Meschede/Hochsauerlandkreis. Patrick Sensburg (CDU) gehört dem Bundestag nicht mehr an, arbeitet aber dort weiter mit. Ein Interview über Nachrichtendienste und die Ukraine.
Obwohl Patrick Sensburg dem Bundestag in Berlin seit über vier Monaten gar nicht mehr angehört, ist er dort weiterhin streng geheim unterwegs. Denn der CDU-Politiker aus dem Hochsauerlandkreis, Jurist, Geheimdienst- und Verteidigungsexperte und Präsident des Deutschen Reservistenverbandes beaufsichtigt immer noch die deutschen Nachrichtendienste.
SPD und Grüne können sich in der neuen Koalition nicht über den Vorsitz des Parlamentarischen Kontrollgremiums einigen – deshalb tagt das Gremium in der alten Besetzung nach wie vor weiter. Auch ein früherer AfD-Abgeordneter ist dort weiter Mitglied. Im Interview spricht Sensburg über dieses ungewöhnliche Parlaments-Kapitel, seine Sorgen zu Russland und der Ukraine.
Sowohl Ort als auch Zeit sind hier geheim
Erstaunlich: Da gibt es im Bundestag noch ein Gremium aus der letzten Wahlzeit?
Ja, das ist wirklich ungewöhnlich. Aber der Bundestag muss kontinuierlich die Kontrolle über die Nachrichtendienste aufrechterhalten. Deshalb endet unsere Amtszeit auch erst mit der Bestellung eines neuen Parlamentarischen Kontrollgremiums. Wenn sich die Koalition nicht über den Vorsitz einigt, könnte es sein, dass wir noch monatelang weitertagen.
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Ein weiteres Gremium müsste neu besetzt werden: Die G-10-Kommission tagt auch in alter Besetzung: Sie beschließt Anordnungen, um das Brief- und Telekommunikationsgeheimnis einzuschränken, wenn Nachrichtendienste eingreifen wollen. Diese Kommission wiederum wird vom Parlamentarischen Kontrollgremium gewählt. Das hängt zusammen.
Müssen Sie sich die Ohren zuhalten, weil Sie eigentlich kein Amt mehr im Bundestag haben?
Ganz im Gegenteil! (lacht) Wir müssen unsere Kontrolle ja weiter wahrnehmen. Deshalb machen wir die Ohren weit auf.
Wir treffen auch noch Beschlüsse. Ich habe ganz normal ein Stimm-, Rede- und Fragerecht – ich bin weiter volles Mitglied. Wir tagen regelmäßig. Sowohl der Ort als auch die Zeit sind geheim. Aber jeder weiß, wo der abhörsichere Raum im Bundestag ist, in dem getagt wird. Der hat keine besondere Nummer und ist auch sehr schlicht. Wo er im Bundestag liegt, kann ich aber natürlich nicht sagen!
Ukraine, Extremisten, Reichsbürger - alles mögliche Themen
Man sollte meinen, im Moment sind auch genug Themen da für dieses Gremium?
Ja, es gibt eine Vielzahl von Themen auf der Tagesordnung. Da sind ganz grundlegende Themen, die wir immer diskutieren, aber eben auch tagesaktuelle Themen.
…ich würde an Osteuropa denken…
Zum Beispiel. Man könnte sich als Außenstehender sicher vorstellen, dass das Thema Ukraine auf der Tagesordnung stehen könnte. Wenn man mal spekulieren würde, käme man sicher auch immer wieder auf Fragen zu Extremisten oder auch zu „Reichsbürgern“. Da sind viele, viele aktuelle Themen, wo man sich vorstellen könnte, dass das Gremium nicht arbeitslos ist. Konkretes darf ich natürlich nicht sagen, aber es ist gut, dass das Gremium wenigstens in der alten Besetzung tagt: Sonst wäre ja die Konsequenz, es tagt gar nicht mehr. Und das würde bedeuten, die Nachrichtendienste wären unkontrolliert.
Schade für Sie, wenn Sie mal ausscheiden?
Das ist schon hochspannend. Ich war lange mit dem NSA-Untersuchungsausschuss beschäftigt und jetzt über vier Jahre mit der Kontrolle der Nachrichtendienste beschäftigt. Ich bin Mitherausgeber einer Fachzeitschrift zu Nachrichtendiensten. Wissenschaftlich werde ich mich im Rahmen meiner Professur weiter damit beschäftigen: Dem Thema werde ich verbunden bleiben.
Russia Today und die russische Community in Deutschland
Die Weltlage ist beunruhigend. Plötzlich wird in Europa wieder Krieg denkbar?
Das beunruhigt mich schon lange. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder klassische militärische Konfrontationen erleben, wird größer. Das ist übrigens nichts Neues: Anfang der 90er Jahre hatten wir die Jugoslawien-Kriege, und im Kosovo ist immer noch ein militärischer Einsatz. Aber mit Russland gewinnt es eine andere Dimension.
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Jetzt ist ein Potenzial da, das weit über ein kleineres Land hinausgeht. Es birgt viel stärkere Auswirkungen auf ganz Europa, bis hin zu uns. Und man muss auch sehen: Wir haben eine nicht unerhebliche russische Community in Deutschland. Seit den 90ern sind viele Übersiedlern und Aussiedler unter Helmut Kohl nach Deutschland gekommen. Dort wird zum Beispiel auch der Streit um den Fernsehsender „Russia Today“ ganz anders wahrgenommen.
Das könnte auch ein Thema in dem Kontrollgremium sein, was Sie ja nicht bestätigen können…
Genau, bestätigen kann ich es nicht. Aber all das sind grundsätzlich Themen, die in diesem Gremium aufgehoben wären. Zum Beispiel: Wie groß ist der Einfluss Russlands auf diesen Sender und unsere Gesellschaft insgesamt?
Würde der Präsident des Reservistenverbandes empfehlen, Waffen an die Ukraine zu liefern?
Es ist ganz wichtig, die Ukraine zu unterstützen. Es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten. Ich war letztes Jahr bei den Unabhängigkeitsfeiern in der Ukraine und habe dort mit vielen Vertretern sprechen können.
Da macht man sich größte Sorgen um die Unabhängigkeit. Die sagen: Nur Worte oder Drohungen, dass man North Stream 2 vielleicht platzen lässt, werden nicht reichen. North Stream 2 hat ein gewisses Drohpotenzial, aber es reicht nicht aus. Das würde keine militärische Aktion verhindern. Russland muss wissen, dass die Ukraine so ausgestattet ist, dass ein Angriff militärisch keinen Sinn macht.
5000 Helme für die Ukraine: „Kommunikativ ein Desaster“
Was für Waffen würden Sie liefern?
Das ist bedarfsabhängig. Was wird gebraucht? Abwehrwaffen gegen Raketenangriffe? Brauchen sie so etwas? Man muss genau prüfen, was bringt nachhaltig etwas in der konkreten Gefährdungssituation. Da muss man ins Detail schauen: Das können Optiken für Gewehre sein, oder auch Raketenabwehrsysteme oder Radars. Russland muss klar sein, dass es in der Ostukraine und am Asowschen Meer auf Dauer nicht militärisch erfolgreich sein kann.
Und die Lieferung von 5000 Helmen?
Man kann zumindest sagen: Das war kommunikativ ein Desaster. Die Ukraine wünschte sich verschiedene Leistungen aus Deutschland, dazu gehörten Schutzwesten und Helme. Darauf hat die Regierung gesagt, Schutzwesten haben wir nicht, aber Helme. Das hätte man besser medial überhaupt nicht erwähnt. Dass im Kontext als große Unterstützung zu verkaufen, war ein Desaster.
Gehört die Ukraine für Sie in die Nato?
Das steht zurzeit von keiner Seite aus zur Diskussion. Aber man könnte enger mit der Ukraine militärisch zusammenarbeiten, enger als jetzt. Da geht es um Sicherheitsgarantien. Eine Nato-Mitgliedschaft wird Zeit brauchen. Ich sehe keinen schnellen Beitritt, aber eine deutlich engere Zusammenarbeit mit der Nato, um der Ukraine auch die Sicherheit in der Souveränität zuzugestehen, die sie verdient hat. Das ist das Prinzip freier Völler. Niemand will mit der Nato in Russland einmarschieren – aber so tut Russland gerade! Die russische Legende ist, die Nato rückt immer näher an Russland ran. Die muss man entzaubern! Staaten wollen aus Angst vor Russland in die Nato, dass ist die Realität.
„Putin hat sich in eine Ecke manövriert, aus der er kaum herauskommt“
Droht ein Krieg?
In den nächsten Tagen und Wochen kann sich die Situation der halben Welt verändern, wenn das schief geht. Ich bin besorgt, weil Russland Truppen in einem so großen Umfang zusammenzieht. Wie soll Putin da gesichtswahrend rauskommen? Er kann seine Armee nicht ewig da stehen lassen. Nimmt er den kleinsten Funken zum Anlass, um anzugreifen?
Ich kann mir kaum vorstellen, dass Putin alle Soldaten einfach wieder abzieht. Im Hintergrund will man einen breiten Zugang zum Asowschen Meer und sagt dies auch ganz deutlich. Und wie käme das auch in Russland an, wie käme das in der russischen Minderheit in der Ukraine an? Putin hat sich in eine Ecke manövriert, aus der er kaum herauskommt. Wir sollten daran arbeiten, dass Krieg keine Option ist.
>>> ZUR PERSON <<<
Prof. Dr. Patrick Sensburg wohnt weiterhin im Hochsauerlandkreis. Er hat eine Professur an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Münster.
Der Oberst der Reserve ist ehrenamtlich Präsident des Deutschen Reservistenverbandes mit 115.000 Mitgliedern. Er ist bis Ende 2023 gewählt.
Die deutschen Reservisten haben erste Kontakte zur Ukraine aufgebaut: Die Ukraine hat bislang eher Veteranenorganisation. „Wir sind im Austausch“, sagt Sensburg. Die Reserve sei nicht nur da, um ausgeschiedene Soldaten weiter militärisch zu befähigen, sondern sie beinhalte auch Fragen der Demokratie und politischen Bildung - etwa auch in Sachen Freiheit und Rechte.