Schmallenberg. Ukrainische Männer dürfen nicht ausreisen, heißt es. Sie sollen ihr Land verteidigen. Wie die, die trotzdem hier sind, damit klarkommen.

Sie sind 34 und 35 Jahre alt, zwei ukrainische Männer, von denen es heißt, sie dürften nicht aus ihrer Heimat ausreisen. Sie müssten bleiben, um ihr Land im Krieg gegen Russland zu verteidigen. Warum sie trotzdem in Schmallenberg sind, berichten Dmytro Pryshchepov und Oleksandr Mykhalchuk. Anlass ist die Aufregung, die entstand, nachdem Frauen Männer aus einem Garten vertrieben hatten.

Legal ausgereist

Sie sind beide keine großen Redner, eher still und in sich gekehrt. Die Sprachschwierigkeiten zwischen der Journalistin und den Männern machen das Gespräch nicht gerade leichter, auch wenn die Schmallenbergerin Helena Schneider übersetzt. Ja die Schuld, sagen beide, das schlechte Gewissen, weil man Freunde, Verwandte, das Land zurückgelassen habe, damit müssten sie leben. Was ihnen wichtig ist: „Wir sind beide legal ausgereist.“

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Ukrainerinnen vertreiben Männer aus Schmallenberger Garten

In einem Bericht unserer Zeitung hatte der Schmallenberger Sebastian Lanksch berichtet, wie Ukrainerinnen Männer durch die Hecke vertrieben hätten, die am Mittwochs-Treff teilnehmen wollten.

Sie sollten nach Hause gehen, eine Waffe in die Hand nehmen und dort kämpfen, hatten sie ihnen nachgerufen. Lanksch lädt Flüchtlinge einmal pro Woche privat in seinen Garten in die Falke-Villa in die Ohlgasse ein. Eigentlich ein friedliches Treffen - er selbst war überrascht von der Aggressivität. Die Redaktion wollte wissen, wie geflohene ukrainische Männer damit umgehen.

Dmytro Pryshchepov und Oleksandr Mykhalchuk haben von der Geschichte gehört. „Aber wir waren selbst nicht betroffen und haben hier bisher auch noch keine Anfeindungen erlebt“, berichtet Dmytro Pryshchepov. Er schiebt nachdenklich nach: „Aber wir spüren, dass da was kommt.“

Selbstständiger Schilder- und Lichtreklamehersteller

Der Vater einer sechsjährigen Tochter arbeitete in seiner Heimatstadt Charkiw als selbstständiger Schilder- und Lichtreklamehersteller. Er machte alle Arten von Oberflächen bunt, gestaltet das Design am PC und führte es dann auch aus, ob an Fassaden oder auf Fahrzeugen. Die Musterung in der Ukraine hat er durchlaufen. „Die haben mich wieder weggeschickt“, erzählt er. Der Rücken. Der 34-Jährige hat einen akuten Bandscheibenvorfall.

Pryshchepov folgte seiner Frau Irina und seiner Tochter, die schon Ende März ausgereist waren, am 20. April nach Schmallenberg und brachte die behinderte Schwiegermutter mit. Zusammen leben sie in Fleckenberg.

Bauleiter und Vater von vier Kindern

Er wollte nicht gehen, sagt Oleksandr Mykhalchuk, aber seine Frau habe sich geweigert, ohne ihn das Land zu verlassen. Das Paar hat vier Kinder zwischen anderthalb und 17 Jahren. Der 35-Jährige durfte deshalb offiziell ausreisen. Er kam mit seinem Pkw am 11. März über die Grenze nach Oberkirchen. In Charkiw war er „Manager“ arbeitete für eine Baufirma, leitete dort die Filiale. Noch steht sein Haus. Er weiß das, weil er - wie Dmytro Pryshchepov - minütlich auf sein Handy blickt. Über Facebook und Telegram sind sie mit Verwandten, Nachbarn und Freunden verbunden. Sie wissen sofort, wo in ihrer Heimatstadt Bomben und Raketen einschlagen, erfahren, wenn Freunde sterben. Nachrichtensendungen sehen sie nicht.

Die Frage nach dem Zurück

Zurückgehen, ja das wäre schön, aber wohin? Und wann? Gibt es dann dort noch ein Haus, eine Wohnung? Eine Zukunft für die Kinder? Man müsse sich auf einen längeren Aufenthalt vorbereiten, sagen die Männer. Sie wollen sich integrieren, wollen vor allem arbeiten, aber erstmal die Sprache lernen. Es sei schwer, einen Integrationskurs zu bekommen, bedauern beide. Ansonsten sind sie dankbar für die Freundlichkeit, mit der sie aufgenommen werden, für das Engagement von Menschen wie Lanksch und Schneider.

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Schmallenberg als friedlichen Ort erlebt

Oleksandr Mykhalchuk lobt, wie friedlich, die Menschen hier trotz der verschiedenen Herkunftsorte miteinander umgehen. „Das ist eine Erfahrung, die ich gern mit zurücknehmen möchte.“ Und die Aggressivität der Frauen, die Männer vertreiben? Helena Schneider hat eine Erklärung: „Das ist vor allem Frust und ganz viel Verzweiflung“, vermutet sie. „Die Frauen sind überfordert mit der Situation, mit der Angst vor Krieg und Bomben, vor der Zukunft.“ Und gerade die, die die Männer im Garten angeschrien hätten, hätten selbst alles versucht, um ihre Männer aus der Gefahr zu holen. Ohne Erfolg.

Führerschein läuft ab

Ein Thema beunruhigt die Männer: Wer länger als sechs Monate in Deutschland lebt und aus einem Nicht-EU-Land eingereist ist, der muss seinen Führerschein umschreiben lassen und eine neue Prüfung ablegen. Das ist teuer und nicht einfach. Dabei spielt es keine Rolle, ob man bis dahin unfallfrei über Deutschlands Straßen gefahren ist.

Wenn man Dmytro Pryshchepov und Oleksandr Mykhalchuk also fragt, was sie sich wünschen, dann kommt als erste Antwort: Deutschland soll bitte die Führerscheinregelung verlängern oder grundsätzlich erleichtern.

In Schmallenberg auf einem Dorf zu leben, eine Arbeit zu suchen und dann auch noch vier Kinder zu haben, das sei ohne Führerschein schlicht unmöglich, sagt Mykhalchuk.

Angeblich wird zurzeit auf EU-Ebene diskutiert, den ukrainischen Flüchtlingen die Umschreibung zu erleichtern. Allerdings muss man sich dort beeilen, denn wenn die Ukrainer doch nach sechs Monaten ihren Führerschein verlieren, ist es jetzt höchste Zeit, dass sie sich bei einer Fahrschule anmelden.