Meschede/Hochsauerlandkreis. CDU-Militärexperte Patrick Sensburg aus dem Hochsauerlandkreis zu Afghanistan, den Taliban, der Hilfe für Ortskräfte und Kritik an den USA.

Ganz nah dran an der Entwicklung in Afghanistan ist der heimische CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Patrick Sensburg. Der Militärexperte, gerade von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Oberst der Reserve befördert, dient im Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Das ist zuständig für die Auslandseinsätze. Gerade sind von dort aus die Rettungsflüge nach Kabul organisiert worden. Militärische Details dazu darf Sensburg nicht nennen. Politisch hat er aber klare Meinungen.

Wie empfinden Sie die Lage in Afghanistan?

Ich stehe im Kontakt mit vielen Veteranen, die in Afghanistan im Einsatz waren. Die sind unheimlich frustriert und enttäuscht, dass die Strukturen, die aufgebaut wurden, in kürzester Zeit zusammengebrochen sind. All das, wofür sie sich eingesetzt haben, steht nun wieder in Frage: Dass Schulen öffnen können, dass Frauen gleiche Rechte haben, dass alle in Krankenhäusern gehen können, dass es eine unabhängige Justiz geben soll und insbesondere natürlich der Frieden im Land an sich.

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Militärisch kein Fehlschlag, zivil schon

War es nicht vergeblich, dass die Bundeswehr in Afghanistan war?

Nein! 20 Jahre haben wir den Menschen wenigstens die Chance gegeben, etwas anderes als Krieg zu erfahren: Wir konnten einer ganzen Generation Frieden zeigen und Frieden geben.

Patrick Sensburg (CDU) ist von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Oberst der Reserve befördert worden - rechts der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Erich Pfeffer.
Patrick Sensburg (CDU) ist von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Oberst der Reserve befördert worden - rechts der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Erich Pfeffer. © Privat

Die Waffen haben vielerorts geschwiegen, in den letzten Wochen gab es deutlich weniger Anschläge. Eine ganze Generation lang haben junge Leute Schulen besucht. In Kabul gibt es eine Universitätspräsidentin! Die, die jetzt in die Opposition gehen, haben ein ganz anderes Afghanistan erfahren, und diese Erfahrungen werden hoffentlich auch die Zukunft des Landes mit prägen können. Die große Hoffnung für den Moment ist aber, dass sich auch die Taliban verändert haben.

Die Tür hatte sich in Afghanistan also ein paar Jahre geöffnet. Wird sie jetzt wieder zugeschlagen?

Das ist genau die Frage: Was wird jetzt passieren? Es ist nicht gelungen, eine Nation aufzubauen – aber das ist ein Vorwurf an die zivile Seite. Die afghanischen Soldaten waren brauchbar ausgebildet: Die haben aber gesagt, für diesen Staat, für diesen Präsidenten oder für diesen lokalen Machthaber lohnt es sich nicht, zu kämpfen. Sie haben nicht gelernt, dass sie für ihr Land kämpfen müssen. Wir haben es nicht geschafft, klare Strukturen aufzubauen – dass die Soldaten für die Demokratie, für Gleichberechtigung oder für die Bildungschancen ihrer Kinder kämpfen. Es gab zu wenige zivilen Vorgaben, was man in Afghanistan eigentlich erreichen wollte.

„Nur mit einer Ehefrau“

Jetzt wird versucht, die örtlichen Helfer noch herauszuholen. War das nicht absehbar, dass diese Frage einmal kommen würde?

Man muss sich um die Partner kümmern. Die Bundeswehr hat ihre Helfer und deren Angehörige bereits in großem Umfang herausgeholt, insgesamt 1700 Personen. Es sind noch um die 200 Personen aus dem Umfeld der ehemaligen Bundeswehr-Stützpunkte, die bislang noch nicht ausreisen konnten, die wir aber hoffentlich nun schnell herausbekommen. Eine sehr viel größere Zahl an Ortskräften hat allerdings nicht für die Bundeswehr, sondern für deutsche Firmen und Nichtregierungsorganisationen gearbeitet und auch diese Menschen müssen wir nun schnell in Sicherheit bringen und längst nicht alle leben in der Umgebung des Flughafens.

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Es gibt aber auch Menschen von Ort, die wollen gar nicht heraus. Die haben auch viel Geld bei den Koalitionstruppen verdient und sich ein neues Leben aufgebaut. Bei anderen sind noch komplizierte Fragen zu klären: Ortskräfte etwa können nach Deutschland kommen – aber nur mit einer Ehefrau. Es gibt aber Männer, die haben inzwischen mehrere Ehefrauen nach afghanischem Recht. Da müssen Lösungen gefunden werden. Es werden auch nicht alle nach Deutschland kommen können oder wollen.

In Mali in Afrika engagiert sich die Bundeswehr auch. Wenn sich die Bundeswehr dort zurückziehen würde, was passiert dann?

Ich befürchte, Ähnliches. Die Akteure sind zwar andere. Der militärische Auftrag wird von der Bundeswehr in Mali erfüllt, der ist auch in Afghanistan erfüllt worden.

Kämpfer der Taliban stehen Wache an einem Kontrollpunkt in der Nähe der US-Botschaft, der zuvor von amerikanischen Truppen besetzt war. „Demokratisch werden die Taliban nie“, sagt Patrick Sensburg.
Kämpfer der Taliban stehen Wache an einem Kontrollpunkt in der Nähe der US-Botschaft, der zuvor von amerikanischen Truppen besetzt war. „Demokratisch werden die Taliban nie“, sagt Patrick Sensburg. © dpa

Aber der Aufbau einer stabilen Zivilgesellschaft mit Demokratie findet nicht statt! Deshalb kann auch Boko Haram in Mali abwarten – mal sehen, wie lange die Europäer bleiben. Die haben jetzt gar kein Interesse an großen Gefechten mit den Europäern. Auch dort fehlen uns die zivilen Ziele: Wie groß soll zum Beispiel ein Ort sein, um eine Schule dort aufzubauen? Steht auf den Lehrplänen dann auch Demokratie und Gleichberechtigung? Wie werden lokale Strukturen aufgebaut? Wie wird eine Verwaltungsspitze gewählt? Wie findet eine Demokratieerziehung statt? Da würde ich viel deutlicher erwarten, dass die Europäer und auch wir Deutsche darauf hinwirken.

In Afghanistan sind jetzt viele Waffen auf dem Markt. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Doch, natürlich. Die Waffen kommen noch aus der Sowjet-Zeit, aus China, auch von den Amerikanern. Die Bundeswehr hat alles mitgenommen. Nicht nur, damit keine Waffen in die Hände der Afghanen fallen. Wir wollten auch sicherstellen, dass keine Bilder entstehen, wo eine deutsche Fahne geschändet wird oder Uniformen verbrannt werden. Wie sich das Land jetzt weiter entwickelt, ob es ein Rückzugsort für Terroristen wird, ist nicht abzusehen. Das muss die weltpolitische Lage zeigen. Aber es gibt ja auch den Drogenhandel: Teile der Taliban führen den mit durch. Machen sie damit weiter Geschäfte? Es hängt vieles davon ab, ob sich auch die Taliban 20 Jahre weiterentwickelt haben. Demokratisch nach unserem Verständnis werden die Taliban nie sein. Aber sie sind jetzt an der Macht und daran haben wir eine Mitschuld.

„Amerika setzt gerade das Bild: Auf die USA kann man sich nicht verlassen“

Wie bewerten Sie denn die Politik der USA?

Die Art und Weise, wie die Afghanen, aber auch wie wir Koalitionspartner im Stich gelassen wurden, lässt stark an der Partnerschaft zweifeln. Ich bin ein sehr großer Amerikafan – aber dieses Verhalten wirft kein gutes Licht auf die USA. Amerika setzt gerade das Bild: Auf die USA kann man sich nicht verlassen. Russland, mit all seinen Menschenrechtsverletzungen, setzt da umgekehrt ein anderes Bild: Wer zu Russland steht, zu dem steht auch Russland. Das ist traurig. Das andere Traurige ist: Europa hat nicht einmal eine eigene Position. Die kann ja nicht nur sein: Wir dackeln den Amerikanern hinterher! Wo ist denn unsere Position als Europäer? Wir haben jede Regierung in Afghanistan gewähren lassen und ihr Geld gegeben. Den Kurs mitgestaltet haben wir aber offensichtlich zu wenig.

Das ist auch eine Mitschuld der Bundesregierung…

Das ist die Mitschuld der Bundesregierung, aber auch der EU. Mit Blick auf weitere Einsätze muss man fragen, wie sehen denn unsere Pläne zum Beispiel für Mali aus? Militärisch bekommen wir solche Lagen in den Griff. Aber das löst die Probleme eines Landes nicht.

Oder nehmen wir das Kosovo als ganz vergessenen Konflikt. Auch da müssen wir uns überlegen, wie lange wollen wir dortbleiben, was wollen wir für konkrete Fortschritte haben? Korruption und Vetternwirtschaft machen sich breit. Strukturen, die Stabilität bringen, sind nicht da. Wenn da ein Bürgermeister im Norden wieder die Stimmung anheizen würde, gehen die alten Ressentiments wieder los zwischen den Bevölkerungsgruppen. Auch dort fehlt mir der große Bereich des Demokratieaufbaus und der Stärkung der Zivilgesellschaft. Auch in dieser Regien sollten wir uns im eigenen Interesse stärker engagieren.

>>>HINTERGRUND<<<

Zuletzt hat der Krieg in Syrien eine Flüchtlingskrise in Europa ausgelöst. Sorgen, dass könne sich wiederholen, hat Patrick Sensburg aber nicht.

Der Abgeordnete sagt: „Das sehe ich nicht. Afghanistan ist sehr weit weg. Es ist schon schwierig, innerhalb Afghanistans zu reisen. So traurig es ist, die Menschen können teilweise aus eigener Kraft gar nicht aus dem Land raus.“