Grafschaft/Bonn. Norbert Hasewinkel war Extremsportler, bis er dramatisch an Corona erkrankte. Wie er sich im Fachkrankenhaus Grafschaft zurück ins Leben kämpfte.
Es ist nur wenige Jahre her, da ist Norbert Hasewinkel bei einem seiner Extremläufe 160 Kilometer um den Mont Blanc gelaufen. 33 Stunden am Stück. Höchstleistungssport. Knapp ein Jahr ist es her, dass er im Schmallenberger Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft aufwachte, seine Beine, seinen ganzen Körper nicht mehr bewegen konnte. Lediglich zwei Finger spürte er noch. „Ansonsten lag ich nur so da“, erzählt der 62-Jährige heute. Die Corona-Erkrankung hat ihn aus dem Leben gerissen. Den Extremsportler, den internistischen Hausarzt, den Ehemann und Familienvater. Und er leidet noch heute unter den Folgen. Seine Geschichte erzählt er, während immer wieder die Stimme versagt.
Alles beginnt Ende Februar des vergangenen Jahres. Norbert Hasewinkel feiert den Geburtstag seines Vaters. Er stößt mit ihm an, genießt die unbeschwerte Zeit. Corona ist noch weit weg, noch nicht das Thema. „Ich wollte kurze Zeit später noch zu meinem Schwager“, erinnert sich Hasewinkel: „Aber da fühlte ich mich schon schlecht und unwohl. Das habe ich gelassen.“ Was mit ihm nicht stimmt, weiß er nicht. Weil es aber nicht besser wird, lässt er sich röntgen. Gemeinsam mit dem behandeln Arzt schaut er sich die Bilder an. Eine schwere Lungenentzündung. Hasewinkel muss ins Krankenhaus, wird erst auf Influenza behandelt, später dann die Feststellung: Das ist das Corona-Virus. „Ich habe überhaupt keine Luft mehr bekommen, der Zustand wurde immer schlechter“, erzählt er.
Mehr als 20 Kilogramm abgenommen
Er, der Extremsportler ohne Vorerkrankungen, der keine Medikamente genommen hat, der zigfach Ultraläufe und Marathons bewältigt hat, sich gerade auf den Iron-Man vorbereitete: „Und eigentlich war ich auch noch relativ jung. Es kam für alle überraschend, dass es mich trifft. Und dann auch noch so.“
Am 6. März wird er intubiert, also künstlich beatmet. Dann verblassen die Erinnerungen: „Ich weiß nicht mehr, was passiert ist.“ Hasewinkel wird erst von Bonn nach Köln-Merheim, dann irgendwann ins Fachkrankenhaus nach Grafschaft verlegt. Weiterhin voll intubiert: „Ich bin in Bonn eingeschlafen und in Grafschaft wieder aufgewacht.“ Eine extreme körperliche Belastung für ihn, für seine Familie eine extrem psychische: „Sie durften mich ja nicht einmal besuchen. Sie warteten immer auf die Anrufe des Intensivpersonals, wie es um mich steht. Und es gab auch Tage, da sagten die Ärzte, dass es nicht gut aussieht.“
Bange Tage für alle. Hasewinkel liegt auf der Aufwachstation im Fachkrankenhaus, wird weiterhin von Maschinen am Leben gehalten: „Das erste, was ich irgendwann wieder wahrgenommen habe, dass jemand sagte, ich komme jetzt in die Früh-Reha. Da fängt die Erinnerung in Fetzen wieder an.“ Doch er ist noch völlig desorientiert, weiß nicht, wo er ist, was passiert ist, spürt seinen Körper nicht. Er kann nicht sprechen, nicht schlucken, nicht alleine atmen. Kann sich nicht äußern, nicht bewegen.
Bei einer Größe von 1,94 Metern wurde er mit 84 Kilogramm ins Bonner Krankenhaus eingeliefert, mit 63 Kilogramm wacht er in Grafschaft wieder auf: „Muskeln und Nerven, alles war weg. Aber ich konnte es auch emotional nicht verarbeiten. Ich wusste nicht, was hier passierte.“ Teilnahmslos, hilflos, vollkommen abhängig und isoliert. Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten beginnen die Arbeit mit ihm. Erst passive Übungen, nach wenigen Tagen wird er erstmals auf der Bettkante aufgerichtet. Von vier Personen: „Ich war zu schwach, um mich zu halten. Mein Kopf ist immer wieder vorne rüber gekippt.“
Das Telefon ans Ohr gehalten, um vertraute Stimmen zu hören
Er liegt auf einem Einzelzimmer, die Tür bleibt aber immer auf. Die Hilflosigkeit und die Einsamkeit waren schwer zu ertragen, eine Kommunikation anfänglich nicht möglich, erzählt er: „Ich habe dann auf den Flur geschaut, das Geschehen beobachtet. Ich habe Leute mit Rollator gesehen und gehofft, dass ich das irgendwann auch wieder schaffe.“
Irgendwann kommen die Gefühle im rechten Arm und linken Bein zurück, später kann er erstmals wieder eine Gabel halten. Das Telefon wird ihm ans Ohr gehalten, um vertraute Stimmen zu hören. Sprechen kann er noch nicht wieder: „Ich musste sogar das Sitzen lernen.“ Nach weiteren Wochen erste Gehversuche am Rollator. Fünf Schritte, für mehr reicht die Kraft noch nicht. Doch Hasewinkel ist ein Kämpfer. Er will mehr, will trainieren, will zurück ins Leben. Irgendwann übt er auch Treppenstufen.
Für die aufopfernde Hilfe und Zuwendung des gesamten Personals ist Hasewinkel unendlich dankbar, „ohne diese wäre ich in der Zeit nicht so weit gekommen“. Ende Juli geht es von Grafschaft nach Godesberg in die Reha, Ende August in die ambulante Reha nach Hennef. Die Ansteckung lag inzwischen ein halbes Jahr zurück: „Mein größter Wunsch war, einfach wieder mit dem Hund spazieren gehen zu können.“
Über Corona-Leugner kann er nur mit dem Kopf schütteln
Nach einiger Zeit kann er sogar wieder eine kurze Runde ohne Gehhilfen mit seiner Frau um den Block drehen. Immer mehr wird ihm bewusst, welche Belastung diese Zeit auch für seine Familie bedeutete. Die aufgestellten Kerzen der Familie, Freunde und Nachbarn könnten sein Wohnviertel erhellen. In seinem Fitnesskeller trainiert er weiter, an der Sprossenwand und auf dem Fahrrad. „Ich habe mir auch schon neue Laufschuhe gekauft“, erzählt er mit einer Mischung aus Lachen und Erleichterung.
Es geht aufwärts und vorwärts: „Ich bin muskulär noch nicht auf dem alten Stand. Aber es geht weiter.“ Auch die Arbeit als Arzt hat er wieder aufgenommen, wenn auch mit reduziertem Stundenkontingent. Corona-Leugner kenne auch er, auch im Bekanntenkreis: „Ich kann dann nur mit dem Kopf schütteln, aber viele hat das, was mir passiert ist, sensibilisiert, viele waren zutiefst getroffen.“
Vielen sei erstmals bewusst geworden, was eine Corona-Erkrankung wirklich bedeuten könne, so Hasewinkel. Doch jetzt will er erstmal die Zeit mit seiner Familie und die Spaziergänge in der Natur genießen: „Irgendwann will ich auch wieder zehn Kilometer laufen, aber momentan freue ich mich einfach, wenn ich die Familie treffe und wir uns alle freuen, dass wir uns wiedersehen.“
Hintergrund
Am 12. März 2020 wurde im Kloster Grafschaft die erste beatmete Corona-Patientin auf der Intensivstation behandelt.
Seitdem wurden im Fachkrankenhaus über 220 Corona-Patienten behandelt, etwa 50 davon intensiv.
In einer ersten Studie konnten die Experten des Fachkrankenhauses feststellen, dass die Wirksamkeit von Alltags-Masken umso höher ist, je dichter die Masken sind. Einige getestete Masken hielten nur rund 35 Prozent der Partikel ab, andere fast 90 Prozent.
Zudem veröffentlichten Dr. Dominic Dellweg und Prof. Dr. Dieter Köhler in Kooperation mit Experten der Lungenklinik des Bethanien-Krankenhauses in Moers eine Studie, welche verdeutlichte, dass die nicht-invasive Beatmung von schwerkranken Corona-Patienten, wie sie in vielen Fällen in den beiden Krankenhäusern angewandt wurde, die Sterblichkeitsrate deutlich senkt.
So lag die Krankenhaussterblichkeit in den beiden Kliniken bei 7,7 Prozent. Die deutschlandweite Sterblichkeit hospitalisierter Corona-Patienten mit 22 Prozent fast dreimal so hoch.