Wittgenstein. . In Wittgenstein gibt es 16 Prozent weniger Kneipen als noch vor zehn Jahren. Das hat zum Teil verheerende Folgen für das gesellschaftliche Leben.

Eine veränderte Marktsituation, fehlende Nachfolger und chronischer Bevölkerungsrückgang: Die Gründe für das Kneipensterben in Wittgenstein sind vielfältig. In zehn Jahren mussten 17 Schankbetriebe im Altkreis schließen – ein Minus von mehr als 16 Prozent im Vergleich zu den Zahlen von 2006. Bad Laasphe hat es in diesem Zeitraum am härtesten getroffen: Zehn Gaststätten mussten hier schließen, ein Verlust von über 22 Prozent. „Die Landflucht wird auch für Gastwirte zur Problematik“, sagt Thorsten Hellwig, Sprecher vom Deutschen Hotel- und Gasthofverband (Dehoga) in NRW. Im landesweiten Vergleich hält sich das Kneipensterben in Wittgenstein allerdings noch in Grenzen: Fast jede dritte Gaststätte (31,6 Prozent) in NRW musste im Zeitraum 2004 bis 2014 schließen; seit 1994 ist die Zahl der Schankbetriebe sogar um knapp 60 Prozent zurückgegangen.

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„Es ist schwierig“, kommentiert Matthias Schmidt die Situation in Bad Laasphe. Er ist zuständig für den Fachbereich Zentrale Dienste, Sicherheit und Ordnung in der Stadt Bad Laasphe und kennt die Ursachen für zahlreiche Gaststättenschließungen. „Einige Wirte mussten ihren Betrieb aus privaten oder gesundheitlichen Gründen aufgeben – und haben keinen Nachfolger gefunden.“ In den vergangenen Jahren seien aber auch Gebäude verkauft worden, die anderweitig genutzt, zum Teil aber auch abgerissen wurden.

Alltagskultur ist gefährdet

Und was bedeutet das für das gesellschaftliche Leben? „Es geht ein Stück Gemeinwohl unwiederbringlich verloren“, so Schmidt. In manchen Ortschaften gebe es gar keine Kneipen mehr, der Stammtisch als Teil der urdeutschen Alltagskultur sei damit gefährdet. „Auch das Vereinsleben oder Dorfleben spielt sich häufig in Kneipen und Gaststätten ab“, sagt Schmidt weiter. Die Möglichkeiten für Geselligkeit und Austausch werden dadurch letztendlich gravierend verringert.

Differenzierte Betrachtung

„Wir beobachten schon einen kleinen Trend, dass die Zahl der Schankbetriebe rückläufig ist“, bestätigt Regina Linde, Sprecherin der Stadt Bad Berleburg. Dabei müsse das Gaststättenaufkommen aber differenziert betrachtet werden: Ist es ein Café, Kiosk oder eine Imbissbude mit Schanklizenz? Genauso könne man nicht verallgemeinern, dass überall Betriebe geschlossen hätten. „Aue-Wingeshausen ist ein Positiv-Beispiel, wo sich entgegen der allgemeinen Entwicklung Gastronomiebetriebe sogar angesiedelt haben“, so Linde. Im Gegensatz dazu haben die Berleburger Gemeinden Dotzlar und Wemlighausen überhaupt keinen Ausschank mehr.

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„Prinzipiell haben sich die Aktionsradien vergrößert“, meint Dehoga-Sprecher Thorsten Hellwig. Das bedeutet: Menschen nehmen größere Wege in Kauf, um sich mit Freunden und Bekannten in Kneipen zusammenzusetzen. „Immer öfter werden Angebote in naheliegenden, größeren Städten wahrgenommen, die mehr Auswahl zu bieten haben“, erklärt Hellwig. Damit würden sich die Menschen zum Teil auch von der traditionellen Dorfmentalität lösen.

Stammtische als soziale Brücke

Der Kulturwissenschaftler Frank Lang hatte im Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“ im März diesen Jahres darauf hingewiesen, wie wichtig Kneipen-Stammtische für die Gemeinschaft sind: „Dort werden soziale Brücken auch zwischen nicht-homogenen sozialen Schichten geschlagen. Man findet dort sowohl Unternehmer, Analphabeten, Studenten – eine super-heterogene soziale Mischung. Ich glaube nicht, dass die sozialen Netzwerke im Internet das ersetzen können.“