Meschede/Hüsten. Mit Wucht kommen nach Corona Viruskrankheiten zurück. Was an RSV für Kleinkinder gefährlich ist, erläutert Dr. Bartholomäus Urgatz aus Hüsten.

Während alle immer noch gebannt auf die Coronaviren blicken, machen sich Kinderärzte in der Region Sorgen über eine weitere Viruserkrankung, das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), das vor allem kleine Kinder betrifft. Dr. Bartholomäus Urgatz, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendmedizin in Hüsten und zuständig für die Region Meschede, kennt RSV, das wie alle Viruserkrankungen in Wellen auftritt, aus seiner Laufbahn. „Aber so früh wie in diesem Jahr habe ich es noch nicht erlebt.“ Und das hat auch mit Corona zu tun, wie der Mediziner im Interview erläutert.

Im Juni hatten Sie den ersten RSV-Fall in der Kinderklinik. Was wäre normal?

Dr. Bartholomäus Urgatz: Normalerweise sehen wir die ersten Fälle im Oktober oder November. Seit Anfang September haben die Zahlen deutschlandweit einen kritischen Grenzwert bei Kindern im Alter zwischen null und vier Jahren überschritten. Mehr als 50 Prozent der Atemwegserkrankungen sind bereits auf RS-Viren zurückzuführen und das nimmt von Woche zu Woche zu. Die Folge ist auch, dass man mehr Kinder in Kliniken behandeln muss, einfach weil mehr erkranken. Normalerweise ist RSV eine typische Infektion der Wintermonate. Wir alle stecken uns an, doch Kinder erkranken, je jünger sie sind, umso schwerer. Das ist genau andersherum als beim Coronavirus. Da erkranken auch Kinder, doch habe ich hier bisher keinen schweren Fall gesehen.

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Was macht die Kinder so krank?

Das Respiratorische Synzytial-Virus ist eine Atemwegserkrankung. Es befällt vor allem die kleinsten Bronchien. Und die sind bei Kindern nun mal sehr viel kleiner als bei uns. Die Schleimhäute schwellen an, die Atemwege werden regelrecht zugepresst. Die Kinder bekommen keine Luft. Wenn man einmal die Panik in den Augen gesehen hat, das vergisst man nicht.

Dr. med. Bartholomäus Urgatz Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendmedizin Klinikum Hochsauerland in Hüsten.
Dr. med. Bartholomäus Urgatz Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendmedizin Klinikum Hochsauerland in Hüsten. © Privat | Klinikum Hochsauerland

Wie behandeln Sie die kleinen Patienten?

Bis zur künstlichen Beatmung. Doch das ist selten, weil Kinderärzte die schweren Verläufe frühzeitig erkennen und wir sie dann hier auf der Kinderstation mit Medikamenten, Inhalationen und Sauerstoff bekämpfen können. Zurzeit haben wir vier Babys hier mit einer akuten RSV-Infektion. Teilweise müssen die Kinder halbstündig jeweils fünf Minuten inhalieren. Das bindet auch viel Personal. Man kann schon sagen, dass wir gut beschäftigt sind. Die übrigen 32 Patienten wollen ja auch gepflegt werden. Man muss allerdings sagen, dass die Erkrankung mit einer guten Behandlung nach drei bis sieben Tagen überwunden ist. Der Körper schafft es dann selbst, die Viren zu bekämpfen. In meinen 15 Jahren als Kinderarzt musste ich nur zwei Babys wegen RSV intubieren und künstlich beatmen.

Kann man sich und seine Kinder vor RSV schützen?

Das ist quasi unmöglich. Wenn Sie in einem Raum mit jemandem sitzen, der hustet und niest, weil er das RS-Virus hat, werden Sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit anstecken. RSV ist unglaublich infektiös, ähnlich wie das Coronavirus. Aber als Erwachsener haben Sie dann meist nur einen leichten Infekt. Grundsätzlich ist es schließlich auch gewollt, dass wir uns regelmäßig anstecken, eben um uns zu immunisieren.

Und das ist in den vergangenen Monaten wegen der Kita- und Schulschließungen und durch den Lockdown ausgeblieben?

Im vergangenen Winter haben wir die Infektions-Welle durch die AHA-Regeln vermieden. Das gilt auch für alle anderen momentan akuten Luftwegsinfektionen z.B. mit Rhinoviren oder Parainfluenzaviren. Alle waren ja viel gesünder. Wir hatten auch kaum Kontakt und konnten uns nicht immunisieren. Das wird jetzt deutlich mehr werden mit den beschriebenen Folgen für die Kleinsten.

Auf der Kinderstation des  Klinikums Hochsauerland in Hüsten wird ein  drei Wochen altes Neugeborenes behandelt, das an RSV erkrankt ist. Während die Mutter das Baby streichelt, inhaliert die Schwester mit dem Kind. Für die Kinderpflegerin bedeutet das seit Beginn der Corona-Pandemie einen hohen Aufwand, weil sie für jeden Kontakt neue Schutzkleidung anziehen muss.
Auf der Kinderstation des  Klinikums Hochsauerland in Hüsten wird ein  drei Wochen altes Neugeborenes behandelt, das an RSV erkrankt ist. Während die Mutter das Baby streichelt, inhaliert die Schwester mit dem Kind. Für die Kinderpflegerin bedeutet das seit Beginn der Corona-Pandemie einen hohen Aufwand, weil sie für jeden Kontakt neue Schutzkleidung anziehen muss. © Privat | Klinikum Hochsauerland

Muss man sich jetzt als Eltern eines gesunden Kleinkindes Sorgen machen und bei welchen Symptomen sollte man hellhörig werden?

Grundsätzlich machen Eltern heute alles richtig. Sie suchen frühzeitig den Kontakt zum Arzt oder zur Ärztin. Wenn es sich um einen schweren Verlauf einer RS-Viren-Infektion handelt, dann ist das Kind sehr krank, hustet so stark, zieht Luft und hat eine so schwere Atmung, dann wird niemand mehr versuchen, mit Hausmitteln zu behandeln. Der Kinderarzt hört das Baby ab und misst den Sauerstoffgehalt im Blut. Schnell ist dann auch eine Sauerstoff-Therapie im Krankenhaus nötig. Gefährlich ist, dass sich die Infektion so schnell, meist nur über Stunden vom Niesen und Husten bis zur Luftnot entwickelt. Spätestens dann sollten Eltern zum Kinderarzt oder in die Notfallambulanz kommen. Behandelt wird die Erkrankung nämlich stets gut überstanden.

>>>HINTERGRUND

Impfungen gegen das Respiratorische Synzytial-Virus sind möglich, aber relativ aufwendig, da Antikörper einmal im Monat während der Erkältungszeit in den Muskel gespritzt werden müssen.

Da das auch für die kleinen Patienten eine große Belastung ist, empfehlen Ärzte die Impfung nur für frühgeborene oder lungen- oder herzkranke Kinder.

Bei diesen hat Dr. Bartholomäus Urgatz im Klinikum Hochsauerland in diesem Jahr bereits im August mit der Impfung begonnen, weil bereits im Juni erste Fälle auftraten. Die allgemeine Impfempfehlung wurde offiziell in diesem Jahr dann ab September ausgesprochen..