Meschede. Hebamme Kerstin Bigge liebt ihren Beruf, aber sie kennt auch seine Schattenseiten. Eine Geburt im Stall? Das wäre machbar, sagt sie.
Der Advent und das Thema Freude sind untrennbar verbunden mit dem Thema Geburt. Die Mescheder Hebamme Kerstin Bigge (51) blickt aus professioneller Sicht auf die Weihnachtsgeschichte und auf aktuelle Entwicklungen. Was ihr Freude macht und was nicht.
Ein Kind in einem Stall zur Welt bringen. Würden Sie sich das als Hebamme zutrauen? Und was wäre dafür nötig?
Heißes Wasser, Tücher – und eine gute Versicherung! (lacht) Ja, natürlich wäre das möglich. Es wäre nicht optimal und wichtig wäre Wärme, vielleicht durch die Ausdünstungen der Tiere? Aber grundsätzlich würde ich mir das nach 31 Jahren als Hebamme schon zutrauen. Natürlich wäre es eine Notlösung. Das war es ja damals auch, denn Maria und Josef hatten ja nach einem Platz in der Herberge gesucht. Weil heute die Wege für die Schwangeren immer weiter werden, werden Kinder manchmal in Autos geboren. Auch das ist nicht optimal.
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Gold, Weihrauch und Myrrhe brachten laut Weihnachtsgeschichte die heiligen drei Könige als Geschenke für das Jesuskind: Was sind heute praktische, phantasievolle oder gelungene Geschenke?
Grundsätzlich gibt es oftmals viel zu viel von allem. Sinnvoll ist es, wenn man der jungen Familie Zeit schenkt, indem man zum Beispiel für sie kocht. Jeder Gast sollte immer das Essen mitbringen, das gerade zu seiner Besuchszeit passt, ein Mittagessen, Kaffee und Kuchen oder abends eben Salat und Brot. Ansonsten kann man auch etwas Schönes für die Eltern schenken oder hochwertige Bodys aus Seide oder Wolle kaufen, die sich Eltern oft selbst nicht leisten. Und sonst ganz profan, aber praktisch: Gutscheine der Drogeriemärkte.
Geburten sind ja meistens ein Grund zur Freude? Haben Sie schon andere erlebt?
Es gibt Totgeburten und Geburten, bei denen parallel jemand in der Familie stirbt. Das ist sehr traurig. Auch Geburten, nach denen ein Kind zur Adoption freigegeben wird, sind nicht einfach. Eine Zeit des Abschiedsschmerzes steht bevor, auch wenn es bewusst so gewollt ist. Über dieses Geschenk freuen sich dann erst später andere Eltern.
Gab es auch Geburten unter schwierigen Bedingungen, die im Nachhinein doch zur großen Freude wurden?
Ich erinnere mich an eine extreme Frühgeburt in der 26. Schwangerschaftswoche. 520 Gramm wog das kleine Mädchen, eine Kämpferin. Nach Wochen in der Kinderklinik konnte sie gesund zu Hause einziehen. Heute ist sie eine junge Dame, ohne irgendwelche Beeinträchtigungen. Da schwingt dann schon das Herz mit.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Geburt als Hebamme?
Seltsamerweise nicht, wahrscheinlich war ich zu aufgeregt, aber an meine zweite. Damals lag eine Schwangere zur Überwachung im Kreißsaal, weil alle Betten belegt waren, sie schlief. Als sie klingelte, schickte mich – damals war ich noch in der Ausbildung - die Hebamme aus dem Kinderzimmer ‚eben“ rüber. Doch dann kam das Kind schon. Ich weiß noch, wie ich die Hebamme rief: „Elfriede, das Kind kommt!“ Und sie antwortete seelenruhig: „Super! Mach!“ Bis sie mir zur Hilfe kam, war das Baby tatsächlich schon geboren. Dann hat sie mir anerkennend auf die Schultern geklopft und gesagt: „Aus dir wird mal eine richtig gute Hebamme. Da war ich natürlich mächtig stolz.
Und wie war es, selbst Kinder zu bekommen?
Ganz entspannt.
Treffen Sie noch Kinder, die Sie selbst auf die Welt geholt haben und die heute erwachsen sind oder selbst schon wieder schwanger sind?
Das ist immer wieder nett. Gerade erst hat mich ein ehemaliger Geburtsvorbereitungskurs mit den Worten eingeladen: „Die Kleinen sind jetzt 18“. Und so saßen wir dann in einem Restaurant und am Nebentisch hatten „die Kleinen“ Spaß. Ehemalige betreute Mütter schicken ihre schwangeren Töchter zu mir, obwohl diese mich ja gar nicht kennen. So etwas freut mich und zeigt mir die Wertschätzung für meine Arbeit und das Vertrauen in mich.
Wie haben sich Schwangerschaft und Geburt im Laufe der Jahre verändert?
Gesellschaft und Medien üben heute einen großen Druck auf die Schwangeren aus. Alles muss perfekt sein. Gleichzeitig ist das Internet voller Geschichten, in denen schwierige Schwangerschaften und Geburten thematisiert werden. Auch Ärzte sind eher auf der Suche nach dem Risiko. Für die Schwangere wird der Weg zur nächsten Geburtsklinik immer weiter. All‘ das verunsichert viele Frauen extrem. Sie suchen immer wieder die Bestätigung von außen, dass alles gut läuft. Ich würde mir wünschen, dass sie mehr auf sich und ihr Bauchgefühl hören als auf das nächste Ultraschallbild zu blicken. Wir Hebammen unterstützen sie dabei, haben dabei immer das Wohlergehen des Babys und der Mutter im Blick.
Der Beruf der Hebamme wird häufig idealisiert - was stimmt daran und was erschwert ihn?
Der Beruf ist vielseitig und verantwortungsvoll. Wir begleiten die Frauen mit unserer fachlichen Expertise vom positiven Schwangerschaftstest bis zu neun Monate nach Geburt oder bis zum Abstillen. Und das wissen die meisten auch zu schätzen. Gleichzeitig aber wird unsere Arbeit für die große Verantwortung und unseren hohen Einsatz – nachts, an Feiertagen und am Wochenende - Geburten sind nicht planbar - unverhältnismäßig schlecht bezahlt. Die Gebührenneuverhandlungen mit den Krankenkassen laufen unglaublich schleppend. Seit Jahren gab es für uns keine Erhöhung. Außerdem haben wir gerade in den Kliniken oft das Gefühl, durch die Arbeitsbelastung der einzelnen Frau nicht gerecht werden zu können. Als Freiberuflerin leiden auch wir unter der Bürokratie, dabei werden wir von Politik und Gesellschaft i unseren Forderungen kaum unterstützt. Unser Problem ist leider, dass die Themen Schwangerschaft und Geburt immer nur die Menschen interessieren, die gerade davon betroffen sind. Und das sind zu wenig. Trotzdem liebe ich meinen Beruf!