Wenholthausen. Corona als Herausforderung: Der Landgasthof Seemer in Wenholthausen hat sich ein stückweit neu erfunden und geht neue Wege.

Der Landgasthof Seemer in Wenholthausen hat sich ein stückweit neu erfunden. Die beiden Inhaberinnen Alexandra Weißenfels-Seemer und Julia Seemer haben Corona genutzt, um mit ihrem Traditionsbetrieb an der Südstraße neue Wege zu gehen.

Das Wort „Corona-Krise“ kommt den beiden dabei nicht über die Lippen. Eine „Krise“ sei etwas anderes, sagt Julia Seemer und verweist auf die Ukraine und auf das Hochwasser im Ahrtal mit seinen schlimmen Folgen. Die beiden Gastronominnen sprechen im Zusammenhang mit Corona von einer „Herausforderung“. Und Herausforderungen seien da, um sie zu meistern. Und das geschieht bei Seemers mit neuen Ideen. Man könne stöhnen und schimpfen und sich seinem Schicksal ergeben oder man könne sein eigenes Schicksal eben in die Hand nehmen, sagt Alexandra Weißenfels-Seemer. Als Unternehmerinnen haben sich die beiden für das Letztere entschieden.

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Zu den neuesten Veränderungen gehört unter anderem ein neues Biergartenkonzept, mit dem der Landgasthof vor einiger Zeit gestartet ist. Dabei wird weitgehend auf die Bedienung verzichtet. Seit Beginn der Biergartensaison kommt ein Pager-System zum Einsatz. Und das funktioniert so: Der Gast gibt seine Bestellung an einem eigens eingerichteten Bestellfenster auf und bekommt danach einen Pager mit zum Tisch. Ist die Speisenbestellung fertig, vibriert der Pager und signalisiert dem Gast, dass seine Bestellung am Abholfenster bereitsteht.

„Damit haben wir das Rad zwar nicht neu erfunden“, sagt Julia Seemer und verweist darauf, dass dieses aus Dänemark stammende System bei vielen anderen Gastronomen in Deutschland bereits ebenfalls im Einsatz ist. Im Sauerland gebe es so etwas in Biergärten allerdings noch eher selten.

Diese Gruppe Radfahrer aus findet die Idee mit der Selbstbedienung gut und ist vielmehr froh, überhaupt eine Möglichkeit zur Einkehr gefunden zu haben.
Diese Gruppe Radfahrer aus findet die Idee mit der Selbstbedienung gut und ist vielmehr froh, überhaupt eine Möglichkeit zur Einkehr gefunden zu haben. © Frank Selter

Bei den allermeisten Gästen kommt das neue System gut an. So wie bei der Gruppe Radfahrer aus Sundern und Neuenrade, die an diesem sonnigen Mittag für ein Päuschen im Biergarten Platz genommen hat. Sie findet die Idee mit der Selbstbedienung gut und ist vielmehr froh, überhaupt eine Möglichkeit zur Einkehr gefunden zu haben. Denn selbstverständlich sei das in der Mittagszeit inzwischen längst nicht mehr.

Mehr Flexibilität

Und genau das wissen auch Alexandra Weißenfels-Seemer und Julia Seemer. Das neue System ermögliche mehr Flexibilität bei weniger Teammitgliedern. Was allerdings nicht bedeute, dass deswegen Stellen abgebaut worden seien. Im Gegenteil: Auch nach all den coronabedingten Lockdowns und den damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind immer noch alle festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord.

Und zu den acht Aushilfen, die dem Betrieb auch in Zeiten der Pandemie weiterhin die Treue gehalten haben, sind inzwischen sechs weitere hinzugekommen. Die beiden Unternehmerinnen setzen bei den Aushilfen bewusst auf einen großen Pool - um nicht einige wenige an jedem Wochenende und an jedem Feiertag einzusetzen zu müssen. „Das sorgt schnell für Unzufriedenheit“, sagen die beiden und nennen erneut das Stichwort „Flexibilität“.

Denn Corona habe vor allem eines gezeigt: Wie wichtig es ist, flexibel zu sein. Und das gelte auch für den Umgang mit dem Pager-System. Denn selbstverständlich gebe es auch Ausnahmen: „Hier muss natürlich niemand, der nicht gut auf den Beinen ist, selbst seine Bestellung zum Tisch tragen. Wenn es nötig ist, wird selbstverständlich geholfen“, sagt Alexandra Weißenfels-Seemer. Und freitags und samstags gibt es nach 17 Uhr auch im Biergarten ohnehin den klassischen Service. Wer dann ausgehe, komme mit einer anderen Erwartungshaltung, weiß Julia Seemer.

Angepasste Öffnungszeiten

Angepasst hat der Landgasthof zuletzt auch die Öffnungszeiten für seine Gastronomie – und damit auf das veränderte Ausgehverhalten reagiert. Während beim Hotelbetrieb mit seinen zwölf Zimmern und dem Campingplatz mit den elf Stellplätzen alles beim Alten geblieben ist, ist die Gastronomie selbst nur noch freitags, samstags, sonntags und an Feiertagen geöffnet. Der Biergarten bildet hier eine Ausnahme: Bei gutem Wetter ist er auch an den Schließungstagen in der Mittagszeit geöffnet – nicht nur, aber auch wegen der vielen Touristen im Ort.

Weniger gearbeitet werde durch die geänderten Öffnungszeiten nicht. „Nur eben anders“, sagt Alexandra Weißenfels-Seemer. Genutzt wird die Zeit für die Arbeit am Unternehmen, unter anderem für die Kontaktaufnahme zu neuen Lieferanten, das Pflegen der Webseite, für Absprachen mit Gästen für geplante Feierlichkeiten und, und, und. Zu tun gebe es immer etwas, sagen die beiden Gastronominnen. Und nun habe man eine Möglichkeit geschaffen, sich konzentriert und intensiv all diesen Dingen zu widmen.

Besetzt ist auch an diesen Tagen die Küche. Denn dann wird unter anderem all das produziert, was der Landgasthof seit einiger Zeit unter seiner Marke „HeimatGlück“ vertreibt: Kräutersirup, Wilde Currywurst, Wildgulasch, Rinderrouladen, Aufstriche, Suppen und vieles mehr. Mit diesen Produkten war der Landgasthof während des zweiten nicht enden wollenden Lockdowns zum ersten Mal auch auf dem Mescheder Wochenmarkt vertreten. Flexibilität! Wenn die Menschen zum Genießen nicht in den Gasthof dürfen, kommt der Gasthof mit seinen Genüssen eben zu den Menschen. Weil sich die Strategie bewährt hat, hält der Landgasthof weiterhin daran fest: Auch ohne Lockdown ist der Stand nun in den Herbst- und Wintermonaten Bestandteil des Wochenmarktes in Meschede.

Keine leichten Entscheidungen

Allesamt waren diese strategischen Entscheidungen keine Entscheidungen, die mal eben so getroffen worden sind. Vor jedem Schritt habe man viel diskutiert – auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Hause eigentlich eher so etwas wie Mitunternehmer seien. Man habe über den Tellerrand geschaut, sich mit anderen Gastronomen ausgetauscht und mit Beratern gesprochen. „Dabei hinterfrage ich eher kritisch und suche nach den Hürden“, sagt Julia Seemer und lacht. Schwester Alexandra hingegen sei glücklicherweise eher der Typ, der diese Hürden entweder aus dem Weg räumt oder drüber springt. Immerhin sichert jeder einzelne dieser Sprünge die Zukunft des traditionellen Landgasthof auch über die 486 Jahre seines Bestehens hinaus. Und sei die Herausforderung auch noch so groß.

  • Geöffnet ist die Gastronomie vom Landgasthof Seemer freitags und samstags von 11.30 bis 22 Uhr sowie sonntags und an Feiertagen von 11.30 bis 21 Uhr. Bei gutem Wetter auch mittwochs und donnerstags von 12. bis 14.30 Uhr.
  • Die Selbstbedienung im Biergarten gilt freitags und samstags von 11.30 bis 17 Uhr sowie sonntags ganztägig. Ab 18 Uhr ist der Biergarten an Freitagen und Samstagen mit Service geöffnet.
  • Für ihre „HeimatGlück“-Produkte, die im eigenen Onlineshop erhältlich sind, und ihre „HeimatKüche“ im Gasthof setzen Seemers weitgehend auf Produkte aus der Region: So kommt zum Beispiel das Fleisch von heimischen Jägern, die Forellen kommen aus Oberelspe, die Kartoffeln aus Berge, das Eis von der Konditorei Kaptain aus Eslohe sowie vom Hörnken aus Finnentrop und der Kaffee aus der Rösterei Birkenhof in Holthausen.