Freienohl. . Fast zwölf Jahre lang ist Pfarrer Michael Hammerschmidt aus Freienohl im Sauerland von einer Frau belästigt und verfolgt worden. Zuletzt war sie mit Haftbefehl gesucht worden - doch die 70-Jährige war untergetaucht. Jetzt hat Hammerschmidt sie selbst auf frischer Tat geschnappt.
Es ist kalt an jenem Morgen, und früh. Um diese Uhrzeit ist Pfarrer Hammerschmidt eigentlich noch nicht unterwegs. Doch an diesem Tag geschieht etwas, womit er selbst nicht mehr gerechnet hätte: Dass ausgerechnet er seinem jahrelangen Leiden - vorerst - ein Ende machen kann.
Wie ein Detektiv um die Ecke geschaut
„Ich habe gehört, wie ihr Auto vorfährt. Ich kenne dieses Geräusch so genau“, erinnert sich der 59-Jährige. Trotz weißer Jacke drückt er sich fest an eine Hauswand und schaut wie ein Detektiv um die Ecke, zu seinem Pfarrhaus und dem Garten, den sie gerade wieder mit Luftballons schmücken will.
Hammerschmidt erwischt seine Stalkerin, er hält sie fest und wählt über sein Handy den Notruf der Polizei. Zehn elend lange Minuten zappelt die 70-Jährige in den Fängen des Pfarrers. Dann, um 5.10 Uhr, trifft die Polizei ein. Es klicken Handschellen, und der Albtraum für den Seelsorger hat erst einmal ein Ende. „Mir tun alle Knochen weh“, sagt Hammerschmidt danach erschöpft.
Sexuelle Belästigungen und Nackt-Auftritte vor dem Pfarrhaus
Es beginnt im Jahr 2001. Hammerschmidt wird zu einer Sterbebegleitung gerufen. Dabei kommt heraus, dass diese Frau, die ihm später das Leben zur Hölle machen wird, früher wahrscheinlich das Opfer eines Missbrauchs gewesen ist. Büßen dafür soll der Pfarrer, stellvertretend für den Täter, so hat es die Stalkerin dem Geistlichen gesagt. Am Anfang umschwärmt sie ihn nur peinlich, dann folgen sexuelle Belästigungen und Nackt-Auftritte vor dem Pfarrhaus, auch Gottesdienste stört die Frau.
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Polizei und Justiz schauen anfangs wie gelähmt zu. Es gibt noch keinen ausdrücklichen Straftatbestand gegen Stalker. Exhibitionismus kann laut Strafgesetzbuch nur Männern vorgeworfen werden. Es bleibt bei Vorwürfen wie Beleidigung und Nötigung, erste Prozesse enden dadurch, dass die Frau für schuldunfähig erklärt wird.
Telefon-Terror, sexuelle Anzüglichkeiten und Liebesschwüre auf Lufballons
Unterdessen steigern sich die Attacken: Dutzende Male am Tag klingelt das Telefon des Pfarrers. Er nimmt normalerweise nicht mehr ab, wenn er es tut, hagelt es sexuelle Anzüglichkeiten. Er bekommt nach Parfüm stinkende Liebesbriefe. Sein Vorgarten wird bestückt mit Luftballons, auf dem Liebesschwüre zu lesen sind, und mit Maiskolben, die mit Kondomen überzogen werden. Er gilt als attentatsgefährdet.
Selbst als die Frau zwischenzeitlich in eine geschlossene psychiatrische Klinik eingewiesen wird, schafft sie es noch, den Telefon-Terror fortzusetzen. Das Opfer leidet seelisch und gesundheitlich. „Es geht Lebensfreude verloren“, sagt Hammerschmidt.
90 Verstöße gegen Auflagen in Akten der Staatsanwaltschaft
Die Wende in diesem bundesweit einmaligen Fall bringt ein Beschluss des Amtsgerichts Meschede im September 2011: Seitdem muss die Frau einen Abstand von mindestens 50 Metern zu dem Pfarrer halten, hier greift das Gewaltschutzgesetz. Mehr als 90 Verstöße dagegen hat die Staatsanwaltschaft Arnsberg seitdem in ihren Akten verzeichnet, deshalb erwirkt sie vor wenigen Wochen einen Haftbefehl gegen die Frau, anfangs aber vergeblich, denn sie ist nirgendwo greifbar.
Nachstellung, Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz und Hausfriedensbruch, so lauten die Vorwürfe. Eine Anklage wird jetzt vorbereitet. Zwei aktuelle Gutachten stufen die Frau nach Angaben der Staatsanwaltschaft als voll schuldfähig ein. Die Stalkerin sitzt seit ihrer Verhaftung übergangsweise im Justizvollzugskrankenhaus. Sie klagt über Herzschmerzen.