Nuttlar. Laut Statistik hat die Nuttlarerin Ute Weger noch maximal fünf Jahre zu leben. Sie leidet an ALS. Doch für die Behörden ist sie nur ein „Fall“.

Angesichts ihrer erschütternden Diagnose hatte die Nuttlarerin Ute Wegener zuletzt von einem traurigen Sechser im Lotto gesprochen. „Wenn man so will, ist jetzt auch noch die Zusatzzahl hinzugekommen“, sagt sie und lächelt. Denn das Lächeln hat die 59-Jährige auch in dieser schweren Zeit nicht verlernt. Und diese Einstellung will sie sich erhalten. So lange es nur eben geht.

Es war Ende März dieses Jahres, als Mediziner des Zentrums für seltene Erkrankungen der Uniklinik Aachen nach einer langen Ärzte-Odyssee bei Ute Wegener PLS diagnostizierten - Primärer Lateralsklerose. Eine neuromuskuläre Erkrankung. Das Sprechen fällt ihr schwer. Nur mit Mühe kann sie sich mit dem Stock oder dem Rollator fortbewegen. Jede Bewegung, die sie macht, ist eine enorme Anstrengung und mit Schmerzen verbunden. Und als wenn das alles nicht schon schlimm genug wäre, für eine Frau, die stets mit beiden Beinen im Leben stand, steht inzwischen fest: Die Nuttlarerin leidet nicht an PLS, sondern an ALS, einer deutlich schlimmeren Form dieser unheilbaren Krankheit. „Laut Statistik habe ich damit eine Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren“, sagt Ute Wegener nüchtern. „Aber ich will durchhalten - und zwar so lange wie möglich bei guter Laune“, schiebt sie hinterher. Das habe sie sich fest vorgenommen. Sie werde es nicht zulassen, dass ihr diese Krankheit das Leben versaut.

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Dabei ist in ihrem Leben schon lange nichts mehr, wie es einmal war. Alle Pläne, die Ute Wegener hatte - sie sind geplatzt. Auch die, die sie sich nach der ersten Diagnose für ihren Hundesalon noch vorgenommen hatte. Ihr letze Idee war es, im Salon Menschen beizubringen, ihre Hunde selbst zu frisieren. Weil die Feinmotorik aber immer schneller nachließ, ist dieser Plan nun Geschichte. Ein paar ihrer Saloneinrichtungsgegenstände hat sie inzwischen an andere Hundesalons abgegeben. In ihrem eigenen Salon in der Nuttlarer Bachstraße hängt aktuell eine Folie vor dem Schaufenster. Dahinter wird umgebaut: Um ihre Krankheit so lange wie möglich allein zu bewältigen und zu Hause bleiben zu können, entsteht dort eine behindertengerechte Wohnung. „Betreutes Wohnen für eigentlich noch aktive, jüngere Köpfe ist schwer zu finden. Nicht nur hier im Sauerland“, weiß die Nuttlarerin. „Ich bin noch kein Fall fürs Altersheim“, ergänzt sie. Dafür liebe sie das Leben um sie herum viel zu sehr. „Meine Tiere, junge Leute, Grünzeug und meinen Garten“.

Kampf mit den Behörden

Ihre beiden Jungs wolle sie nicht mit sich und ihrer Krankheit belasten. „Die sollen erstmal ihre Ausbildung machen, was werden, in die Welt gehen und sich sicher sein können, dass ich gut aufgehoben bin.“ Wieder lächelt Ute Wegener. Dann wird sie ernst. Denn beim Gedanken an den Kampf mit Behörden und Krankenkassen fällt es ihr schwer, sich ihre gute Laune zu bewahren. Der Kampf um die Übernahme von Fahrtkosten, um die Reha, um den Pflegegrad und den Grad der Behinderung im Behindertenausweis. Jeder schiebe die Verantwortung auf den anderen. Telefonate, Papierkram, wieder Telefonate, wieder Papierkram. „Niemand fragt, wie es mir tatsächlich geht und bewertet aufgrund der tatsächlichen Einschränkungen“, klagt sie. Manchmal fühle sich das an, wie unterlassene Hilfeleistung. Mehr als einmal habe sie die Erfahrung gemacht, dass ihre Gesprächspartner sie für „blöde im Kopf“ hielten, weil ihre Sprache verwaschen ist.

Stress ist Gift

Ute Wegener spricht langsam und mit gepresster Stimme, weil Zunge und Zwerchfell zunehmend gelähmt sind. „Aber im Kopf bin ich so klar wie vor der Krankheit auch, das scheint der ein oder andere aber wohl nicht zusammenzubekommen“, sagt sie. Die 59-Jährige bemüht sich um Fassung. Nein, sie möchte sich nicht aufregen. Denn sie weiß: „Stress ist Gift“. Bei Stress würden die Symptome schlimmer. Und genau deshalb kümmert sich seit Kurzem eine Fachanwältin aus Meschede als gesetzliche Betreuerin um Wegeners Angelegenheiten und den Kampf um Hilfen.

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„Das habe ich mir so gewünscht und beantragt“, sagt die Nuttlarerin. Es sei also keineswegs so, dass man ihr eine Betreuerin aufs Auge gedrückt habe, weil sie nicht mehr Herr ihrer Sinne sei. Eher das Gegenteil sei der Fall. Gerade weil sie eben noch Herr ihrer Sinne sei, wolle sie diesen Stress so gut wie möglich von sich fern halten. Denn sie wolle die Zeit, die ihr noch bleibe, so gut es eben geht, genießen. Das gelinge mal mehr und mal weniger gut.

Kontakt vermittelt

Dabei hilft ihr seit einiger Zeit auch Rüdiger Hanemann aus Berge. Ebenso wie Ute Wegener stand auch er vor einigen Jahren noch mitten im Leben - ließ sich im Jahr 2016 als Schützenkaiser auf die Schultern heben und als Regent des Heimat-Schutz-Vereins Berge Visbeck feiern. Heute sitzt er im Rollstuhl. Diagnose: ALS. Mit ihm hat Ute Wegener sich vor einiger Zeit getroffen. Das Gesundheitsamt des Hochsauerlandkreises hatte den Kontakt vermittelt. Seitdem stehen die beiden fast täglich im Kontakt. „Das gibt uns beiden Kraft“, sagt Ute Wegener. Kraft, die sie braucht, um sich so lange wie möglich, ihr Lächeln zu bewahren.

  • In ihrer Hilflosigkeit und Ohnmacht hat sich Ute Wegener bereits mit einem Brief an NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann gewendet.
  • Sie erlebe tagtäglich, dass das Gesundheitssystem verkommen ist, zu einem Kostenvermeidungsapparat, in dem Menschen ausschließlich als Sache bzw. Kostenverursacher gesehen und behandelt werden, schreibt sie in dem Brief. Und weiter „Bei Krankenkassen und Behörden werden durch Paragrafenreiterei, mangelnde Empathie, Verantwortungsbereitschaft und Sachkenntnis aus Kranken „Fälle“,die es abzuarbeiten gilt.“
  • Das Ministerbüro hat der Nuttlarerin auch geantwortet: „Sollten Sie noch einmal in eine Lage kommen, in der Sie aufgrund Ihrer Erkrankung bzw. in Ihrer Schwerbehindertenangelegenheit Unterstützung benötigen, sprechen Sie mich ruhig an“, schreibt die Referatsleiterin Politische Koordinierung.