Siegen-Wittgenstein. . Rock Freaks, Vortex und Co: Die sogenannten „Subkulturen“ stärken vor allem die Universitätsstadt Siegen als Stützpunkt der Alternative-Szene.
- Finanzen: Zuschüsse kommen nicht, schon wenige hundert Euro wäre große Hilfe
- Werbung: Siegener Plakatierungs-Regime; Stadt hat Reklamefirma Monopol verkauft
- Stadtentwicklung: Negative Entwicklung auch in Siegen – Stichwort Ketten-Gastronomie
Die Politik des Kreises nähert sich der Kultur jenseits von Philharmonie und Gegenwartskunst, Apollo und Lyz. „Machen wir unsere Kulturpolitik womöglich an den Nachwachsenden vorbei?“, fragt Kulturausschussvorsitzender Winfried Schwarz (SPD), bevor er die erste – gedankliche – Expedition in subkulturelle und alternative Szenen einleitet.
Das Attribut „Jung“ vermeidet Schwarz: Die „Nachwachsenden“, die gleich erstmals eine Bühne in der Politik bekommen, gehen auch schon auf die 40 zu. Jens von Heyden, Organisationschef des Kulturbüros, lässt ein paar mehr Namen von Projekten fallen: „KGB“ steht für „Kunst gegen Bares“, die Gruppe 3/55 gestaltet die Siegener Kunstwechsel, Eva und Klaus Vetter haben aus dem Kreuztaler Lokschuppen die Tango-Adresse „Basico“ gemacht, in Breitenbach gibt es eine Kulturscheune…
Beispiel 1: Die Rockfreaks
35 Rockfreaks (so viele Mitglieder hat der Verein), die seit sieben Jahren auf dem Deuzer AWO-Gelände das Freak Valley Festival ausrichten. „Eine absolute Erfolgsgeschichte.“ 2800 Tickets sind für dieses Jahr ohne viel Werbung an Besucher aus 25 Ländern verkauft worden, „die wenigsten aus dem Siegerland“. Für 69 Euro bekommen sie an drei Tagen vom 14. bis 17. Juni Zutritt zu Konzerten mit 27 Bands, den Shuttle vom Beienbacher Camp – und freies Duschen. Die „Ältesten“ unter den Gästen schätzt Heide auf Mitte 50 – die buchen Hotels in Siegen.
Das Festival, sagt Heide, „hat unter Musikern einen ganz hervorragenden Ruf. Wir haben eher das Problem, Bands abzuwimmeln.“ Verdienen wollen die Rockfreaks nichts. Was nach Abzug der Kosten übrig bleibt, spenden sie der AWO, die ihr Gelände vor den Rockfreaks auch schon für die legendären Rock & Reggaes zur Verfügung gestellt hat. Kulturreferent Wolfgang Suttner spricht von einer „ganz hervorragenden Werbewirkung für unsere Region“: In Berlin sei das Festival in Deuz jedenfalls bekannter als Kultur Pur.
Beispiel 2: Das Vortex
Philipp Bade hat aus dem „Travel Inn“ an der Weidenauer Bahnschranke das Vortex gemacht. Hardcore-Rock, Metal, Techno, House, Goa, Hip Hop: Bade berichtet von seinem Projekt, die kleine Siegener Partyszene anzureichern. Je nach Sparte nehmen Besucher weite Wege auf sich, Plakate nennen Siegen in einer Linie mit Berlin, Hamburg, München. Auch die Rock Freaks gestalten dort zwei bis drei Shows pro Monat. „Wir fangen an, die Leute davon abzuhalten, nach Köln zu fahren.“
Das Semesterticket macht das leicht, einschließlich der After-Show-Party im Frühzug zurück, weiß Bade: „Das ändert sich jetzt ein bisschen.“ Was nicht allein an Vortex, Wolkenkuckucksheim, Meyer, VEB & Co, liegt, sondern auch an reduzierten Ausgehgewohnheiten. Was Bade für einen Fehler hält: „Wenn ich Personaler wäre, würde ich keinen nehmen, der seinen Bachelor in sechs Semestern gemacht hat.“
Was sie brauchen
Foto: Thorsten Wroben Finanzen: Vortex wie Rock Freaks arbeiten auf dünnem Eis. Zuschüsse bekommen sie nicht. Sollte aus irgendeinem Grund ein Freak Valley Festival abgesagt werden müssen, so Jens Heide, „hätten wir ein riesiges Problem.“ Philipp Bade geht auf eine SPD-Idee ein: „Bevor man eine Halle baut, sollte man Kultur fördern, die unten entsteht.“ Für dasselbe Geld könnten 200 bis 300 Veranstaltungen mit 300 bis 400 Euro gefördert werden. „Für uns sind das große Summen.“
Werbung: Ein Ärgernis für Philipp Bade ist das Siegener Plakatierungs-Regime; die Stadt hat einer Städtereklamefirma das Monopol verkauft. Bleiben Facebook und die eigene Homepage – denn die vom Kreis angebotene Plattform „Kultur Aktuell“ überzeugt wohl, wie Bade vorsichtig durchblicken lässt, nicht unbedingt: „Ich versuch’s mal.“
Stadtentwicklung: Was die Kneipenszene angeht, „verändert sich die Stadt negativ“, sagt Philipp Bade. Ketten-Gastronomie greift Raum, „mit Kultur hat das nichts zu tun.“ Er nennt das Ende von „AmaDeus“: „Es wird immer dünner – bis auf die Spielhallen“.
Was der Kreis tut
„Uns geht es darum, dass Studenten anfangen, ihr Leben in Siegen so zu leben, wie sie das in anderen Universitätsstädten auch tun“, sagt Kulturausschussvorsitzender Winfried Schwarz (SPD). Er regt an, „uns über die Förderpolitik neu zu verständigen“. Und beerdigt die Idee einer alternativen Veranstaltungsstätte: „Diese Halle können Sie gleich vergessen.“
Im Raum steht weiterhin der Wunsch der SPD, die Kulturpolitik des Kreises insgesamt auf den Prüfstand zu stellen, und das Interesse der CDU, über die Ausrichtung des Kulturbüros nach der Pensionierung von Wolfgang Suttner zu sprechen. „Dafür gibt es noch ausreichend Anlässe“, sagt Landrat Andreas Müller im Gespräch mit dieser Zeitung. In nicht öffentlicher Sitzung wies Müller die Forderung der CDU zurück, sich zur Zukunft des Kulturbüros zu äußern.
Die, so Müller, obliege seiner Organisationsgewalt und sei somit der politischen Mitwirkung entzogen. Die CDU-Fraktion hatte bereits im vorigen Jahr vergeblich versucht, den Kreistag die – vom Landrat nicht beabsichtigte – Wiederbesetzung der Stelle des Kulturreferenten beschließen zu lassen.