Meschede. Mit dem Ende der Pandemie muss auch der Umgang mit Erkrankungen wieder neu gelernt werden. Was ein Hausarzt aus Freienohl empfiehlt.
Mit den steigenden Sonnenstunden, sinkt die Zahl der Patienten in den Praxen, die einen Infekt nach dem anderen vor sich herschieben. Von einem normalen Frühjahr waren die Mescheder Ärzte in diesem Jahr aber bisher weit entfernt. So sehr sich Dr. Gisbert Breuckmann, Hausarzt in Meschede-Freienohl und Vorsitzender der Ärztekammer Arnsberg, darüber freute, dass Ostern die Maskenpflicht endete, so sehr ärgert er sich weiter über andere Themen, vor allem über die Politik.
Praxen an den Kapazitätsgrenzen
„Das Ende der Maskenpflicht ist ein Schritt hin zu mehr Normalität“, sagte der Mediziner in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Eine Normalität, die alle jetzt wieder mehr lernen müssten und die erstmal jede Menge Infekte mit sich brachte. Langsam entspanne sich zwar die Situation, „aber die Praxen waren in den vergangenen Monaten übervoll“, sagt er. „Wir sind da alle an unsere Kapazitätsgrenzen gekommen.“ Kein Wunder, hätten sich doch während der Pandemie alle Menschen auf Abstand bewegt und das Immunsystem kaum Gelegenheit erhalten, sich mit Viren und Bakterien auseinanderzusetzen. Danach aber kamen die mit voller Wucht.
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Viele bakterielle Erkrankungen
Bis heute sehe er in seiner Praxis viele bakterielle Erkrankungen, sagt er und nennt als Beispiele Erkältungsinfekte, Infekte der Atemwege, Hals- und Nebenhöhlenentzündungen sowie Harnwegsinfektionen. Oft entwickelten sich einfache Erkältungskrankheiten zur schweren bakteriellen Entzündung. „Und das Schlimme daran: Gerade Antibiotika sind - wie Herzmedikamente oder Fiebersäfte - in den Apotheken immer noch kaum zu bekommen.“
Antibiotika fehlen
Für Breuckmann ein Punkt, an dem die Politik dringend ansetzen muss. „Wir waren mal die Apotheke Europas. Es ist dringend geboten, dass wir die Arzneimittelproduktion zurück nach Deutschland oder zumindest in den Schengenraum holen.“ So wie es jetzt laufe, gehe Know-how verloren und Deutschland mache sich aus Kostengründen abhängig vom Ausland. „Dabei bin ich sicher, dass auch da die Preise steigen werden.“
Aktuell erfordere die Absprache mit den Apotheken auf beiden Seiten jede Menge zusätzliche Arbeit. „Wir schreiben ein Medikament auf, die Apotheke kann es nicht besorgen, ein Rückruf wird nötig und zusätzliche Absprachen. Das kostet alles unnötige Zeit.“
Mehrfach-Dosierung des Corona-Impfstoffes
Ärgerlich sei auch weiterhin, dass es nur Mehrfach-Dosierungen für die Corona-Impfungen gebe. „In jeder Ampulle sind sechs Dosen. Zuletzt hatte ich mal wieder zwei Patienten, die sich impfen lassen wollten, vier Anteile musste ich wegwerfen.“ Eine Einmalspritze mit passender Dosierung wie bei der Grippeschutz-Impfung wäre da laut Breuckmann der einfachste Weg. „Das scheint mir nicht erklärlich, warum es so etwas noch nicht gibt.“
Den Patienten könne er nur raten, die kommenden Monate - vor der nächsten Erkältungswelle - zu nutzen, um die eigene Gesundheit zu stärken und den Impfschutz schon mal wieder in den Blick zu nehmen. Die FSME-Impfung gegen Hirnhautentzündung, den Schutz vor allem Älterer gegen Gürtelrose und Lungenentzündung sowie die frühzeitige Grippeschutz-Impfung seien da besonders wichtig.
Wunsch: Schulfach zum Thema Gesundheit
„Ich wünschte mir ein Schulfach zum Thema Gesundheit“, sagt er wieder an die Politik gerichtet, in dem es neben den wichtigen Themen Impfungen, Ernährung und Bewegung auch um Basics gehe. Als Beispiel: Wie erkenne ich eine Erkältung, und wie kann ich sie mit einfachen Hausmitteln lindern? Vom Infrarotlicht, das Verspannungen löst über Zwiebelsäckchen für leichte Ohrenschmerzen, bis zum Wadenwickel, um Fieber zu senken. „Das würde auch uns Ärzten helfen“, sagt Breuckmann. Mittlerweile sei es nämlich fast die zeitintensivste Aufgabe der Praxen, die wirklich wichtigen Fälle neben den vielen leichten Störungen herauszufiltern.
Normalität wieder lernen
Hinzu komme, dass seit der Pandemie alle viel sensibler auf Erkältungsanzeichen reagierten. Früher sei man mit einem Schnupfen arbeiten gegangen. Heute würde ein Kind, das hustet, aus der Schule nach Hause geschickt. „Auch Arbeitgeber wollen offensichtlich erkältete Mitarbeiter nicht im Büro sehen. Wenn Homeoffice dann nicht möglich ist, brauchen diese Menschen alle eine Krankschreibung.“ Und diese ist offiziell seit dem 1. April nicht mehr am Telefon möglich - ein Gang in die Praxis damit unumgänglich. „Nicht jede gesundheitliche Störung muss in Quarantäne auskuriert werden.“ Eine Sache, die fast drei Jahre aus gutem Grund exzessiv gefordert worden sei. „Auch da müssen wir Normalität wieder lernen.“