Meschede. Überraschende Entwicklung bei der Windkraft: Mescheder Stadtrat legt sich auf eine neue Rechenformel fest - mit weitreichenden Folgen.
Es gibt in Meschede eine neue Rechenformel. Sie lautet ab sofort: 3,9 Prozent plus x. Diese Formel ist heftig umstritten: In einer Sondersitzung des Stadtrates wurde sie eingeführt – denkbar knapp mit 18 zu 17 Stimmen. Die Stimme von CDU-Bürgermeister Christoph Weber gab den Ausschlag.
Bürgermeister stimmt gegen seine Verwaltung
Praktisch angewendet wird diese Formel nun auf den Umgang mit der Windkraft im Stadtgebiet. Es war eine denkwürdige Sitzung, die anders endete als zu erwarten war. Zwei Jahre lang hatte die Stadtverwaltung daran gearbeitet, einen geänderten Flächennutzungsplan zu erstellen: Wie berichtet, sollten dadurch – verteilt übers ganze Stadtgebiet - künftig 21 Konzentrationszonen entstehen, in denen Windräder geballt gebaut werden dürften. Ziel der Planung war: Meschede erhoffte sich, so selbst bestimmen zu können, wo Windräder hinkommen - und wo eben nicht, „Ausschlusswirkung“ heißt das. Ein zentimeterdicker Stapel an Papier war das Ergebnis. Fachbereichsleiter Klaus Wahle warb: „Würdigen Sie die Arbeit, schließen Sie das Verfahren ab.“ Auf der Tribüne saßen Projektierer von Windkraftvorhaben, die alles genau verfolgten.
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Es kam aber anders – so sehr, dass selbst Wahles Vorgesetzter, der Bürgermeister, gegen das Werk seiner Verwaltung stimmte. Statt des zentimeterdicken Papierstapels war am Ende eine einseitige Tischvorlage der CDU-Mehrheitsfraktion entscheidend. Die hatte sich am Vorabend darauf geeinigt. Denkbar knapp für die CDU wurde dann die Abstimmung im Stadtrat, weil mehrere Politiker fehlten.
857 Hektar für Windkraft statt 1670
Was war geschehen? Wie berichtet, hatte jetzt auch die Planungskommission beim Regionalrat der Bezirksregierung ihre Entwürfe zur Windkraft veröffentlicht – und diese Eckpunkte für einen neuen, übergeordneten neuen Regionalplan, entscheiden sich grundlegend vom Mescheder Flächennutzungsplan. Mit dabei ist zum Beispiel der Vogelsang oberhalb von Meschede, den der Regionalplan vorsieht, die Mescheder Planung aber nicht. Umgekehrt: Bei Eversberg sieht der Regionalplan keine Windräder vor, der Mescheder Plan schon.
Die eigene Mescheder Planung würde 1670 Hektar des Stadtgebietes für Windräder reservieren. Das wären 7,6 Prozent des Stadtgebietes. Der Regionalplan und damit die Landesplanung dagegen sieht „nur“ 847 Hektar vor, umgerechnet 3,9 Prozent des Stadtgebietes. Bürgermeister Christoph Weber staunte über die Unterschiede zwischen beiden Plänen, die zwar erwartet worden waren – aber nicht in dem Ausmaß und nicht in der Ausprägung. „Erschrocken“ gewesen sei er darüber. Denn auch im Zuschnitt von manchen Bereichen für die Windkraft, die sich in beiden Plänen ähneln, gibt es wiederum erhebliche Unterschiede im Detail. Weber erklärte die Unterschiede damit, dass in der Arnsberger Planung ein einheitliches Raster über die gesamte Region gelegt worden sei, die Mescheder Feinplanung dagegen auf Details geachtet habe, die man nur hier kenne.
Weber stellte fest, an den 3,9-Prozent-Vorgabe des Landes werde sich nichts ändern. Darauf fußt auch der neue CDU-Antrag – die weitgehende Abkehr von der Mescheder Planung. Dafür gab es heftige Kritik von allen anderen im Stadtrat, von SPD, UWG, Grünen, FDP, MbZ. Sie waren die 17 Stimmen, die sich für die Verabschiedung des Flächennutzungsplans aussprachen.
Sonderflächen für weitere Windräder geplant
Marcel Spork begründete für die CDU den Sinneswandel: Man habe „schmerzhaft lernen“ müssen, dass die kommunale Planung, „sei sie auch noch so weit fortgeschritten, überhaupt keine Rolle spiele“. Zwar sei von höherer Ebene immer wieder in Aussicht gestellt worden, dass die Planung der Kommunen übernommen werde, um Konflikte vor Ort zu vermeiden, aber: „Das ist mitnichten der Fall. Die kommunale Planung wird nur minimal übernommen.“ Politisch angetreten sei man aber, den Ausbau der Windenergie „mit Augenmaß“ voranzutreiben. Der Bürgermeister sagte: „Die Bezirksregierung kennt jeden einzelnen Fitzel unserer Planung – und sie hat sie nicht berücksichtigt.“
Spork entwickelte deshalb daraus seine Idee eines „neuen Mescheder Weges“: Der sieht jetzt eine Übernahme der 3,9-Prozent-Vorgabe vor. Dazu kommen einzelne weitere Gebiete aus der Liste mit den eigentlich 21 geplanten Vorrangzonen, die nun als zusätzliche Sonderflächen für Windräder ausgewiesen werden sollen – fertig ist die Formel 3,9 plus x: Denn welche und wie viele Gebiete davon weiterverfolgt werden, ist nun wieder offen, darüber soll 2024 entschieden werden. Spork wirbt dabei für Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung.
Proteste von der ganzen Opposition
Politiker der gesamten Opposition protestierten. Einheitlich sagten sie, die 3,9 Prozent des Landes seien nur ein Eckpunktepapier, aber sie seien nicht endgültig. Die CDU-Politik erinnerten ihn an „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, sagte Jürgen Lipke (SPD). Stellvertretende Bürgermeister Farzaneh Daryani (SPD) fühlte sich von der CDU „veräppelt“, die Kehrtwende sei „unwürdig und respektlos“ – sie fühlte sich wie auf einem „Basar“. Bürgermeister Weber wies den „Basar“-Begriff seiner Stellvertreterin umgehend zurück: Beschlüsse zur Windkraft würden in Europa, beim Bund und Land getroffen, die Kommunen müssten sie ausführen - so sei nun einmal das föderale System.
Maria Gödde-Rötzmeier (UWG) befürwortete den eigenen Flächennutzungsplan: „Wir haben das Heft der Planung in der Hand.“ Auch Katharina Bischke (Grüne) sagte: „Wir möchten Planungshoheit gewinnen“ – und durch Bürgerbeteiligung an der Windkraft baue man auch breite Akzeptanz auf. Bei der FDP lehnt man die Windkraft generell ab: Dr. Jobst Köhne sieht keinerlei Wertschöpfung darin, Ingrid Völcker bekennt sich als „Anhängerin der Atomkraft“ und ist als Eversbergerin vehement gegen einen Bürgerwindpark in Eversberg.
Am Vogelsang soll mit der Bezirksregierung versucht werden, zu verhandeln: Dort könnte Mischwald dafür sorgen, dass der Bereich vielleicht doch nicht für Windräder geeignet ist.