Meschede. Ist Sexualität auch in einem Kloster ein Thema? Gibt es Intimität? Die Mönche der Abtei Königsmünster in Meschede beziehen offen Stellung dazu.

Gibt es Intimität in einem Kloster? Wird dort über Sexualität gesprochen? Ist Ehelosigkeit noch zeitgemäß? Pater Maurus Runge aus der Abtei Königsmünster gibt in einem Interview offen Antworten dazu.

Ist Sexualität im Kloster ein Tabu-Thema? Sprechen Sie untereinander darüber?

Sexualität ist sicherlich kein Thema, über das wir am Kaffeetisch sprechen. Das Thema gehört zunächst in die klösterliche Ausbildung. So gibt es im Noviziat u. a. Studientage zum Themenbereich „Mann-Sein/Frau-Sein und Sexualität“. Dazu werden Referentinnen und Referenten aus den entsprechenden Fachgebieten eingeladen.

Auch die Gesamtgemeinschaft beschäftigt sich regelmäßig – oft unter fachlicher Begleitung von außen – mit Themen, die das gemeinsame und persönliche Leben im Kloster betreffen. Dazu gehört dann auch das Thema Sexualität in seiner ganzen Bandbreite, also auch unter dem Aspekt Hetero- und Homosexualität oder queeren Aspekten überhaupt. Das Thema des persönlichen Umgangs mit Sexualität gehört vor allem in die geistliche Begleitung. Da kann ich im geschützten Rahmen mit einem erfahrenen Menschen, Mann oder Frau, über alles sprechen, was mich bewegt und umtreibt.

Seit einigen Jahren ist in diesem Kontext auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Prävention gewachsen. Es gibt regelmäßige Schulungen, die über Gefahren missbräuchlichen Verhaltens im Zusammenleben informieren, für deren Wahrnehmung sensibilisieren und Möglichkeiten der Verhinderung oder Aufdeckung zeigen.

„Intimität in einem weiteren Sinn leben“

Vermisst man körperliche Berührung nicht? Oder Wärme? Oder Streicheleinheiten?

Die Annahme, dass Intimität, Nähe und Freundschaft im Kloster keinen Platz haben, ist weit verbreitet. All das gehört für mich auch zur Sexualität, die körperlich nicht nur genital gelebt werden kann.

Pater Maurus Runge ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Benediktinerabtei Königsmünster. Glaubwürdigkeit, betont er im Interview, sei für ihn ein wichtiger Wert.
Pater Maurus Runge ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Benediktinerabtei Königsmünster. Glaubwürdigkeit, betont er im Interview, sei für ihn ein wichtiger Wert. © Archiv

Ich freue mich und bin dankbar, dass ich innerhalb meiner Gemeinschaft gute Freunde habe, auch außerhalb gute Freundinnen und Freunde, Verheiratete, Unverheiratete, Familien. Mit ihnen kann ich durchaus in einem weiteren Sinn Intimität leben. Dazu gehört dann auch, sich gegenseitig in den Arm zu nehmen, und das nicht nur dann, wenn es einem nicht gut geht. Das braucht der Mensch ja auch.

Oder lässt sich lernen, Körperlichkeit zu unterdrücken?

Unterdrückung ist kein Weg. Ich kann mich doch auch äußern, kann sagen: Darf ich Dich mal umarmen oder nimmst Du mich mal bitte in den Arm? Ich halte es geradezu für gefährlich, Bedürfnisse zu unterdrücken, statt sie wahrzunehmen und achtsam auszudrücken. Immerzu nur Unterdrücktes kann sich unter Umständen auf destruktive Weise Bahn brechen – mir selbst und anderen gegenüber. Die Verbrechen sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche zeigen, wohin eine rigide Sexualmoral geführt hat und immer noch führt.

Selbstverschuldete Krise beim Gesamtsystem Kirche

Wie häufig werden Sie auf das Thema Sexualität in der Kirche angesprochen?

Gerade in der aktuellen kirchlichen Situation bleibt das natürlich nicht aus, und die Menschen haben ein Recht auf diese kritischen Anfragen. Ich erlebe auch, dass Menschen es wertschätzen, wenn wir uns ihren Fragen stellen und sie uns zu eigen machen.

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Sehen Sie sich unter einem Rechtfertigungszwang?

Das Gefühl ist mir nicht fremd. Ich möchte mich aber nicht persönlich rechtfertigen müssen, dass ich zur Kirche gehöre und im Kloster lebe. Es gibt gute Gründe für diesen Lebensweg, über die ich auch spreche, wenn ich gefragt werde. Das betrifft auch die Frage, warum ich diesen Weg weitergehe – trotz der massiven Krise, in die das Gesamtsystem Kirche selbstverschuldet geraten ist.

Wie gesagt, die Menschen, zumal die, zu denen wir in Beziehung stehen, haben ein Recht zu erfahren, was die ganze Situation mit mir, mit uns macht und wie ich mich da positioniere. Hier ist Glaubwürdigkeit ein wichtiger Wert: Nehmen mir die Menschen ab, wie ich rede und was ich sage? Steht es in Übereinstimmung mit meinem Handeln?

Ein Bewusstseinswandel ist notwendig

Was würden Sie sich von der Amtskirche im Zusammenhang mit Sexualität in der Kirche wünschen oder erhoffen?

Für viele Menschen in der Kirche, ich denke besonders an die, die sich mit ihrer sexuellen Orientierung, z. B. ihrem Queer-Sein, schwertun, aber auch an schlicht wiederverheiratet Geschiedene etwa, hat die offizielle katholische Sexualmoral kaum noch mit dem konkreten Leben zu tun. Sie besteht für sie gefühlt nur aus Ge- und Verboten und ist nicht hilfreich, sie belastet vielmehr und verletzt. Bewegungen wie #OutinChurch jedoch zeigen, dass viele nicht mehr bereit sind, sich von der Kirche vorschreiben zu lassen, wie sie ihre Sexualität zu leben oder nicht zu leben haben.

Gerade bei #OutinChurch sind es Menschen auch aus der Mitte der katholischen Kirche, die sich dort positionieren. Dass beim Synodalen Weg ausgerechnet der Grundtext zur Sexualität an der Sperrminorität der Bischöfe gescheitert ist, spricht Bände und zeigt, wie lang und langwierig der Weg eines notwendigen Bewusstseinswandels in einer hierarchisch verfassten Kirche ist. Von oben nach unten – darin ist man geübt, umgekehrt müssen alle noch viel lernen.

„Liebe zu leben ist vielfältig“

Ist der Zölibat, die Ehelosigkeit, noch zeitgemäß?

Als Ordensmann lebe ich den Zölibat, die persönliche Ehelosigkeit, in Gemeinschaft mit anderen, die denselben Weg gehen. Ich verstehe ihn durchaus als ein zeitgemäßes Zeichen, dass Liebe und Fruchtbarkeit nicht nur im Raum gelebter Sexualität möglich sind. Die Arten und Weisen, Liebe zu leben, und das Leben fruchtbar zu gestalten, sind vielfältig. Für mich als zölibatär lebenden Menschen gehört dazu auch die ausdrückliche persönliche Gottesbeziehung, die ich in der Gemeinschaft mit anderen teile.

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Was antworten Sie auf solche Klischees wie: In einem Kloster sind doch alle homosexuell.

Solche Klischees sind durchaus nachzuvollziehen im Blick auf Gemeinschaften, in denen ausschließlich Männer zusammenleben bzw. in Frauenklöstern nur Frauen. Es ist doch klar, dass gleichgeschlechtliche Gemeinschaften für gleichgeschlechtlich empfindende Menschen attraktiv sein können. Für das Leben im Kloster kommt es aber nicht darauf an, ob jemand homo- oder heterosexuell veranlagt ist und wie sich das zahlenmäßig verteilt. Der Zölibat, den wir als Einzelne gemeinsam leben wollen, gilt ja unabhängig davon, zu welchem Geschlecht sich jemand hingezogen fühlt.

Ärgerlich: Als Priester unter Generalverdacht

Was sind die nervigsten Fragen? Was ärgert Sie?

Was mich am meisten bedrückt, manchmal auch ärgert, ist, wenn ich erlebe, als Priester quasi unter Generalverdacht gestellt zu werden wegen der Verbrechen sexualisierter Gewalt in der Kirche oder als „Mann der Kirche“ generell eine verklemmte Sexualität attestiert zu bekommen. Damit will ich keineswegs das Leid der Opfer von sexualisierter Gewalt in der Kirche relativieren und meine belastenden Gefühle mit ihnen vergleichen.

Ich wünsche mir im gesellschaftlichen Miteinander, dass das verständlicherweise immer noch wachsende Misstrauen gegenüber der Kirche nicht dazu führt, in ihren Reihen ernsthaftes Mühen um Aufklärung und Aufarbeitung weder zu erkennen noch anzuerkennen, es einfach nicht mehr zu können. Dennoch: Ich bleibe zuversichtlich, dass verlorenes Vertrauen wiedergewonnen werden kann.