Hilchenbach. . Vor 27 Jahren hat Suttner Kultur Pur erfunden, jetzt geht er in den Ruhestand. Ein Spaziergang durch die Zelttheaterstadt.

Es ist so weit. Wolfgang Suttner, 1990 von Oberkreisdirektor Karlheinz Forster zum ersten Kulturreferenten des Kreises Siegen-Wittgenstein bestellt, verabschiedet sich mit 66 in den Ruhestand. Er ist der Erfinder des Kulturbüros, des Kulturhauses Lyz. Und von Kultur Pur. Das 27. Festival ist das letzte, das er geleitet hat.

Was wir zum Abschied machen? Ich schlage Wolfgang Suttner, den ich Ende der 1970er als Schüler am Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium kennen gelernt habe — da war er Referendar und wollte eigentlich Lehrer für Kunst und Deutsch werden, dachte ich —, einen Spaziergang über das Festivalgelände vor.

1. Station

Der Eingang

Wer hier von der Gillerbergstraße einbiegt, trifft links auf den Info- und Kassencontainer und rechts auf die vor zwei Jahren erstmals installierte kleine Fressmeile. „Rahmbrot wollte ich hier immer schon haben.“ Wolfgang Suttner fängt mit sinnlichen Genüssen an. Essen und Trinken, und zwar nicht nur Bratwurst und Bier. Und das Bild: weiße Zelte, grüne Wiesen, blauer Himmel. „Wir haben lange gedacht, das Geschehen in den Zelten sei das Wichtigste.“ Ist es aber nicht. Die Leute kommen, um sich zu treffen, „aus Liebe zum Hiersein“, sagt Suttner. „Das war uns lange nicht klar.“

Rahmbrot – ein langgehegter Wunsch Wolfgang Suttners.
Rahmbrot – ein langgehegter Wunsch Wolfgang Suttners.

Der Giller. Und — mit Ausnahme des Debüts der damals einmal so genannten „Sommerbühne“ — immer Pfingsten. Und nicht der Siegerland-Flughafen. Und nicht der September. Das sind so Ideen, die frustrierten Festivalmachern nach Schneefall, Dauerregen und Gewitterstürmen so kommen. „Aber dann geht am nächsten Morgen die Sonne wieder auf.“

Wolfgang Suttner ist wie die meisten Siegerländer dieser Generation mit dem Giller als Ausflugsziel zum Ski- und Schlittenfahren und als Austragungsort des Gillerberg-Turnfests im Sommer groß geworden. „Beim Weitsprung habe ich versagt.“ Als Festivalort habe Umweltamtsleiter Friedhelm Schutz den Giller empfohlen, verrät Suttner. Weil die Leute den Platz als Ausflugsziel kennen. Und weil er die einzigen Bedingungen erfüllte, die OKD Forster für den Standort machte: nicht Siegen. Und an der alten Kreisgrenze.

Wir gehen weiter und werden aufgehalten: „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken“, sagt eine Frau, „für die 27 Jahre Kultur Pur“.

2. Station

Das kleine Zelttheater

„Das war unser Anfangszelt.“ Draußen liefen damals, in den 1990ern, Walk Acts herum. Später wurden das ausgeklügeltere Rumsteh­acts, wie Suttner das formuliert. Heute ein finessenreiches Umsonst- und Draußen-Programm. Ein Spruch von Bob Geldof steht über dem Eingang: Der über den Giller als „Middle of Nowhere". Nicht der andere, den er nur Suttner, dem Kunstkurator, gesagt hat: „Du bist doch der Typ, der die grässlichen Bilder von Paul McCartney ausgestellt hat.“

Ausgeklügelter Rumsteh-Act: „Superhallo – De Remix, Hoera!“
Ausgeklügelter Rumsteh-Act: „Superhallo – De Remix, Hoera!“

Wolfgang Suttner formuliert ein Motto, das ihn auch als Lehrer hoch hinaus — bis auf den Rosterberg – gebracht hat: „Man kann alles lernen, wenn man es liebt.“ Auch das Kulturmanagement. „Das haben wir Stück für Stück gelernt.“ Dass der Giller auch für große Stars eine gute Adresse wurde, ist kein Zufall und der legendär guten Betreuung geschuldet: „Ich wusste ja, wie Künstlerseelen ticken.“

3. Station

Vor dem großen Zelttheater

Wenn hier 2000 stehen und auf den Einlass warten, sagt Wolfgang Suttner, „dann hast du das Gefühl: Ich habe die Leute erreicht.“ Das klappt nicht immer, gerade nicht bei Kultur Pur, das den Anspruch hat, auch neue, weniger bekannte Namen in die Region zu holen. Und auch einmal neue Darstellungsformen auszuprobieren. „Die Abstimmung findet an der Kasse statt.“

Bei uns Zeitungsleuten sei das anders, vergleicht Suttner, unser ehemaliger Kinokritiker „WoSu“: Wenn jemandem ein Artikel gefalle, bestelle er ja nicht vor Freude ein zweites Abo dazu...

4. Station

Großes Zelt, Innen, Block A

„Hier bin ich gern.“ Vorn links vor der Bühne, da ist auch bei den bestbesuchten Konzerten immer noch ein bisschen Luft. An diesem Sonntagnachmittag steht der Aufbau für das Konzert der Philharmonie. Am Abend wird Suttner verabschiedet. Und er wird zum ersten Mal selbst moderieren. Das sei schon „richtig blöd“, dieser Abschiedsreigen, sagt Suttner. „Das geht mir emotional sehr nah.“

Großes Festzelt, Philharmonie Südwestfalen: Zwei Herzensangelegenheiten Suttners.
Großes Festzelt, Philharmonie Südwestfalen: Zwei Herzensangelegenheiten Suttners.

Andererseits, überlegt er, ist der Zeitpunkt zum Gehen gar nicht so falsch. Das Festivalgeschäft werde schwieriger: Musiker, die kaum noch Tonträger verkaufen, müssen ihr Geld mit Konzerten machen — die entsprechend teuer werden. Und dann kommen die wachsenden Anforderungen an die Sicherheit hinzu. „Marek Lieberberg ist frustriert“, sagt Suttner über den Kollegen, dem sie Rock am Ring unterbrochen haben. Er ist nicht der einzige. „Diese Attentate auf Kulturstätten berühren uns sehr“, sagt Wolfgang Suttner, „man ist einfach nicht mehr so fröhlich dabei.“

5. Station

Backstage, Technikzelt

Der Arbeitsplatz der Techniker und Bühnenmanager. Verlassen liegen Laptops, Käsescheiben, Bananen und Gummibärchen auf dem Tisch. Suttner zapft eine Cola. Hier, sagt er, sei im größten Trubel die Oase der Ruhe. Und hier bewährt sich das Team, sagt Suttner, ohne das alles nichts wäre. Der Tag der Leute hinter der Bühne hat mit dem Programm vorne wenig gemein. Auf dem Flipchart sind die wichtigsten Marken des Tages mit Uhrzeit vermerkt. „SC“ steht für Soundcheck, „Doors“ für den Einlass, „Show“ — na ja, das ist das, weshalb alle da sind. Manchmal gibt es dann noch „Runout“: Das ist gar nicht nett und heißt, dass der Schlussapplaus mit Filmchen und Band noch ein bisschen warmgehalten wird, während der Star schon davonrauscht, vor dem allgemeinen Gillerabtrieb. „Das spart denen eine Stunde.“

Die letzte Runde von Wolfgang Suttner

Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller.
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller. © Hendrik Schulz
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller.
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller. © Hendrik Schulz
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller.
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller. © Hendrik Schulz
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller.
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller. © Hendrik Schulz
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller.
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller. © Hendrik Schulz
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller.
Kreiskulturreferent und Festivalleiter Wolfgang Suttner bei seinem letzten Rundgang über das Kultur-Pur-Gelände auf dem Giller. © Hendrik Schulz
Kreiskulturreferent Wolfgang Suttner bei seinem letzten Kultur Pur als Festivalleiter am Sonntag, 4. Juni 2017 auf dem Giller.
Kreiskulturreferent Wolfgang Suttner bei seinem letzten Kultur Pur als Festivalleiter am Sonntag, 4. Juni 2017 auf dem Giller. © Hendrik Schulz
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6. Station

Bühneneingang

„Hier stehe ich und warte geduldig.“ Die Stars werden vom Festivalleiter persönlich begrüßt und verabschiedet. Auch wenn immer heißt, Künstler wollten am liebsten in Ruhe gelassen werden. „Es hat noch keinen gegeben, der sich nicht darüber gefreut hat“, sagt Suttner. Doch. Einen: Ian Anderson habe sogar den Handschlag verweigert. Oft wartet Suttner auch nicht allein, sondern zusammen mit Fans: Die „Meets and Greets“ haben sich manche Künstler als weitere Einnahmequelle erschlossen. 170 Euro für ein paar Minuten sind da nichts.

Über Begegnungen hinter den Kulissen schreibt Suttner gerade ein Buch, vor allem für sein Team. Darin dürften dann auch Episoden über nächtliche Runden in der Giller-Gastronomie oder später in Hotelbars stehen. Von früher. Gemeinsames Ausgehen nach der Show? „Das macht man heute nicht mehr — die sind mit einer unglaublichen Zeitökonomie unterwegs.“ Auch Sarah Connor mochte sich, obwohl sie zwei Konzerte gab, auf den einst gefeierten Geist des Gillers nicht einlassen. Sie übernachtete in Köln.

Top-Acts bei "KulturPur" 2017

Die Kulisse des
Die Kulisse des "KulturPur" 2016. © Hendrik Schulz/WP
Die Sängerin Sarah Connor kommt zum Festival
Die Sängerin Sarah Connor kommt zum Festival "KulturPur" auf dem Giller. © dpa
Die Sängerin Sarah Connor kommt zum Festival
Die Sängerin Sarah Connor kommt zum Festival "KulturPur" auf dem Giller. © Ingo Otto / FUNKE Foto Services
Matt Simons kommt zum Festival
Matt Simons kommt zum Festival "KulturPur" auf dem Giller. © Stephan Eickershoff / FUNKE Foto Services
Matt Simons kommt zum Festival
Matt Simons kommt zum Festival "KulturPur" auf dem Giller. © Stephan Eickershoff / FUNKE Foto Services
Der deutsche Sänger Clueso kommt zum Festival
Der deutsche Sänger Clueso kommt zum Festival "KulturPur" auf dem Giller. © dpa
Der Sänger Clueso kommt zum Festival
Der Sänger Clueso kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © dpa
Die Band Blues Pills kommt zum Festival
Die Band Blues Pills kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Sebastian Konopka / WAZ FotoPool
Die Band Blues Pills kommt zum Festival
Die Band Blues Pills kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Sebastian Konopka / WAZ FotoPool
Die Philharmonie Südwestfalen kommt zum Festival
Die Philharmonie Südwestfalen kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Joachim Haenisch / Funke Foto Services
Die Philharmonie Südwestfalen kommt zum Festival
Die Philharmonie Südwestfalen kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Joachim Haenisch / Funke Foto Services
Nina Attal kommt zum Festival
Nina Attal kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © imago
Nina Attal kommt zum Festival
Nina Attal kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © imago
Roger Hodgson (Ex-Supertramp-Star) kommt zum Festival
Roger Hodgson (Ex-Supertramp-Star) kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Stefan Arend / Funke Foto Services
Roger Hodgson (Ex-Supertramp-Star) kommt zum Festival
Roger Hodgson (Ex-Supertramp-Star) kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Stefan Arend / Funke Foto Services
Dieter Falk & Sons kommt zum Festival
Dieter Falk & Sons kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Gerd Wallhorn/WAZ FotoPool
Dieter Falk & Sons kommt zum Festival
Dieter Falk & Sons kommt zum Festival "KulturPur" auf den Giller. © Gerd Wallhorn/WAZ FotoPool
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7. Station

Künstlergarderobe, Sofaecke

Was kommt nach dem 1. Juli? „Ich freue mich darauf, viel Zeit zu haben.“ Und darauf, das lässt sich aus dem Folgenden schließen, diese Zeit auszufüllen: mit ehrenamtlicher Arbeit, viel Kulturrats-Tätigkeit in Berlin – „das werde ich verstärken und weitere Aufgaben übernehmen.“ Zum Beispiel für das Kunsthaus Kloster Gravenhorst, wo er ein Stipendiatenprogamm begleitet. Kulturpolitik sei spannend, sagt Suttner, der Karrieren in Großstädten oder Ministerien zugunsten der Aufgabe in Siegen-Wittgenstein ausgeschlagen hat. Entspannt müsse es halt sein, sagt er über das,was er machen wird: „Das darf nicht mehr in Arbeit ausarten.“ Und Pfingsten 2018? Wolfgang Suttner als Nur-noch-Zuschauer auf dem Giller? „Ich weiß es noch nicht.“

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Generationswechsel: Drei Männer haben sich 1990 gemeinsam mit Wolfgang Suttner Kultur Pur ausgedacht: Stephan Schliebs stieg als erster aus, weil sein Arbeitgeber, die Stadt Siegen, ihn zurückzog. Michael Townsend ging 2007, als er von Kreuztal nach Bochum wechselte, wo er jetzt Stadtdirektor ist — auch er wird in diesem Jahr 65. Und Hartmut Kriems: Der Geschäftsführer des Gebrüder-Busch-Kreises ist ab 1. Februar 2018 Rentner. Längst schon weg ist Georg Klein, der erste Organisationschef: Der erste Ruheständler des Kulturbüros erlebt Kultur Pur seit 2014 als zuschauender Camper.

8. Station

Getränkestand, der erste neben dem Bühnenausgang

„Gott, ist das voll.“ Um die 20 000 Menschen sind an allein an diesem Sonntagnachmittag draußen auf dem Gelände. Wolfgang Suttner scheint glücklich zu sein.

Verabschiedung bei Philharmonie-Konzert

Er sei ein „Unikat, Künstler, Politiker und herzensguter Mensch“: Mit diesen Worten würdigte Prof. Christian Höpner, Präsident des Deutschen Kulturrats, beim Eröffnungsempfang des Festivals seinen langjährigen Mitstreiter in Berlin. Wolfgang Suttner ist Sprecher im Deutschen Kunstrat und vertritt die Bildende Kunst seit 18 Jahren im Deutschen Kulturrat.

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Zu Beginn des Konzerts der Philharmonie Südwestfalen würdigte Landrat Andreas Müller den scheidenden Kulturreferenten. Wolfgang Suttner sei „der Mann, dem wir dieses Festival verdanken“. Er habe Weltstars wie Mikis Theodorakis, Gilbert Bécaud, Juliette Grécon auf den Giller geholt, „uns alle immer wieder neu begeistert“. Mit dem Festivalleiter geht auch der geschäftsführende Vorstand der Philharmonie — auch dieses Amt hat Suttner ausgefüllt. „Er hat einen wirklich tollen Job gemacht“, sagte Müller. Das Publikum dankte Suttner mit minutenlangen stehenden Ovationen.

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