Siegen. . Bis zu 2000 Menschen sollen sich am Freitag, 14. August, die Hand reichen. Die längste Menschenkette in Siegen für ein besseres Miteinander.
Eine Menschenkette zwischen Kirchen und Moscheen quer durch das Hüttental – das ist die Idee des Projekts „Füreinander" einstehen. Am Freitag, 14. August, ab 15.30 Uhr sollen sich bis zu 2000 Menschen die Hand reichen. Initiator ist der Runde Tisch der Religionen. Mitorganisatoren sind Gül Ditsch, die sich seit Jahren in Siegen für Integrationsprojekte einsetzt, und Annegret Mayr, Pfarrerin der Kirchengemeinde Nikolai.
Frau Mayr, Sie und Frau Ditsch sind an der Organisation der Aktion „Hand in Hand Siegen“ des Runden Tisches der Religionen beteiligt. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Mayr: Die Idee kam erstmals auf nach den Terroranschlägen von Paris im Januar. Viele haben sich damals gefragt: Warum greifen Terroristen jetzt diese Redaktion an? Sind diese Karikaturen eigentlich akzeptabel? Dieses Thema hat die Gegensätze der Kulturen noch einmal stärker aufgewühlt.
Frau Ditsch, was genau soll nun am 14. August geschehen?
Ditsch: Um 15:30 Uhr ist Treffpunkt bei der Kirche St. Joseph, wo es eine erste Ansprache gibt. Von dort werden die Teilnehmer in zwei Richtungen, nach Weidenau und Geisweid, loslaufen. Wenn sie die Endstationen erreicht haben, gibt es ein Glockenläuten. Dann nehmen sich alle Menschen auf der Straße an den Händen und bilden eine zwei Kilometer lange Menschenkette. Frau, Mann, Christ, Moslem, alles zusammen sollen so unsere Vielfalt und Gemeinsamkeit darstellen. Im Anschluss gibt es dann noch ein Fest, bei dem wir zusammen essen, trinken, tanzen und einander begegnen.
Mayr: Wir wollen versuchen, mit unserer Kette den Verkehr nicht zu behindern, aber es kann passieren. Darauf müssen wir laut Polizei auf jeden Fall hinweisen.
Die Menschen, die an einer solchen Aktion teilnehmen, dürften ohnehin aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen sein. Ist sie denn geeignet, um Schranken in Köpfen der anderen zu überwinden?
Mayr: Ich denke schon. Die Leute sollen sehen: da sind welche, die für ein friedliches Zusammenleben einstehen.
Ditsch: Ich glaube, es wird auch die anderen erstaunen und Fragen aufwerfen. Man kann natürlich nicht erwarten, dass nach einer Aktion sofort alle Menschen anders denken. Es ist deshalb wichtig, dass solche Aktionen immer wieder stattfinden. Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen und darüber sprechen und so auf sie einwirken. Das ist ein Prozess.
Frau Ditsch, Sie befassen sich in Ihrer Arbeit für das Siegener Antidiskriminierungsbüro mit religiösen Minderheiten. Wie sieht die religiöse Struktur in Siegen aus?
Ditsch: Natürlich ist das Christentum die größte Religion, danach kommen die türkischen und arabischen Muslime. Man darf auch die schiitische und alevitische Seite nicht vergessen. Die türkische Gemeinde ist hier besonders vielfältig. Ansonsten gibt es an unserem Runden Tisch der Religionen noch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die sich bei der Planung auch sehr eingebracht hat.
Auch in Deutschland insgesamt ist der Islam die größte Religion nach dem Christentum. Laut einer Studie von Bertelsmann und Emnid denken 61 Prozent der Menschen, der Islam passe nicht in die westliche Welt. 57 Prozent halten ihn gar für bedrohlich. Was glauben Sie, woher solche Ansichten rühren?
Mayr: Diese Ansichten kommen von der Wahrnehmung des extremistischen Fundamentalismus. Wenn wir von Anschlägen von Islamisten hören, wird das für uns immer ganz groß. Aber die vielen hunderttausenden Muslime, die auch Angst haben vor Extremismus in ihren eigenen Reihen, nehmen wir nicht so wahr. Darüber muss man immer wieder aufklären. Die Rolle der Medien ist dabei immens groß. Wenn dort immer wieder Kopftuchfrauen zusammen mit Gewaltbildern auf den Titelseiten erscheinen, macht das vielen Angst.
Können Sie es denn nachvollziehen, wenn viele Menschen nach den jüngsten Anschlägen und dem Vormarsch des IS den Islam als Bedrohung empfinden?
Mayr: Natürlich. Die Angst davor ist nicht unbegründet und die Bedrohung durch die Extremisten ist nicht weit weg von uns. Als Pastorin sage ich aber auch, dass wir Christen dazu aufgerufen sind, dem Fremden freundlich zu begegnen und einen Menschen erst kennenzulernen, bevor ich ein Urteil über ihn fälle.
Frau Ditsch, aus Angst erwächst immer eine gewisse Ablehnung. Haben Sie den Eindruck, dass diese auch in Siegen gewachsen ist?
Ditsch: Ich kann nur sagen, dass durch solche Debatten alle Muslime in eine Ecke gestellt werden. Es ist sicher nicht schön, wenn man sich immer wieder wegen seiner Religion verteidigen muss. Viele haben davon die Nase voll und ziehen sich zurück.
Mayr: Natürlich sind wir hier keine Insel der Seeligen. Aber wir haben Gott sei Dank keine Anschläge oder große Konflikte zwischen Kirchen und Moscheen.
Ditsch: Ich lebe seit 30 Jahren in Deutschland. Wenn ich vergleiche, wie Menschen hier damals miteinander umgegangen sind und wie sie es heute tun, dann kann ich sagen, dass es sehr große Fortschritte gegeben hat. Mittlerweile habe ich das Gefühl, hier dazuzugehören. Es ist meine Stadt.
Mayr: Du hast dich schließlich eingebracht. Viele tun das heute. Als in der Turnhalle der Universität die Flüchtlinge untergebracht wurden, haben sich sofort viele Freiwillige gefunden, um zu dolmetschen. Wenn man sich einbringt, wird man Teil der Gesellschaft.
Trotz dieser positiven Entwicklung gibt es immer noch Diskriminierung in unserer Gesellschaft. Wie kann diese im Alltag aussehen?
Ditsch: Sie ist meistens eher struktureller Art. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand keinen Ausbildungsplatz bekommt, weil er einen türkischen Namen hat. Für eine Frau mit Kopftuch ist es auch immer noch sehr schwierig. Sie muss schon überdurchschnittlich qualifiziert sein, damit sie eine Chance bekommt.
Mayr: Ich erlebe es auch immer wieder, dass Leute Mädchen mit Kopftuch so ansprechen, als ob sie kein Deutsch könnten. Da muss ich manchmal lachen.
Der Runde Tisch der Religionen in Siegen wurde unter dem Eindruck der Ereignisse des 11. September 2001 gegründet. Glauben Sie, dass er aktuell besonders wichtig ist?
Mayr: Momentan geht vieles durch die Medien, wie Anschläge, IS und Salafisten, die auf der Straße werben. Der Runde Tisch kann aber nur dazu anregen, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Die Gesellschaft muss lernen, multikulturell zu werden.
Ditsch: Es muss einfach irgendwann normal werden. Dann redet auch niemand mehr darüber.
Ist es überhaupt möglich, in einer multikulturellen Gesellschaft friedlich miteinander zu leben, ohne dass die Religionen an Bedeutung einbüßen?I
Ditsch: Auf jeden Fall.
Mayr: Natürlich. Man kann die Religion der Menschen ja nicht aus der Gesellschaft verbannen. Da haben sich die Franzosen schon geirrt mit ihrer religionslosen Gesellschaft. In anderen Ländern klappt es schließlich auch.
Frau Mayr, glauben Sie, die christlichen Religionsgemeinschaften müssten sich mehr engagieren, um die Integration von religiösen Minderheiten voranzutreiben?
Mayr: Ich denke nicht. Die großen Kirchen sind sehr engagiert im Bezug auf die Öffnung zum Dialog mit dem Islam. Kleinere christliche Gemeinschaften, je fundamentalistischer sie sind, sind natürlich weniger daran interessiert.
Wie erklären Sie sich, dass die Religion in der heutigen Zeit an Bedeutung verliert, aber andererseits ein solches Konfliktpotenzial birgt?
Mayr: Ich glaube, der Konflikt entsteht vor allem durch Fundamentalismus. Zudem erfährt der Islam zur Zeit eine Art Erweckungsbewegung. Das irritiert unsereins, weil unsere christlichen Gottesdienste sehr viel schlechter besucht sind. Ich verstehe, dass Menschen das als bedrohlich empfinden. Sie empfinden es aber als weniger bedrohlich, wenn sie selber ihren christlichen Glauben leben.
Sie sagen also, dass Leute, die selbst ihre Religion aktiv ausleben, weniger Anstoß an anderen Religionen nehmen?
Mayr: Ja, weil sie selbstsicherer sind im Bezug auf ihren Glauben.
Weitere Infos gibt es unter: www.fuereinanderstehen.de
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