilnsdorf, Neunkirchen, Burbach). Die Stadt Siegen hat ein eigenes Jugendamt.
„Diese Veränderungen in der Infrastruktur haben nichts mit Einsparungen zu tun“, betont Dezernentin Helge Klinkert. Vielmehr seien die Mitarbeiter in kleinen Einheiten in der Fläche tätig, in den Filialen könne die Zentrale nicht adäquat steuern und reagieren, so die Überlegung. Studien sowie der Austausch mit anderen Jugendämtern, die nach einem solchen Prinzip arbeiten, hätten das bestätigt.
Denn: Würde das Jugendamt zentralisierter arbeiten, so Klinkert, könne man jederzeit reagieren – wenn in der personell kleinen Filiale Süd beispielsweise jemand im Urlaub, ein anderer krank sei, könne es schon schwierig werden mit dem Vier-Augen-Prinzip. Und gerade in diesem Bereich seien die Meldungen zur Kindeswohlgefährdung enorm angestiegen, sagt Pia Cimolino. „Das schaffen wir nicht mehr mit den kleinen Einheiten.“ Statt Außenstellenkonzept könne man mit einer Zusammenfassung mehr erreichen.
Es sei der derzeit so gut wie unmöglich, je eine halbe Stelle für die Bereiche Süd und Mitte zu besetzen, „wir finden kein Personal dafür“, sagt Cimolino. „Diese Orientierung an den Gemeindegrenzen können wir auf Dauer nicht aufrecht erhalten.“ Ohnehin sei es so, dass das Büro des Bereichs Süd in Wilnsdorf nur für Wilnsdorfer gut erreichbar sei – ob nun Burbacher nach Wilnsdorf oder Siegen fahren, sei vielleicht verschmerzbar. Ohnehin arbeitet das Jugendamt nicht wie ein Bürgerbüro: In erster Linie suchen die Mitarbeiter Familien mit Problemen auf, bieten dort Beratung und Unterstützung an. „Der Kontakt zu den Familien findet dort oder in speziellen Räumen statt“, betont die Jugendamtsleiterin.
3. Aspekt: Ablehnung in der Politik
Unter anderem die Freudenberger Sozialpolitikerin Cornelia Busch-Pfaffe (CDU) lehnt eine Auflösung der Bereiche ab und fordert einen „niederschwelligen Zugang“, „schnelle Ansprechpartner“ beim Jugendamt. „Wenn man das früher so geplant hatte, dann hatte das gute Gründe“, sagt sie. Eine Zentralisierung mache den Zugang schwerer. Auch Karl-Heinz Jungbluth (FDP), früher selbst beim Jugendamt tätig, sieht keinen Grund zur Umstrukturierung: „Wir haben damals in kleinen Einheiten sehr effektiv und gut gearbeitet.“ Der Wilnsdorfer Gemeinderat hatte bereits im vorigen Jahr gegen den Abzug des Regionalen Sozialdienstes votiert.