Siegerland. . Organisierte Strukturen gebe es nicht mehr in der Region, so die Ermittler – aber mehr rechte Einzeltäter als in den anderen Bereichen der Zuständigkeit.
- An den Rändern der Region wachsen rechte Splitterparteien
- Ermittler überwachen Einzeltäter
- Organisierte Strukturen abhängig von Führungspersonen
Der Staatsschutz sieht einen Schwerpunkt der rechten Szene im Siegerland. Zwar gebe es keine organisierten Strukturen in der Region – aber Einzelpersonen, die als Intensivtäter eingestuft werden, so ein für Rechtsextremismus zuständiger Hagener Ermittler.* Die Region ist in diesem Bereich ein Ermittlungsschwerpunkt.
Wie ist die Szene derzeit aufgestellt?
Derzeit, sagt der Kommissar, gebe es keine aktive rechte Organisation im Siegerland. Es gibt aber noch die Personen von früher – und davon durchaus mehr als anderswo. „Die Strukturen sind unter anderem durch Gerichtsprozesse zerschlagen worden“, sagt ein Gewerkschafter und Mitgründer der Initiative „Siegen Nazifrei“*, die Szene sei heute zersplittert: „25 Jahre lang kam es in Siegen immer wieder zu rechtsradikalen Übergriffen, in den letzten Jahren ist es ruhiger geworden.“
Wie war das früher?
Die „Freien Nationalisten Siegerland“ (FNSI) waren eine Gruppierung, die in den Jahren 2008 bis 2011 öffentlich in Erscheinung trat und deutschlandweit gut in der Szene vernetzt war. Einige Akteure betätigten sich politisch, versuchten regionale Ableger rechtsradikaler Splitterparteien wie Pro NRW oder NPD zu etablieren, scheiterten aber. Jüngste Bemühungen alter FNSI-Kader, auf Bürgerbewegungen á la „Pegida“ aufzusatteln, blieben erfolglos. „Trauriger Höhepunkt“, sagt der Gewerkschafter: „Neonazis haben in den 90ern einen Sehbehinderten vor einem Kaufhaus totgeschlagen.“
Welche Gründe gibt es für diese Entwicklung?
Die Strukturen gibt es nicht mehr, die Personen sind aber noch da. „An deren ideologischer Weltsicht hat sich im Zweifel auch nichts geändert“, sagt der Ermittler – aber sie treten strafrechtlich weniger in Erscheinung.
Die Gründe sind oft persönlicher Natur: „Wer älter als Mitte 20 ist, Frau und Kind hat, merkt irgendwann, dass er sie von rechten Parolen nicht ernähren kann“, sagt der Staatsschutz-Ermittler. Einige hätten Hafterfahrung, Arbeitgeber reagierten entsprechend – dieses „Ausschleifen“ rechten Personals sei ein durchaus häufiges Phänomen.
Wenn die „Köpfe“ – die, die Flyer drucken, Aktionen organisieren, Blogs betreiben –, irgendwann wegfallen, zerfasert auch der „Körper“. „Oft“, sagt der Ermittler, „gehe es ums Trinken. Für die politische Arbeit findet sich unter denen keiner.“
Wie arbeitet der Staatsschutz zum Thema?
Nach dem so genannten Handlungskonzept Rechts sollen die polizeibekannten Überzeugungstäter das Gefühl haben, jederzeit unter Beobachtung zu stehen. „Wir bleiben eng dran und halten die Wege kurz“, sagt der Kommissar, es gebe regelmäßige Gefährderansprachen; Möglichkeiten zur Vorladung werden genutzt, um zu signalisieren: Wir beobachten euch.
Prognose?
Erst kürzlich sind im nördlichen Siegerland FNSI-Graffiti aufgetaucht, in Hilchenbach wurde ein Kräuterbeet zum Hakenkreuz verschandelt, das VEB beschmiert. Da kann jemand über alte Schablonen gestolpert sein, jugendliche Mutproben abgelegt haben – oder auch mehr. „Erschreckend“, sagt der Gewerkschafter, sei das Erstarken der rechten Splitterpartei „Der dritte Weg“ in Olpe und im Westerwald. „Das Problem wächst um uns herum“, sagt der Mann – und warnt davor, dass es zum „Altpersonal“ im Siegerland schwappt. Und: Es gebe Knotenpunkte, etwa das Nazihaus in Freudenberg, wo Busse zu Skin-Konzerten organisiert würden.
*Die Namen sind der Redaktion bekannt. Aus ermittlungstaktischen bzw. Gründen des Eigenschutzes möchten die Personen ungenannt bleiben.
>>> Hintergrund: Wie Jugendliche in die Fänge der Nazis geraten
Oft, so der Kommissar, gehe es um Zugehörigkeit: Die „Kameradschaft“ rechter Gruppen ziehe Jugendliche an, biete Gemeinsamkeiten – am einfachsten durch den „gemeinsamen Feind“. So entstünden auch viele rechte Gewalttaten: Gruppendynamik, Alkohol – „da fliegen schnell Fäuste“, so der Ermittler. Aussteiger hätten berichtet, dass die Zugehörigkeit zum rechten Lager eher Zufall gewesen sei: Neonazis gingen in diesen Fällen schlicht als erstes auf die Anschluss suchenden Jugendlichen zu.
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