Bestwig. Im Bestwiger Edeka sind die letzten Tage angebrochen. In dieser Woche ist Schluss. Dann beginnt ein neues Kapitel. Bis dahin muss alles raus.
So fröhlich die Musik ist, die aus den Lautsprechern des Bestwiger Edeka-Marktes schallt, so traurig ist inzwischen der Anblick der leeren Regale. Nach 65 Jahren wird der Supermarkt am Donnerstag dieser Woche zum allerletzten Mal geöffnet sein. Dann ist Schluss. Wenn Jochen Gerlach um 19 Uhr den Schlüssel umdreht, endet ein Kapitel in der Geschichte Bestwigs. „Es ist schon schwer“, sagt Jochen Gerlach und schaut seine Frau Martina an, die gerade mit den Tränen kämpfen muss. Der Schritt tut weh, und daraus machen die beiden auch keinen Hehl.
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Was Jochen Gerlach und seine Frau Martina über den Schmerz hinwegtröstet: Mit dem Ende des einen Kapitels, wird ein neues beginnen: Unmittelbar nach der Schließung soll der Umbau starten. Bis zum Ende des Jahres wird an jener Stelle, an der mehr als sechs Jahrzehnte lang Lebensmittel verkauft worden sind, die Drogeriemarktkette Rossmann eröffnen. „Viel schlimmer wäre es für uns, zum letzten Mal den Schlüssel umzudrehen und einen Leerstand zu hinterlassen“, sagt Jochen Gerlach und spricht von einer kaufmännischen Vernunftentscheidung.
Mit der Eröffnung der neuen Märkte Rewe und Aldi hänge diese Entscheidung nicht zusammen, betont er. Ja, man habe die Neueröffnungen zu spüren bekommen, allerdings keineswegs in dem Ausmaß, wie zuvor befürchtet. Mit der Schließung des Marktes und der Vermietung an Rossmann habe er sich vielmehr entschieden, eine sichere Karte zu ziehen, hatte er bereits damals gegenüber unserer Zeitung betont. Jetzt, kurz vor dem Ende seines Ladens, erneuert er die Aussage noch einmal mit genau diesen Worten.
Vor 14 Tagen gab es zunächst 25 Prozent auf alle Waren, vor sieben Tagen dann 40. Zuletzt sind es nun 60 Prozent. Alles muss raus! „Viel wird bis zum Ende des letzten Tages nicht übrig bleiben“, da sind sich Martina und Jochen Gerlach sicher. Und wenn doch, dann wolle man es spenden. Möglicherweise für Menschen aus der Ukraine, sagen sie.
Gespendet haben die Gerlachs im Laufe der Jahre ohnehin des Öfteren. Über Oster- und Weihnachtsartikel haben sich regelmäßig die Seniorinnen und Senioren des Erikaneums gefreut.
So manche Träne geflossen
In den vergangenen Tagen und Wochen ist so manche Träne geflossen. Es sind vor allem auch viele ältere Menschen, die den Edeka und Gerlachs Service vermissen werden, denn wer Lebensmittel brauchte, musste keineswegs zwangsläufig in den Laden kommen. Gegen einen kleinen Obolus haben die Gerlachs bis in die Wohnung geliefert. Und anfangs war dieser beliebte Service sogar kostenlos.
Viel, sogar sehr viel, hat sich verändert, seit Kaufmann Fritz Arens und seine Frau Antonia damals den Kaufladen an der Provinzialstraße - der heutigen Bundesstraße - eröffneten. Mit Pferd und Einspänner holte Arens die Waren seinerzeit zum Verkauf aus Meschede. In den 20er-Jahren gab es Kolonialwaren und Lebensmittel - Bananen, Spirituosen, Heringe, offene Milch, Glas, Porzellan, alles was man zum Leben eben so brauchte. Nach dem Krieg war in einem Teil des Ladens eine Änderungsschneiderei, die von zwei älteren Damen geführt wurde, angemietet. Später übernahm die Polizei die Räumlichkeiten und nutzte sie als Diensträume. Zwischenzeitlich war der Laden auch Abholstelle von Pillen, Tropfen, Salben und Rezeptmedikamenten der Ramsbecker Apotheke.
In den 60er-Jahren erfolgte schließlich der Umbau und es gab einen neuen Namen: „A&O“. Der Volksmund machte aus der Abkürzung kurzerhand Arens Onkel. Nach dem Tod von Fritz Arens im Jahr 1957 übernahm Günter Gerlach das Geschäft. Er verkaufte neben den Lebensmitteln auch Herde und Öfen. Später wurde aus dem „A&O“ ein Combi-Markt, daraus ein „Markant“ und aus dem „Markant“ der heutige „Edeka“, den Jochen Gerlach gemeinsam mit seiner Frau Martina schließlich von seinem Vater übernahm und den die beiden stets mit viel Herzblut betrieben haben. Vor allem auch die familiäre Atmosphäre haben die Angestellten und Kunden immer geschätzt.
Fest eingespielte Abläufe
Es waren fest eingespielte Abläufe: Um 5.30 Uhr klingelte der Wecker. Zwischen 6 und 6.30 Uhr wurde das frische Obst und Gemüse eingeräumt, um 7.30 Uhr der Laden geöffnet. Bis zum Feierabend waren die Gerlachs in ihrem Laden die Mädchen für alles: Kassieren, Büroarbeiten, Kunden beraten, Bestellungen aufgeben, hinter heruntergefallenen Marmeladengläsern her wischen und nach Feierabend die Abrechnung machen. All das wird sich nun ändern. Während Martina Gerlach ab April im Eversberger Edeka-Markt „Nah & gut“ beginnt, wird Jochen Gerlach erst einmal zum Handwerker, um den Weg für Rossmann zu ebnen. Bis hin zum Rohbau soll das gesamte Gebäude entkernt werden, um es danach für die Drogeriemarktkette neu herzurichten.
Wie bereits berichtet, wird die Bäckerei Kremer am Standort bleiben. „Es entstehen zwei eigenständige Ladenlokale“, sagt Gerlach. Das habe für die Bäckerei den Charme, dass sie ihre eigenen Öffnungszeiten gestalten und zum Beispiel auch sonntags öffnen kann. Außerdem wird die Bäckerei deutlich mehr Platz für ihren Café-Bereich bekommen. Während des Umbaus für Rossmann wird sie zunächst weiterhin geöffnet bleiben - mindestens erst einmal bis Ostern.
Übergabe an Rossmann im Juli
Zum 1. Juli soll das Gebäude dann an Rossmann übergeben werden. Spätestens zum Weihnachtsgeschäft, vermutlich aber deutlich früher, wird die Eröffnung sein. Und auch dann wird sich Jochen Gerlach immer noch gern daran zurückerinnern, wie er als Kind in Lederhose durchs Geschäft seines Vaters gelaufen ist und nach Schokowölkchen gefragt hat.
- Die neue Rossmann-Filiale wird eine Verkaufsfläche von rund 800 Quadratmetern haben. Insgesamt stehen dem Drogeriemarkt samt eines Lagers, das noch angebaut werden soll, gut 1000 Quadratmeter zur Verfügung. Zum Vergleich: Die aktuelle Rossmann-Filiale hat eine Verkaufsfläche von rund 350 Quadratmetern.
- Neu gestaltet wird auch der Parkplatz am Gebäude. Im Gegensatz zur aktuellen Situation hat Rossmann dann 32 Stellplätze direkt vor der Tür.