Bad Fredeburg/Schmallenberg. Wollte er seine Ex-Freundin in einem Linienbus bei Schmallenberg töten? Mit dieser Frage hat sich das Gericht befasst. Am Ende stand ein Urteil.

Sie ist 17 Jahre alt, als sie bei der Arbeit von einem nett aussehenden Mann angesprochen wird. Sie beginnt mit ihm zu schreiben, verliebt sich in ihn. Als er eifersüchtig wird und sie sich oft streiten, entscheidet sie den Kontakt abzubrechen. Ganz still und heimlich, ohne mit ihm diskutieren zu müssen. Doch er weiß, wann sie Feierabend hat, weiß, mit welchem Bus sie nach Hause fährt und wartet dort auf sie. Der Streit eskaliert und endet mit seiner Hand an ihrer Kehle und einem Messer an ihrem Bauch. Heute ist sie 18 Jahre alt und sitzt im Amtsgericht in Bad Fredeburg. Die Anklage gegen ihren damaligen Freund: versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Loch von der scharfen Klinge

Dabei habe doch alles so schön begonnen. Bis es eben nicht mehr ging: „Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten und wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben“, erklärt die Schmallenbergerin gefasst bei der Befragung. Heute sei sie misstrauisch, wenn ihr etwas Schönes geschehe. Schließlich könne es doch wieder so schlimm enden wie damals. Von der Tat selbst, berichtet sie, habe sie keinen Kratzer abbekommen. Ihre Jacke allerdings, die sie damals trug, hat ein Loch von der scharfen Klinge. Während der Urteilsverkündung laufen Tränen über ihre Wangen.

Mit einem Messer hatte der Angeklagte versucht auf sein Opfer einzustechen - hier ein Symbolbild.
Mit einem Messer hatte der Angeklagte versucht auf sein Opfer einzustechen - hier ein Symbolbild. © shutterstock | Shutterstock

Die damals 17-jährige Schmallenbergerin und der 35-jährige Angeklagte hatten sich Anfang Januar 2021 kennengelernt. Am 7. März 2023 kam es dann zu der erschreckenden Tat. Das Geschehen soll sich laut Anklage wie folgt abgespielt haben: Der Angeklagte fährt mit einem geliehenen Pkw von Köln nach Schmallenberg - ohne Führerschein. Gegen 15.40 Uhr greift der Angeklagte die junge Frau in dem Bus der Linie S20 zwischen Grafschaft und Schmallenberg an. Er würgt er sie, dann sticht er mit einem Messer in Richtung ihres Bauch - „um sie zu töten“, so die Staatsanwaltschaft.

Vollbremsung durch den Busfahrer

Und weiter: „Einem Stich konnte die Zeugin ausweichen. Der zweite Stich durchstach zwar die Jacke der Geschädigten, verletzte diese jedoch nicht.“ Dem Opfer gelang es durch heftige Gegenwehr, den Angeklagten von ihr wegzutreten. Als der Busfahrer die Auseinandersetzung bemerkte, machte er eine Vollbremsung, wodurch der Angeklagte das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Doch danach, so der Vorwurf, stürzte sich der Angeklagte wieder auf die Frau - wieder hielt sie ihn mit Tritten auf Distanz, bevor der Täter an der nächsten Haltestelle flüchtete.

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Der Angeklagte blickt auf den weißen Tisch vor sich, als seine Anklage verlesen wird. Er trägt Fußfesseln, hat bereits sechs Monate Untersuchungshaft hinter sich und insgesamt 13 Einträge in seinem Bundeszentralregister. „Kein unbeschriebenes Blatt“, wie Richter Fischer es formuliert. Heute ist der Angeklagte nüchtern. Anders als zum Tatzeitpunkt, da soll er nämlich schätzungsweise 2,8 Promille Alkohol im Blut gehabt haben .„Ich war alkoholabhängig, hatte Suizidgedanken und habe mich daher in Bad Fredeburg in eine Langzeittherapie begeben“, erzählt der Angeklagte. Der plötzliche Kontaktabbruch habe etwas in ihm ausgelöst: „Ich habe mich einfach ins Auto gesetzt und bin zu ihr gefahren. Ich wollte sie einfach zur Rede stellen.“

War es versuchter Totschlag?

Die Frage, mit der Richter Fischer und die Staatsanwaltschaft sich während dieser Gerichtsverhandlung beschäftigen: Handelt es sich bei der Tat um versuchten Totschlag? Die Antwort darauf finden sich in der Videoaufnahme, die im Bus an dem Tattag entstanden ist und in der Aussage der Frau selbst und ihrer Freundin, die an diesem Tag nur tatenlos zusehen konnte. Zu sehen ist die verbale Auseinandersetzung: Der Angeklagte droht die 17-Jährige abzustechen und diese antwortet mit „Mach doch“. Als seine Klinge sich plötzlich stärker gegen ihren Bauch drückt, erkennt sie den Ernst der Lage.

Deutlich später auf dem Video zu erkennen: die gezückte Klinge des Messers. Der Angeklagte geht erneut auf die Frau zu, doch anstatt zuzustechen, lässt er den Arm sinken - die entscheidende Szene. Was danach geschieht: Er ruft die Polizei und schildert den Vorfall. Sagt, dass er versucht habe, seine Freundin zu töten. „Ich wollte einfach, dass die Polizisten mich erschießen, in dem Moment habe ich mit meinem Leben abgeschlossen.“ Dazu kommt es nicht.

Von der Tötung selbst abgesehen

Der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger plädieren beide darauf, die Anklage wegen versuchten Totschlags fallen zu lassen. Der Grund: Der Angeklagte habe klar eigenständig von der Tötung der Geschädigten abgesehen. Das Urteil: ein Jahr und vier Monate auf Bewährung. Dazu muss der Angeklagte dem Opfer 1500 Euro Schadensgeld zahlen und 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Das Urteil tritt sofort in Kraft, die Fußfesseln werden gelöst, der Angeklagte ist frei.

Ich stand total unter Schock und auch heute beschäftigt mich die Tat, wenn auch unterbewusst.
Opfer - nach dem Angriff

Richter Fischer betont jedoch: „Eine Bewährungsstrafe bedeutet nicht, dass nichts passiert ist. Bei einem Verstoß muss er das Jahr und die vier Monate absitzen.“ Und ein Verstoß ist es schon dann, wenn er gegen seine Bewehrungsauflagen verstoße - die seien „nicht ohne“. Insgesamt drei Jahre Bewährungszeit werden verhängt: In dieser Zeit müsse der Angeklagte außerdem nachweisen, dass er weiterhin die anonymen Alkoholiker besuche.

Entschuldigung bei der Ex-Freundin

In seinen letzten Worten entschuldigt sich der Angeklagte bei seiner Ex-Freundin: „Ich habe viel geweint und Nächte lang Albträume gehabt.“ Ändern tut das nichts an der Tat und den psychischen Folgen, die die 18-jährige Schmallenbergerin seit der Tat mit sich trägt: „Ich stand total unter Schock und auch heute beschäftigt mich die Tat, wenn auch unterbewusst.“ Abschließend verspricht der Angeklagte: „Ich werde das Beste geben, um ein anständiger Bürger zu werden.“ Der 18-jährigen Schmallenbergerin entweicht ein lautes Schluchzen, ihre Mutter schüttelt nur mit dem Kopf, ihre Freundin, die damals nur hilflos bei der Tat zuschauen konnte, legt ihre Hand auf ihre Schulter. Richter Fischer findet nur knappe Worte: „Schön, das wird auch Zeit.“