Meschede. Warum macht der Mann das bloß? In Meschede schenkt ein Arbeitgeber seinen Angestellten Freizeit - auf Dauer! Das sind seine Gründe.

Kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt ihn, den Arbeitgeber, der seinen Angestellten mehr Freizeit schenkt – und zwar bezahlte Freizeit! Ein Arbeitgeber, der in Meschede die Vier-Tage-Woche einführt, auf seine Kosten, bei vollem Lohnausgleich. Warum macht der Mann das bloß?

Für Dr. Yi Marcus Alm ist das längst kein Experiment mehr, sondern Alltag in seiner Praxis. Im Juli 2021 hatte der Mescheder Zahnarzt die Vier-Tage-Woche eingeführt und sich erst einmal bis in den Herbst hinein Zeit gegeben, um Erfahrungen damit zu sammeln. Tatsächlich war für ihn schnell klar: „Rückgängig mache ich das nicht mehr“, sagt Alm.

Mit Arbeitszeit experimentieren

Alm ist einer von wenigen Zahnärzten, die freitags noch eine Sprechstunde bis um 17 Uhr anbieten, er hat auch einen langen Donnerstag bis 19 Uhr. Anderswo ist am Freitag bereits um 13 Uhr Schluss mit der Öffnungszeit, denn ab Mittag beginnt auch schon der zentrale Zahnärztliche Notdienst. Bei Alm aber ist bei Patienten, nach ihrer Arbeit, die Nachfrage nach dem Freitagnachmittag groß. Für ihn war es deshalb nie ein Thema, am Freitag mit der Arbeitszeit zu experimentieren.

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Der heute 57-Jährige hat irgendwann bemerkt, dass die Arbeitsbelastung zu groß wurde und die Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht gekommen war: „Du musst weniger arbeiten, sonst kannst du das nicht bis zum Rentenalter durchhalten. Ich musste die Reißleine ziehen.“

Dr. Yi Marcus Alm hält hier das alte Schild seiner Praxis in Meschede in den Händen - mit den Sprechzeiten vor der Vier-Tage-Woche. Rückgängig mache er seine Entscheidung nicht, sagt er. Mittwochs gibt es bei ihm nur noch einen Telefondienst.
Dr. Yi Marcus Alm hält hier das alte Schild seiner Praxis in Meschede in den Händen - mit den Sprechzeiten vor der Vier-Tage-Woche. Rückgängig mache er seine Entscheidung nicht, sagt er. Mittwochs gibt es bei ihm nur noch einen Telefondienst. © Jürgen Kortmann

Er möchte ja auch bis 67 weiterarbeiten. „Der Patient sieht nur die normale Öffnungszeit einer Praxis. Aber die Arbeit geht danach weiter“, sagt Dr. Yi Marcus Alm: „Wenn hier die Lichter ausgehen, kommen noch 20 Prozent Arbeit obendrauf.“ Die Bürokratie habe auch für Zahnärzte zugenommen, das Erledigen dauere entsprechend. Hinzu kämen zum Beispiel das Bearbeiten von Anträgen, Fortbildungen usw.: „Das ist Zeit, die man sich natürlich als Chef nehmen muss, die einem aber keiner vergütet.“ Er sagt: „Abends, nach den Sprechstunden, war die Luft raus – auch bei meinen Angestellten.“

So funktioniert das neue Arbeitszeitmodell

Was also tun? Genauer unter die Lupe genommen hat er deshalb den Mittwoch: Auch seine Praxis war mittwochs immer vormittags geöffnet. Sein neues Modell: Mittwochs steht an seiner Praxis jetzt die Öffnungszeit von 9 bis 12 Uhr in Klammern. Das bedeutet: Nur eine Zahnmedizinische Angestellte ist in dieser Zeit dann da, um Telefondienst zu machen, Schreibarbeit zu erledigen und gegebenenfalls reparaturbedürftige Prothesen direkt ans Labor weiterzuleiten.

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Alm hat vier Festangestellte, dazu eine Minijobberin: Von den vier festen Kräften reißt eine jeweils mittwochs diese drei Stunden ab – die anderen haben frei. Man rotiert untereinander, den weißen Kittel muss man mittwochs nicht tragen, es reicht die normale Kleidung. Statt der normalen 39-Stunden-Woche kommen die Angestellten von Alm auf maximal 33 Stunden - eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich! „Der Widerstand gegen das Modell hielt sich hier in Grenzen“, sagt er lachend. Beeinträchtigungen in der Versorgung von Patienten gebe es nicht: Mittwochs gibt es schließend nachmittags auch den zentralen Notdienst.

Keine Fluktuation, sondern ein stabiles Team

Seine Erfahrungen: „Alle sind hier viel besser gelaunt“: Die Vier-Tage-Woche habe nicht nur die Arbeitszufriedenheit bei allen steigen lassen. Er sieht das auch unter dem Aspekt, um seine Mitarbeiterinnen zu halten. Alm hat keine Fluktuation unter den Angestellten, sondern ein stabiles Team. Das ist nicht üblich: Die Regel sei eigentlich, dass sich Praxen untereinander inzwischen das Personal abwerben – so groß ist auch hier der Fachkräftemangel. „Früher gab es jedes Jahr unaufgefordert 10 bis 20 Bewerbungen für eine Ausbildungsstelle bei uns. Heute kommen gar keine mehr“, sagt er.

Alm selbst behandelt mittwochs nicht. Er genießt jetzt, einen Tag in der Woche frei zu haben – wobei, „ich hatte in dieser Zeit auch noch keinen Tag ohne einen Termin“. Aber die könne er eben ruhiger angehen, etwa um selbst beispielsweise Behördengänge stressfrei zu erledigen. Der neue Alltag ist: Montags und dienstags mit der Aussicht auf den freien Mittwoch voll durchzuarbeiten, den Mittwoch dann entspannen, um Donnerstag und Freitag wieder bis zum Wochenende alles zu geben. „Der Mittwoch ist wie eine rettende Insel. Dieser eine Tag macht es aus“, berichtet er.

Kaum Umsatzeinbußen

Ist das eine Luxusfrage? Der Zahnarzt als Unternehmer, der es sich leisten kann, Zeit zu verschenken? 2001 hatte sich Dr. Yi Marcus Alm mit seiner Praxis an der Hückeler Höhe im Mescheder Norden selbständig gemacht. „Zur Zeit der Praxisgründung hätte ich mir dieses Modell nicht leisten können“, sagt er. Inzwischen meint er aber: „Ich hätte die Zeit schon vor einigen Jahren verkürzen sollen.“ Umsatzeinbußen habe er durch das neue Arbeitszeitmodell kaum: „Dafür ist die Arbeitszeit an den übrigen Tagen verdichteter geworden“, so seine Erfahrung – aber, wie gesagt: Da erwarte jetzt alle immer eine rettende Insel zwischendurch.

Kann er anderen Arbeitgebern sein Modell empfehlen? Ja, meint er: „Die Umsatzeinbußen sind nicht so groß, dafür steigen die Leistungsbereitschaft und die Motivation.“ Und auch eine Befürchtung nimmt er: „Man verliert keine Kunden dadurch. Denn die haben auch Verständnis dafür.“

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