Meschede/Hochsauerlandkreis. Die Erklärungszeit beginnt. Droht eine Grippe-Welle? So ist die Prognose des Gesundheitsamtes HSK. Was dessen Leiter empfiehlt und dazu sagt.

Die Erkältungssaison kehrt zurück. Und damit nach Corona auch die Grippe? Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes in Meschede, nennt im Interview auch erstaunlich viele Parallelen zu Corona.

Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Gesundheitsamtes im Hochsauerlandkreis.
Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Gesundheitsamtes im Hochsauerlandkreis. © HSK

Hat die Grippe zuletzt überhaupt eine Rolle gespielt?

Nein, wir hatten in der letzten Saison überhaupt keine Grippefälle - zumindest keine, die uns gemeldet wurden. Das ist zum ganz überwiegenden Teil den Hygienemaßnahmen in der Coronazeit geschuldet. Durch die Maskenregelung und Abstandsregel war die Übertragungswahrscheinlichkeit für Grippe einfach relativ gering. Grippe wird durch Tröpfchen und Kontakte übertragen – verhindert man die, gibt es natürlich weniger Fälle.

Müsste man diese Hygienemaßnahmen aus der Coronazeit dann nicht fortsetzen?

Nein, das wäre völlig übertrieben. Natürlich verhindert man dadurch Infektionskrankheiten generell. Aber die Grippe würde das nicht rechtfertigen. Die Regelungen bei Corona haben das Alltagsleben und das gesellschaftliche Leben ja nicht unerheblich beeinträchtigt.

Hat Corona die Grippe verhindert?

So würde ich es nicht formulieren wollen. Die Hygienemaßnahmen, der Schutz-Lockdown mit den Kontaktreduzierungen – diese Kombination hat bewirkt, dass wir so niedrige oder gegebenenfalls überhaupt keine Grippefälle hatten.

>>> Lesen Sie auch: Meschede: Wir man das Beste aus der Gaspreiserhöhung macht <<<

Gibt es Anzeichen dafür, dass die Grippe zurückkehren wird? Gibt es erste Fälle?

Nein, im Hochsauerlandkreis noch gar nicht. Eine Influenza ist meldepflichtig, wenn sie laborchemisch nachgewiesen ist. Das muss man wissen. Wir erfahren als Kreisgesundheitsamt erst davon, wenn dieser Nachweis erfolgt. Die Zahlen an Grippefällen, die jährlich veröffentlicht werden, machen deshalb nur einen Bruchteil der tatsächlichen Situation aus. Das Robert-Koch-Institut hat geschätzt, dass nur zehn Prozent der tatsächlichen Grippefälle auch gemeldet werden.

Wenn der Hausarzt die Diagnose Grippe stellt, dann kommt das also auch nicht automatisch bei Ihnen an?

Nur wenn es laborchemisch nachgewiesen ist oder der Schnelltest beim Hausarzt positiv ist. Ein Großteil der Diagnosestellung findet aber nicht durch den Labornachweis statt, sondern durch den Arzt.

Auch gegen Grippe gibt es eine Impfung. Es gibt eine Empfehlung dazu für alle ab 60 Jahren.
Auch gegen Grippe gibt es eine Impfung. Es gibt eine Empfehlung dazu für alle ab 60 Jahren. © dpa | Jens Kalaene

Dann bleibt also eine enorme Dunkelziffer?

Ja, die Dunkelziffer ist sehr hoch. Zu den jährlichen Grippefällen kommt nach Schätzung des Robert-Koch-Institutes hinzu, dass sich bis zu 20 Prozent der Bevölkerung infizieren. Für den HSK wären das um die 50.000 Menschen! Dazu muss aber wissen, dass mindestens ein Drittel der Grippe-Erkrankten milde Verläufe hat – das heißt, da ist vielleicht nur ein leichter Schnupfen.

Dieser Verlauf mit wenig Symptomen erinnert doch an Corona, oder?

Ja, genau. Das zweite Drittel der Grippe-Erkrankten hat keinen schweren Krankheitsverlauf – da geht es einem zwar ein paar Tage schlecht und man ist schlapp, wie man das von sich selbst kennt. Nur ein Drittel erkrankt schwerer, wenn überhaupt.

Wie gefährlich wird denn die Grippe in diesem Jahr? Lässt sich das absehen?

Nein. Da muss man die Zahlen abwarten. Man kann schauen, wie die letzte Saison auf der Südhalbkugel verlaufen ist. Da ist mir nichts Besonderes bekannt. Dort hat man die Grippewelle gerade hinter sich – wenn es sie überhaupt gegeben hat. Ein Impfstoff wird jährlich neu entwickelt. Die Entwicklung beruht auf den Untersuchungen in den einzelnen Ländern. Das wird der Weltgesundheitsorganisation WHO gemeldet, die dann einen geeigneten Impfstoff prüft. Dann wird ein Impfstoff immer ab Februar/März produziert, der dann für die nächste Saison da ist – so wie jetzt. 90 Millionen Impfdosen stehen zur Verfügung, meldet das zuständige Paul-Ehrlich-Institut.

Wie wichtig ist die Schutzimpfung im Fall der Grippe?

Es gibt eine eindeutige Empfehlung der Ständigen Impfkommission bei uns. Daran hat sich nichts geändert: Es wird geraten, alle über 60-Jährigen zu impfen und Risikogruppen – das sind die gleichen wie bei Corona mit chronischen Grunderkrankungen, mit Lungenerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen. Die Empfehlungen sind die gleichen wie bei Corona.

Im Umkehrschluss heißt das: Der gesunde 35-Jährige braucht keine Grippe-Schutzimpfung?

Der kann sich impfen lassen. Es gibt aber keine spezielle Empfehlung für ihn von der Impfkommission. Er macht aber auch sicherlich nichts falsch damit, wenn er sich impfen lässt. Bei ihm ist aber in der Regel nicht mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen. Deshalb gibt es auch keine generelle Impf-Empfehlung für alle Bevölkerungsgruppen.

Ist in der Coronazeit das Immunsystem zu wenig auf die neue Grippewelle „trainiert“ worden – ist da etwas dran?

Mir ist da nichts bekannt. Es ist doch logisch: Wenn ich Kontakte so zurückfahre, wie es geschehen ist, wenn Hygieneregeln eingehalten werden und keine Massenveranstaltungen stattfinden, dann ist es klar, dass Infektionskrankheiten verhindert werden. Wir haben in der Coronazeit das Ideale getan, um auch die Grippe zu verhindern.

>>> Virus oder Bakterien?

Wie unterscheidet der Laie Grippe und den grippalen Infekt? Dr. Peter Kleeschulte betont, dass die Diagnose Grippe nur durch den Labornachweis eines Influenza-Virus gelingt.

Grippe hat einen ganz spezifischen Krankheitsverlauf mit einer sehr kurzen Inkubationszeit von nur ein bis zwei Tagen und einem wirklich schlagartigen Beginn.

Der Leiter des Gesundheitsamtes: „Wenn Sie wirklich eine Grippe haben: Die holt Sie von den Beinen! Sie legen sich aufs Sofa, und Sie stehen erst einmal zwei, drei Tage nicht mehr auf. Der grippale Infekt kommt schleichender mit viel schwächeren Symptomen.“