Wenholthausen. Der Personalmangel in der Gastronomie ist bedrohlich. Walter Beckmann aus Wenholthausen bei Eslohe spricht offen: Es gehe an die Substanz.
Wie wirkt sich der Personalmangel in der Gastronomie praktisch vor Ort aus? Walter Beckmann vom Sauerländer Hof in Wenholthausen bei Eslohe würde sofort drei Stellen besetzen – wenn es denn Bewerber für sein Landhotel und Restaurant gäbe. Nachfragen gibt es sogar: Aus Nordafrika!
Beckmann, seit 1986 selbstständig, spricht offen für die Situation in der Gastronomie: Die Belastung gehe auch persönlich an die Substanz.
Selbst Aushilfen sind nicht zu finden
Wie ernst ist die Lage?
Ich frage mich, wo sind all die Menschen geblieben, dass so viele Stellen bei uns nicht besetzt werden können? Ich habe drei Stellen frei, finde aber niemanden. Ich bräuchte Aushilfen, auch einen Leiter des Restaurants. Ich finde sie nicht. Im Moment schultert die ganze Arbeit eine verkleinerte Mannschaft. Das geht an die Nerven. Die Substanz leidet. Ich musste schon die Öffnungszeiten reduzieren. Jetzt ist das Restaurant nachmittags in der Woche geschlossen.
>>> Lesen Sie hier: Dicke Luft bei der Windkraft: Stadt Meschede will gegen Hochsauerlandkreis klagen <<<
Wo sind denn die Schüler und Schülerinnen, die als Aushilfen etwas verdienen wollen?
Früher konnte man Aushilfen im Dorf finden. Heute nicht mehr. Ich höre das von meinen Kollegen durchgängig. Wo sind die jungen Leute? Ich habe das Gefühl, ihnen geht es zu gut – was ihnen ja auch gegönnt ist. Früher gab es nur Taschengeld. Heute bekommen sie Unterstützung von Eltern oder Großeltern. Da spielt Geld manchmal keine Rolle. Aber ob sie es sich erarbeitet haben und dann später mit den Herausforderungen klarkommen? Ich habe meine Zweifel.
„Überflutet mit Anfragen aus Marokko“
Was hat sich da verändert?
Der Sachzwang, arbeiten zu müssen, ist nicht mehr so ausgeprägt.
Vielleicht ist ein anderer Job mit anderen Zeiten auch beliebter: Warum soll man an Freitag, Samstag und Sonntag in der Gastronomie arbeiten, wenn man dann lieber feiern möchte! Aber Ich kann diese azyklische Arbeitszeit nun einmal nicht wegdiskutieren.
Man könnte sich die aber teilen: Dann macht einer mal samstags Dienst, der andere sonntags. Das ist ja nur die Kernzeit von Juni bis September, danach reduziert sich ja alles. In der Vergangenheit haben sich die jungen Leute gegenseitig selbst rekrutiert: Hörte eine Aushilfe auf, wurde der Nachfolger oder die Nachfolgerin schon mitgebracht.
Wie könnte die Gastronomie denn Fachkräfte rekrutieren?
Aus dem Ausland. Ich werde gerade überflutet mit Anfragen aus Marokko…
…aus Marokko? Für Stellen in Wenholthausen?
Ja! Meine Stellen sind offen gemeldet beim Arbeitsamt. Und alles ist auf der Welt lesbar. Ich bekomme jeden Tag zehn Bewerbungen. Hier ist eine (Anmerkung: findet sofort eine Online-Bewerbung eines Marokkaners auf seinem Handy): Kann Deutsch, hat Praktika, schreibt er zumindest. Warum prüfen wir nicht solche Fälle? Notfalls könnte ja nachgeschult werden. Es wäre für mich eine Option. Die Papiere müssten natürlich in Ordnung sein.
Skype ersetzt nicht persönliches Gespür
Stellen Sie ihn doch ein!
Ich traue mich das nicht. Wie will man den Kontakt herstellen? Das müsste vorsortiert werden: Wie viele bräuchte man in einer Region? Dann könnte man geballt Betriebspraktika vor Ort anbieten. Ohne Zuwachs wird es nicht funktionieren. Wir haben doch vor 60 Jahren auch Italiener und Griechen geholt, die kein Wort Deutsch konnten.
Meine freien Stellen werden irgendwo auf der Welt wahrgenommen – aber nicht bei Deutschen. Ich traue mich nicht, darauf einzugehen. Wenn diese Person in Dortmund arbeiten würde, könnte ich dorthin fahren, sie abholen, dann drei Tage hier arbeiten lassen. Dann würde ich spüren, ob das klappt. Aber Marokko? Sicher kann man über Skype sprechen, aber das ersetzt nicht das persönliche Gespür.
>>> Lesen Sie hier: Hochsauerlandkreis: Warum es kaum noch Abschiebungen gibt <<<
Wie schaffen Sie im Moment die Beanspruchung?
Man muss ruhig bleiben dabei. Gestern ist eine Mitarbeiterin krank geworden, die heute am Abend helfen sollte. Dann ziehe ich die Notbremse: Jetzt gibt es nur Halbpension für unsere Hausgäste. Sicher könnte meine Frau auch noch an fünf weiteren Tischen bedienen, das würde mehr Umsatz bedeuten – aber auch das Nervenkostüm belasten.
Im Moment wird viel Frühstück verlangt durch viele Hotelgäste. Das bedeutet aber zwei Stunden mehr Arbeit jeden Morgen, das ist ein riesiger Kraftaufwand. Wir haben sogar in den Betriebsferien durchgearbeitet, um die Firmen nicht zu verlieren. Es ist jeden Tag ein Schlingerkurs: Denn es gibt ja keine kontinuierliche Nachfrage. Gut ist: Die Leute reservieren inzwischen Tische. Die Reservierungsfreundlichkeit ist kolossal gestiegen durch Corona.
„Das klassische deutsche Restaurant wird verschwinden“
Wie wäre der Gastronomie hier zu helfen?
Ich würde mir wünschen, dass alle Kollegen und Kolleginnen sich zusammensetzen und sich austauschen, was man gemeinsam machen könnte. Das würde ich mir von der touristischen Ebene wünschen, dass sie alle Gastronomen zusammenführt und Tacheles geredet wird. Dann könnte man auch mal 50 Marokkaner einladen. Ich könnte natürlich versuchen, in Dortmund beispielsweise Restaurantleute abzuwerben – aber die würden mich wahrscheinlich so viel Geld kosten, das ich nicht erwirtschaften könnte.
Wie sieht die Gastronomie in zehn Jahren aus?
Wenn wir keine anderen Lösungen finden, dann wird sich vieles enorm ändern. Das klassische deutsche Restaurant wird verschwinden. Es wird Vereinfachungen geben. Sonntags mal eben essen zu gehen, wird nicht funktionieren. An Spitzentagen wie Muttertag oder Himmelfahrt wird ein Buffet stehen – fertig! Sonntagabends wird um 20 Uhr geschlossen sein.
„Irgendwo sitzt da draußen ein Nachfolger“
Machen Sie sich Gedanken um Ihre eigene Zukunft?
Natürlich, ich bin 68. Der Laden passt ja nicht in meine Urne, ich kann den nicht mitnehmen (lacht)! Ich bin offen für eine Nachfolge, in jeder Hinsicht. Man hätte eine gesicherte Existenz, der Betrieb ist eingeführt – man kann ihn auch weiterentwickeln, wenn man andere Ideen hat. Ich würde dabei auch helfen, ich könnte beraten, ich könnte mitarbeitend tätig sein – ich bin da offen. Irgendwo sitzt da draußen ein Nachfolger: Ich habe ihn nur noch nicht angesprochen!