Siegen. Johannes Kiess von der Uni Siegen über AfD, Pegida, Trump und Rechtspopulisten. Einstellungen seien stabil, Aggressionen würden wachsen

. Haben die Flüchtlinge alles verändert? Warum sonst fährt die zerstrittene AfD zweistellige Ergebnisse ein? Andererseits sind Rechtspopulisten schon länger in Österreich, Holland oder Frankreich erfolgreich. Und in den USA könnte Donald Trump immer noch Präsident werden. Da muss Rechtsextremismus-Experte Johannes Kiess von der Uni Siegen helfen.

Welche Veränderungen sehen Sie?

Johannes Kiess: Wir führen seit 2002 alle zwei Jahre Repräsentativbefragungen durch und stellen dabei eine relativ stabile Situation fest. Wer jetzt rechtsextrem eingestellt ist, war es vorher auch schon, hat aber CDU oder SPD gewählt.

Das ist alles?

Tendenziell ist Ausländerfeindlichkeit eher auf dem Rückzug. Wir hatten 2008 bis 2012 einen Anstieg bei rechtsextremen Einstellungen in Ostdeutschland. Das hat uns überrascht, weil die Finanzkrise sich eher im Westen bemerkbar machte. Aber es ist wohl so, dass die gefühlte Krise entscheidend ist. Objektive Faktoren erklären nur einen kleinen Teil der Stimmung.

Wie messen sie denn rechtsextreme Einstellungen?

Wir haben eine Vielzahl von Kriterien, im Kern sechs Dimensionen wie zum Beispiel Ausländerfeindlichkeit und Verharmlosung Nazideutschlands, um ein mehrdimensionales Weltbild zu erfassen. Aber zentrales Element ist die Ideologie der Ungleichwertigkeit: Wir sind mehr wert als die anderen.

Und solche Grundeinstellungen sind stabil?

Eben. Aktuelle Entwicklungen wie die Finanzkrise oder die Flüchtlinge, das Unbehagen an der Modernisierung und Globalisierung, das Gefühl mangelnder Kontrolle über das eigene Leben wirken dann nur verstärkend und können mehr Abwehr und Aggression erzeugen.

Und die Flüchtlinge?

Der Diskurs hat sich verändert. Abwertende Äußerungen über Muslime sind heute stärker akzeptiert, ganz anders als antisemitische. Es gibt etwas mehr Skepsis gegenüber Asylbewerbern. Die Flüchtlingskrise 2015 war kein Wendepunkt, aber sie hat ein Möglichkeitsfenster für neue Akteure wie AfD und Pegida geöffnet.

Die profitieren auch davon, dass die CDU in die Mitte gerückt ist?

Die AfD profitiert vor allem davon, dass auch SPD und CDU dauernd über Ausländer, Migration und Integration reden. Da gab es nie eine offene Flanke. Ausländerfeinde wurden auch von der SPD bedient. Und wenn Horst Seehofer von Armutszuwanderung spricht, hat das Folgen: Wir beobachten eine verstärkte Verwertungslogik. Wenn wir die Leute reinlassen, sollen sie uns auch etwas nützen.

Gibt es noch große Unterschiede zwischen Ost und West?

Hauptsächlich in der Zusammensetzung der Bevölkerung. Vor allem junge, gut ausgebildete Frauen sind in den Westen abgewandert. Das ist eine Gruppe mit weniger rechtsextremen Einstellungen. Im Osten existiert weniger Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund. Mit den Kontakten sinkt normalerweise die Ablehnung.

Trump, Le Pen, FPÖ, AfD, Pegida – ist das alles eine Soße?

Es gibt große Überschneidungen. Und es gibt in verschiedenen Ländern ähnliche Entwicklungen: Die Briten reden über den Brexit, Donald Trump über eine Mauer an der mexikanischen Grenze, aber die Verarmung der Arbeiterklasse kommt kaum vor, die soziale Ungleichheit wird kaum behandelt.

Wie gefährlich sind die Rechtspopulisten?

Nicht alles, was die AfD sagt, ist rechtsextrem. Aber den Versuch, den im Kern rechtsextremen Einstellungen ein bürgerliches Mäntelchen umzuhängen, halte ich für sehr gefährlich. Da müssen die etablierten Parteien mit eigenen Themen gegenhalten und etwa offener über die künftige Wirtschaftspolitik debattieren. Sie dürfen sich nicht auf die Taktik der Populisten einlassen: Wenn der Diskurs weiter nach rechts rückt, gibt es nicht mehr Ausländerfeinde, aber rechtsextreme Täter bekommen das Gefühl, sie seien in der Mehrheit. Das war schon in den 90er Jahren so.

Die enthemmte Mitte

Der Soziologe Johannes Kiess ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Siegen und forscht seit Jahren zu rechtsextremen Einstellungen. An der Uni Leipzig entstehen seit 2002 Studien dazu. Titel des diesjährigen Reports: „Die enthemmte Mitte“.

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