Kückelheim. Die aktuellen Krisenzeiten bereiten Ketten Wulf in Kückelheim Kopfzerbrechen. Es werden Veränderungen erforderlich sein, so die Geschäftsführung.
Als führender Hersteller von Förderketten, Antriebsketten und Kettenrädern ist die Firma Ketten Wulf mit zehn Standorten in Europa, Amerika und Asien sowie mehr als 1000 Beschäftigten ein Global Player. Das Herz des Unternehmens schlägt in Kückelheim. Dort bereiten die aktuellen Krisenzeiten und die damit verbundenen Probleme der Geschäftsführung Kopfzerbrechen. Sie hat in diesem Zusammenhang konkrete Wünsche an die Politik. Als Mittelständler fühlt sich das Unternehmen von ihr jedoch sehr allein gelassen.
Welche Auswirkungen haben die gestiegenen Energiekosten auf Ihr Unternehmen?
Tobias Wulf: Die Kosten sind ja leider nicht nur direkt, sondern zusätzlich indirekt da. Unsere Lieferanten geben die gestiegenen Energiekosten an uns weiter und verteuern so auch unsere Produkte. Dadurch, dass wir hier in Kückelheim eine hohe Fertigungstiefe haben - fast alles was an einer Kette dran ist, wird hier auch produziert - haben wir einen relativ hohen Energieaufwand. Das verteuert unsere Produkte zusätzlich. Die gestiegenen Kosten haben wir an den Markt weitergeben müssen. Das ist zuletzt in der Krise auch so getragen worden, weil alle froh sind und waren, dass sie ihre Produkte weiterhin bekommen. Aber ich denke, dass wir hier langsam am Ende der Fahnenstange angekommen sind. Denn im internationalen Wettbewerb haben unsere Mitbewerber diese extremen Preissteigerungen nicht. Das stellt uns vor große Probleme, die uns Kopfzerbrechen bereiten. Das muss man ganz klar sagen.
Julia Wulf: Dazu muss man auch sagen, dass wir ja bereits seit Jahren rationalisieren, optimieren und auch auf regenerative Energien setzen. Das reicht aber alles nicht aus, um diese hohen Energiekosten einfach wegzustecken.
Ansgar Wulf: Zudem man ja auch nicht vergessen darf, auf welches Level die gestiegenen Energiekosten noch oben drauf kommen. Mit dem Beginn des Ukraine-Krieges konnten plötzlich keine Lieferzusagen mehr gegeben werden. Es gab teilweise keine festen Preise mehr, sondern nur noch tagesaktuelle Preise. Da gab es Preissteigerungen von bis zu hundert Prozent in dieser Zeit. Und während es bei uns Anfang des Jahres so extrem wurde, ist es in China genau in die andere Richtung gegangen. Hier reden wir von 20 bis 30 Prozent fallenden Materialpreisen. Das gleiche trifft unter anderem auch auf Indien zu. Und genau das ist unser Problem. Wir haben nicht nur den Wettbewerb in Deutschland und Europa, sondern haben eben auch mit asiatischen Marktbegleitern zu tun, die völlig andere Rahmenbedingungen haben wie wir.
Wie können Sie denn auf diese globale Problematik reagieren?
Tobias Wulf: Wir haben bereits in den vergangenen Jahren viel getan. So haben wir zum Beispiel den kompletten Bereich der Rundteilfertigung aus Rationalisierungsgründen aus unserem Werk in Sieperting an unseren Hauptsitz in Kückelheim verlagert. Durch Ausweitung der Schichten und Zusammenfassen von Arbeitsgängen ist es uns gelungen, hier die Fertigung zu integrieren und so die teuren Nebenkosten zu reduzieren. Wir müssen hier am Standort in Kückelheim durch Optimierung versuchen, so produktiv wie möglich zu sein. Damit haben wir den entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Ländern, in denen die Produktivität nicht so gegeben ist wie in Deutschland und Europa.
Ansgar Wulf: Und unser Produktportfolio ist im Vergleich zu unserem Portfolio von vor zehn Jahren inzwischen auch ein ganz anderes. Wir haben uns durch den Druck immer mehr vorgewagt zu Projekten mit mehr Beratungsintensität und größerem Fertigungs Know-How.
Dafür sind doch sicherlich weitere Investitionen erforderlich?
Tobias Wulf: Man setzt in diesem Zuge auf Automatisierung oder Halbautomatisierung. Das ist in der Regel tatsächlich mit hohen Investitionen verbunden. Aktuell ist unser neues Rundmateriallager kurz vor der Fertigstellung. In Kürze werden wir unsere Laseranlagen an ein vollautomatisches Lager anschließen. Das sind alles Investitionen, bei denen man sich aktuell fragt, ob das in Zukunft noch so möglich sein wird, angesichts der durch die Decke gehenden Kosten. Man muss ganz klar sagen: Wenn es die Energiepreiserhöhung bereits vor anderthalb Jahren gegeben hätte, hätten wir diese Investitionen vermutlich anders bewertet.
Das klingt alles recht dramatisch. Ist der Standort in Kückelheim unter diesen Bedingungen in Gefahr?
Julia Wulf: Nein, das sicherlich nicht. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, dass das Herz des Unternehmens in Kückelheim bleiben wird. Aber das Produktportfolio wird sich ändern. Es ist schon sehr viel Serienfertigung abgewandert und es wird eine weitere Abwanderung erfolgen. Irgendwann werden wir hier nur noch Projektgeschäfte haben, bei denen die Kunden bereit sind, für eine hohe Qualität zu bezahlen. Nur das wird einen Produktionsstandort in Deutschland noch am Leben halten. Das wird aber anderen nicht anders gehen. Damit sind wir nicht alleine.
Dafür braucht es aber doch hochqualizierte Fachkräfte. Wie sieht es mit diesem Problem aus?
Tobias Wulf: Was den Fachkräftemangel angeht, sehe ich im Moment keine Bewegung dagegen. Früher hatten wir pro Ausbildungsjahr 17 Lehrlinge im gewerblichen Bereich, dieses Jahr haben wir nur zehn zusammenbekommen - und damals gab es 40 Bewerber auf die 17 Stellen. Heute kratzt man sich die zehn mühsam zusammen.
Julia Wulf: Und der Trend wird schlimmer. Normalerweise wäre jetzt die Zeit, in der wir alle Ausbildungsplätze fürs nächste Jahr längst besetzt hätten. Aktuell ist aber nur ein Bruchteil der möglichen Ausbildungsplätze für 2023 besetzt. Das ist wirklich erschreckend.
Ulrich König: Und unsere Bemühungen werden in diesem Bereich nicht zurückgefahren, sondern eher noch weiter intensiviert - was ja auch für den Erhalt und die weitere Entwicklung des Standortes spricht.
Wie genau sehen die Bemühungen denn aus?
Ulrich König: Ohne zufriedene und motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist eine erfolgreiche Weiterentwicklung eines Unternehmens sicher nicht möglich. Wir sind überzeugt davon, dass wir attraktive Arbeitsbedingungen bei Ketten Wulf haben - insbesondere auch im Bereich der Ausbildung zum Beispiel mit unserer eigenen Lehrwerkstatt, die wir seit Jahrzehnten betreiben und ständig weiter modernisieren. Um die Fach- und Führungskräfte von morgen zu erreichen und für uns zu gewinnen, gehen wir unter anderem auf die Schulen zu und bieten Workshops und Praktika an, um den künftigen potenziellen Auszubildenden schon früh einen Einblick ins Unternehmen zu ermöglichen. Unsere Berufserkundungstage bieten wir inzwischen auch in digitaler Form an und versuchen uns so immer wieder den sich ständig wandelnden Bedürfnissen des Marktes anzupassen. Dass wir seit nunmehr fast 100 Jahren ein erfolgreiches, inhabergeführtes mittelständisches Unternehmen sind, hängt sicher damit zusammen, dass wir uns bei unseren Bemühungen immer nachhaltig und an den Werten des modernen, innovativen Mittelstands ausrichten. Auf dieser Basis versuchen wir mit bedarfsgerechten und individuellen Lösungen Beschäftigung und damit sichere Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern.
Als Global Player spielt für Sie die Weltpolitik eine große Rolle. Wie ist hier Ihre Sicht auf die Dinge?
Ulrich König: Zurzeit ist die große Unsicherheit, welches Ziel die Politik verfolgt - nicht nur in Bezug auf die innenpolitische, sondern auch in Richtung der globalen Weltpolitik. Was passiert mit China? Was passiert mit den USA? Xi Jinping, der chinesische Staatschef, äußerte beim G20-Gipfel öffentlich, dass in der Welt genug Platz ist für die USA und China. Da fragt man sich schon: Was passiert mit dem Rest der Welt und insbesondere mit der EU und Deutschland? Das sollte die deutsche Politik eigentlich aufmerksam machen. Wir vermissen in Deutschland ein klares Ziel der Politik. Welche Rolle nimmt Deutschland in der EU ein? Wie positioniert sich eine EU gegenüber Asien und den USA? Und wie sieht der konkrete Plan aus, die dann erklärten Ziele zu erreichen? Wir sehen da eine gewisse Orientierungslosigkeit. Wir als produzierendes mittelständisches Unternehmen am Standort Deutschland fühlen uns teilweise sehr allein gelassen von der Politik.
Welche Wünsche haben Sie als familiengeführtes mittelständisches Unternehmen an die Politik?
Ulrich König: Eine klare transparente Zielsetzung und die Beantwortung der Frage, welche Rolle Deutschland in der Weltwirtschaft einnehmen will, wäre ein Anfang. Unser Markt ist nicht nur Deutschland, sondern der internationale Markt. Das gilt für viele Mittelständler sicher genauso wie für uns. Im internationalen Wettbewerb sind wir insbesondere vor dem Hintergrund der Energieproblematik und der damit verbundenen Mehrkosten in einem engen Wettbewerb mit Anbietern aus Osteuropa, USA und Asien, bei denen es dieses Energiethema so nicht oder nur bedingt gibt. Und wenn man dann noch betrachtet, wie viele EU-Gelder und Subventionen an Unternehmen fließen, die gezielt in Osteuropa investieren und ihre Wertschöpfung damit aus Deutschland verlagern, muss man sich schon fragen, ob das nicht auch eine gewisse strukturelle Schwäche von Deutschland und eine Benachteiligung in Bezug auf den internationalen Wettbewerb ist. Hier sollte ein Umdenken und konkretes Handeln in der Politik stattfinden, da viele Probleme politisch motiviert sind und daher auch politisch gelöst werden müssten.
Tobias Wulf: Zumal man in diesem Zusammenhang auch betonen muss, dass die osteuropäischen Länder extrem aufgeholt haben. Wir haben lange Zeit den Gleichschritt vorneweg gesetzt und Osteuropa ist nicht so Recht hinterhergekommen. Diese Zeiten sind vorbei. Hier ist mit EU-Mitteln enorm aufgeholt worden.
Ansgar Wulf: Ich kann im Moment auch nicht wirklich erkennen, dass die Politik hinter einem produzierenden Industriestandort Deutschland steht. Man will sicherlich die Unternehmen haben, aber alles was mit Emissionen verbunden ist, wird ganz gerne auch mal hinter die Landesgrenze verlagert. Während Corona haben alle darauf gesetzt, wieder mehr Produktion nach Deutschland zu bekommen. Jetzt ist Corona gedanklich vorbei, man hat andere Sorgen und der Trend geht gefühlt genau in die andere Richtung.
>>> Lesen Sie auch: Haushalt 2023: Eslohe investiert 6,1 Millionen Euro <<<
Corona ist ein gutes Stichwort. Anders als in Deutschland ist Corona in China immer noch ein großes Thema. Wie wirkt sich das aus?
Ansgar Wulf: Unsere letzte Reise nach China hat Anfang 2020 stattgefunden. Damals lief dort bei der Autofahrt ein Radiobeitrag, in dem es darum ging, dass eine Lungenkrankheit ausgebrochen ist, bei der man gerade überlegt, ob sie ansteckend ist oder nicht. Das war das letzte Mal, dass wir dort waren. Die Kontakte laufen zwar digital weiter, aber das ersetzt natürlich keinen persönlichen Kontakt.
Tobias Wulf: Und ich sehe auch nicht, dass das in Kürze besser wird. Die Chinesen werden das Thema am schwelen halten, um weiterhin die Abgrenzung zu Europa voranzutreiben. Das ist politisch ja alles so gewollt.
Ulrich König: Es ist ja nicht nur die bekannte Null-Covid-Strategie und die strenge Quarantäne-Politik. China hat ja auch die Einreise-Politik und das Visa-Verfahren angepasst und erschwert.
Gibt es angesichts der Situation in China die Tendenz, sich dort zurückzuziehen?
Ulrich König: Wir sind 2001/2002 von unseren Kunden der Fahrtreppenindustrie aufgefordert worden, mit nach China zu gehen, da sich der Markt dorthin verlagert hatte und weil man sonst versucht hätte, sich alternative chinesische Zulieferer aufzubauen. Heute, 20 Jahre später, war das in der Nachbetrachtung der richtige Schritt für unsere Unternehmensgruppe. Die Fahrtreppen-Industrie ist eine unserer priorisierten Branchen weltweit. Wenn wir den Weg damals nicht mitgegangen wären, wäre das Geschäft in diesem Sektor global für uns zusammengebrochen. Bis heute sind wir dadurch in der Lage, an allen Standorten außerhalb von China das Geschäft zu bedienen und sichern damit auch unsere Arbeitsplätze hier in Deutschland.
Wie fällt denn Ihr Fazit mit Blick auf die aktuelle Krise aus?
Julia Wulf: Wir scheuen keine Herausforderungen. Wir haben Corona vernünftig überstanden und wir nehmen auch die aktuellen Herausforderungen an und werden sie bewältigen. Wir machen uns davor nicht bange und sind gut aufgestellt. Als mittelständisches Unternehmen fehlt uns aber leider derzeit das Gehör in der Politik. Dort wird in erster Linie nach den großen Konzernen geschaut, für die es ein Klacks ist, heute ihre Produktion in Deutschland abzubauen und woanders wieder aufzubauen. Viele sind ja schon vorgeprescht und haben nur noch ihre Montage in Deutschland und lassen die Teilprodukte im Ausland fertigen. Uns ist es wichtig, dass der Mittelstand Gehör findet, denn Deutschland lebt vom Mittelstand - auch vom inhabergeführten Mittelstand - und nicht von Investoren, die mittelständische Unternehmen aufkaufen und dann wie einen Konzern führen.