Siegen. . Fast täglich erhalten Senioren Betrügeranrufe. Die Täter sind gut organisiert, die Tricks ausgefeilt. Wir erklären ihre Maschen.
Die Zahl der Enkeltrick-Anrufe explodiert. Was früher alle paar Monate vorkam, ist inzwischen ein nahezu tägliches Phänomen. „Die ältere Generation wird systematisch heimgesucht“, sagt Wilfried Bergmann, leitender Polizeidirektor der Kreis-Polizeibehörde Siegen. Die Täter, die meist in der Türkei säßen, seien hochgradig professionell organisiert. Ihr Vorgehen, so Bergmann: „Völlig perfide – aber effizient.“
Die Maschen
Im Wesentlichen sind es meist zwei Maschen, die in variierenden Formen angewendet werden.
Der Enkeltrick: Der Anrufer tut, als sei er ein Verwandter – nicht selten beginnen diese Gespräche mit „Rate mal, wer dran ist!“ Nennen die Angerufenen dann einen Namen, wird emotionaler Druck aufgebaut: Der Enkel befinde sich in einer finanziellen Notlage, brauche Geld und werde jemanden vorbeischicken, der dieses abholt. Oft sind die Summen so hoch, dass die Opfer sogar noch veranlasst werden, zur Bank zu gehen und extra größere Beträge abzuheben.
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Der Falscher-Polizist-Trick: Dieses Vorgehen, erläutert Wilfried Bergmann, werde immer häufiger angewandt. Der Anrufer gibt sich als Polizist aus, erzählt etwas von einer Einbruchserie in der Nachbarschaft und sagt den Opfern, ein Kollege werde vorbeikommen und Wertgegenstände und Bargeld abholen und in Sicherheit bringen.
Die Opfer
Die Täter haben es gezielt auf alte Menschen abgesehen, „da wird eine Altersgruppe systematisch ausgebeutet“, betont Wilfried Bergmann. „Gerade die Einsamkeit vieler wird ausgenutzt“, erläutert Claudia Greve, Leiterin der Kriminalpolizei.
Die Opfer freuen sich, dass sie überhaupt jemand anruft und sich mit ihnen unterhält – und schreiben die Tatsache, dass sie die Person nicht wirklich erkennen, vielleicht ihrer inzwischen eingeschränkten geistigen Beweglichkeit zu. Sie erleben Aufmerksamkeit und Zuwendung – und obwohl diese aus betrügerischer Absicht vorgeheuchelt ist, wollen sie dem vermeintlichen Enkel natürlich helfen.
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Bei den „falschen Polizisten“ kommt oft eine Art von Obrigkeitshörigkeit ins Spiel, wie sie bei der älteren Generation oft noch zu finden sei, sagt Greve: Wenn die Polizei etwas sagt, wird es wohl seine Richtigkeit haben – und es ist Folge zu leisten.
Die Täter
Früher saßen die Täter oft in Osteuropa, heute operieren sie vorwiegend aus der Türkei – wobei sie vor Ort in Deutschland natürlich Komplizen haben, die für die Übergabe der Beute ausrücken. „Sie können sich das wie ein Callcenter vorstellen“, erklärt Claudia Greve.
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Die Anrufer gehen deutsche Telefonbücher durch auf der Suche nach Namen, die auf ältere Menschen hindeuten – Grete, Lieselotte, Erich. Gerade beim Falscher-Polizist-Trick rufen sogar Teams an; die Opfer erhalten mehrere Anrufe in kurzen Abständen von falschen Polizisten, falschen Staatsanwälten, falschen Sparkassenmitarbeitern, die alle mit demselben verbrecherischen Ziel auf sie einwirken.
„Die Leute werden kirre gemacht“, sagt Wilfried Bergmann. Um die Lügengeschichte von der Einbruchserie in der Nachbarschaft zu untermauern, rufen die Täter mitunter sogar selbst die Polizei und melden verdächtige Beobachtungen – damit die Seniorinnen und Senioren beim Blick aus dem Fenster echte Streifenwagen auf der Straße sehen und die Bedrohung für real halten. Und im Telefondisplay erscheint aufgrund technischer Manipulation – so genannten Spoufings – nicht die tatsächliche Nummer der Anrufer, sondern die 110 oder die Nummer der lokalen Polizeibehörde.
Die Statistik
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In der Kriminalstatistik wurden die reinen Anrufe bisher nicht erfasst – weil die Tatorte im Ausland liegen. Das wird sich 2019 ändern, weshalb – so die Schätzung des leitenden Polizeidirektors – die nächste Kriminalitätsstatistik einen Zuwachs an Straftaten ausweisen wird. Im Jahr 2018 zählte die Kreis-Polizeibehörde 80 Versuche und zwei Fälle, in denen es zur Übergabe von Geld kam. „Wir sehen da aber nur die ganz kleine Spitze eines ganz großen Eisbergs“, nimmt Bergmann an.
Die Ermittlungen
Aufgrund der Strukturen ist es schwierig, die Täter im Ausland dingfest zu machen. Außerdem geht die Polizei von einer hohen Dunkelziffer aus, auch was Fälle angeht, in denen die Verbrecher Erfolg hatten. „Viele schämen sich, wenn sie auf die Betrüger hereingefallen sind – und melden sich dann aus falscher Scham nicht bei uns“, befürchtet Claudia Greve. Dabei bestehe dazu nicht der geringste Grund, weil die Polizei immer auf der Seite der Opfer sei. „Schön wäre, wenn uns auch jeder Versuch gemeldet würde.“ Das erhöhe die Chancen, den Betrügern das Handwerk legen zu können.
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