Siegen. . Chirurgen im St.-Marien-Krankenhaus nehmen Eingriffe statt mit Skalpell über Steuerkonsole und 3D-Technik vor – gut für Patient und Operateur.

Im Operationssaal 8, dritte Etage des St. Marien-Krankenhauses. Die Vitalzeichen sind gut, regelmäßiges Piepsen der Geräte, Dr. Dietmar Stephan prüft noch einmal, liest die Patientenkarte vor: „Leistenbruch rechts,... Fangen wird an.“ Die Schwestern haben die Frau intubiert, die Narkose wirkt. Dann stürzt sich der Chirurg in den Bauchraum der Patientin.

So sieht es jedenfalls auf dem Monitor aus, vor dem Dietmar Stephan sitzt, statt sich über die Patientin auf dem OP-Tisch zu beugen. Seit dem 14. März ist ein Robotik-System im St. Marien-Krankenhaus im Einsatz, mit dessen Hilfe drei Chirurgen operieren. Statt mit Skalpell, Zange und Tupfer, arbeiten Dr. Stephan und seine Kollegen mit 3D-Brille, Steuerkonsole und drei Instrumentenarmen, die als verlängerte Arme des Operateurs surrend in Position schwingen. Das System ist das einzige dieser Art in Deutschland.

16-fache Vergrößerung aus der Bauchhöhle

Der Arzt operiert, nicht die Maschine, das betonen sie an diesem Morgen im Krankenhaus, die Ärzte beherrschen die Technik, sie werden nicht durch sie ersetzt. Aber sie nutzen die Vorteile: Durch drei kleine Löcher im Bauch der Patientin bringen sie den Leistenbruch in Ordnung; Roboter werden nicht nervös, sie zittern nicht, sie können ihre Instrumente um die eigene Achse drehen, wo ein menschliches Handgelenk physische Grenzen hat – und sie liefern 16-fache Vergrößerung. Das erhöht die Sicherheit für den Patienten: Wenn der Chirurg sich mal räkelt oder den Rücken kratzt, passiert nichts. Falls er den Fuß vom Pedal genommen hat.

Dr. Dietmar Stephan sitzt vor der Steuerkonsole wie vor einem Spielautomat. Sobald er den Fuß vom Pedal nimmt, stoppt die Maschine jegliche Aktivität.
Dr. Dietmar Stephan sitzt vor der Steuerkonsole wie vor einem Spielautomat. Sobald er den Fuß vom Pedal nimmt, stoppt die Maschine jegliche Aktivität. © Hendrik Schulz

Und Blut fließt auch nicht. Ein Leistenbruch entsteht durch eine Bindegewebsschwäche, im Bauchfell klafft ein Loch, in diesem Fall hat sich Fettgewebe hineingesenkt, „durch die Schwerkraft“, erklärt Dietmar Stephan. Das Fett muss raus, dann wird ein Netz zur Stabilisierung ins Bauchfell eingenäht, um die Lücke zu schließen – wie ein Flicken. „Früher hätten wir das am offenen Bauch operiert“, sagt er. Mit entsprechendem Blutverlust. „Bei 21 Operationen bislang haben nicht einen Milliliter Blut verloren“, sagt Dr. Stephan. Er durchtrennt das Gewebe mit einem Häkchen, durch das Strom fließt. Noch im Schneiden werden die Blutgefäße verödet.

Augen steuern die Kamera

Nicht nur für den Patienten, auch für den Operateur hat die Technologie Vorteile: Er kann in deutlich entspannterer Haltung arbeiten.
Nicht nur für den Patienten, auch für den Operateur hat die Technologie Vorteile: Er kann in deutlich entspannterer Haltung arbeiten. © Hendrik Schulz

Stephan sitzt entspannt wenige Meter vom OP-Tisch entfernt, seine drei mechanischen Arme führen die Befehle der Steuerkonsole aus. Er beugt sich vor, die Kamera zoomt heran, er ruckt den Kopf, das Bild schwenkt – ein Eye-Tracking-System verfolgt seine Augenbewegungen und -position, damit steuert er die Kamera. Wenn er den Fuß vom Gas nimmt, stoppt die Maschine. Ein Pedal ist der Not-Aus-Knopf, nimmt der Chirurg den Fuß herunter, steht die Maschine still.

Pionier der minimalinvasiven Chirurgie

Das Loch liegt frei. Mit Haken und Zange widmet sich Stephan dem Bauchfell, das er so präpariert, dass das stabilisierende Netz eingesetzt werden kann. Die Instrumente am Ende der Maschinengliedmaßen sind austauschbar. Um das Netz an die richtige Position zu manövrieren, nutzt der Operateur eine zusätzliche Fasszange, mit den beiden Geräten fummelt und glättet, schiebt und stopft, faltet und zieht er das Kunststoffgewebe zurecht, „wie Betten machen“, flachst er. „Tacker“, kommandiert er schließlich und seine Assistenz heftet das Netz ans Bauchfell, jetzt wird genäht. „In zehn Minuten sind wir fertig.“ Noch ein bisschen zurren und zupfen – geschafft.

Marienkrankenhaus Siegen: Operation mit Roboter

Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Dr. Dietmar Stephan nach der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System.
Dr. Dietmar Stephan nach der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System. © Hendrik Schulz
Dr. Dietmar Stephan bei der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System.
Dr. Dietmar Stephan bei der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Dr. Dietmar Stephan bei der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System.
Dr. Dietmar Stephan bei der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Dr. Dietmar Stephan bei der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System.
Dr. Dietmar Stephan bei der Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen.
Leistenbruch-Operation mit einem Roboter-System im Marienkrankenhaus Siegen. © Hendrik Schulz
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Schmerzen wird die Patientin keine haben, so gut wie keine, „das ist der Vorteil der Technik“, sagt Stephan. Er ist da Pionier, seit Ende der 80er ist der Leiter des Zentrums für minimalinvasive Chirurgie und Robotik am St. Marien-Krankenhaus als Operateur in Siegen tätig. Nach gut zwei Wochen wird das Netz eingeheilt sein.

>>>>HINTERGRUND: Investition in die Zukunft

Mit diesen Controllern kann der Chirurg sämtliche Operationsinstrumente steuern.
Mit diesen Controllern kann der Chirurg sämtliche Operationsinstrumente steuern. © Hendrik Schulz

Drei Ärzte und zwei Schwestern des St. Marien-Krankenhauses wurden an dem Robotik-System im italienischen Mailand geschult. „Wie Fahrstunden“, erzählt Chefarzt Prof. Frank Willecke. „Ich habe zehn Tage gebraucht, bis ich die Steuerung über den Eye-Tracker beherrscht habe“, sagt er lachend. Im Training operierten die Siegener Mediziner tote Schweine.

Die Klinik verspricht sich von der Anschaffung des zwei Millionen Euro teuren Robotik-Systems verbesserte Rüst- und schnellere OP-Zeiten – was die Fallkosten senkt. „Eine Investition in die Zukunft“, sagt Pressesprecher Dr. Christian Stoffers. Seit dem 14. März hat das St. Marien-Krankenhaus den Apparat in Betrieb – mit bis jetzt äußerst vielversprechenden Ergebnissen.

Um zu untersuchen, ob die Chirurgen wirklich entlastet werden, wurde ein Kooperationsprojekt mit der Uni Siegen ins Leben gerufen. Zudem ist das St. Marien-Krankenhaus Stützpunkt für Nordeuropa auf dem Gebiet der minimalinvasiven Robotik-Chirurgie – um Ärzte auf dem Gerät auszubilden.

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