Schmallenberg/Meschede. Im Winter sorgten seine Taten für Wirbel. Wie der Täter gefasst wurde, wie lange er in Haft muss und warum sein Auftritt vor Gericht überraschte.
Er sorgte an den Weihnachtstagen und den Folgewochen für Schlagzeilen und eine Menge Wirbel im Stadtgebiet: Der Medikamenten-Dieb von Bad Fredeburg. Am 18. Januar diesen Jahres wurde er von der Polizei auf frischer Tat ertappt, seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Und im Gefängnis wird er auch bleiben. Dr. Sebastian Siepe entschied nach langer Verhandlung am Mescheder Schöffengericht auf zwei Jahre und sechs Monate Sicherheitsverwahrung in der JVA - ohne Bewährung.
Sechs Delikte wurden dem 41-Jährigen am Schöffengericht zur Last gelegt. Dabei ist die ganze Liste der Eintragungen wesentlich länger und reicht bis in Jugendtage zurück. In der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember 2020 hebelte der Angeklagte ein Fenster der Notfallpraxis der KVWL in Bad Fredeburg auf und entwendete eine blaue Geldkassette mit drei Schlüsseln und 7,50 Euro Bargeld.
In der nächsten Nacht schlug er eine Fensterscheibe einer Arztpraxis in Bad Fredeburg ein, nahm einen OKI-Nadeldrucker im Wert von rund 600 Euro sowie etliche verschreibungspflichtige Medikamente an sich. Am 28. Dezember folgte dann der Einbruch in die Rettungswache in Bad Fredeburg, wo er sich Zugang zur Fahrzeughalle verschaffte und dort erneut Medikamente mitgehen ließ. Zwischen dem 30. Dezember und 3. Januar bracht er dann ins Bad Fredeburger Parkhotel ein, nahm unter anderem 80 Euro Bargeld und Elektrogeräte mit.
Notfallkoffer und Ampullen-Depot
Zum Verhängnis wurde ihm dann der 18. Januar. Im Internet hatte sich der Angeklagte zuvor auf illegalem Weg ein Rezept für Diazepam-Tabletten mit gefälschter ärztlicher Unterschrift bestellt, wollte dies nun in einer Schmallenberger Apotheke einreichen. Die Fälschung war gut. Allerdings nicht gut genug, sodass einer Mitarbeiterin der Betrug auffiel. Das Apotheken-Personal alarmierte die Polizei, die den Angeklagten auf frischer Tat festnehmen konnte. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft, seine Bad Fredeburger Wohnung hat er seit der Tat nicht mehr gesehen, inzwischen ist diese auch aufgelöst.
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Der Angeklagte habe zweifelsohne die Diebstähle begangen, um entweder an die Medikamente direkt oder an Einnahmequellen zur Finanzierung des Drogenkonsums zu kommen, stellte Richter Siepe fest. Auffällig und überraschend zugleich: Der „aufgeräumte und rationale“ Eindruck, den der Angeklagte vor Gericht machte. Kein Auftreten eines Kriminellen oder Drogenjunkies. „Ich war in der Zeit jenseits von Gut und Böse, ich war skrupellos und willenlos“, erklärte der Angeklagte vor Gericht: „Ich war stark auf Benzos und wieder auf Heroin.“ Er sei wie in einem Rausch gewesen, habe nur nach seinem Konsum-Bedürfnis gehandelt.
Extremes Konsumausmaß
Dabei hatte er zum Jahreswechsel 2019/20 erst noch eine von vielen Therapien hinter sich gebracht, im November war er zur Entgiftung in Marsberg. Dann stand der Job auf der Kippe - „es kam alles anders, ich bin wie in ein Loch gefallen“. Das Konsumausmaß wurde „extrem“, der Angeklagte wurde, wie er selber beschrieb, „orientierungslos, fast ferngesteuert: „Ich habe das mitgenommen, was für den Konsum brauchbar war bzw. was ich zu Drogen umsetzen konnte.“
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Inzwischen schäme er sich dafür. Für die Taten und wen er da bestohlen habe. Denn die Medikamente seien für kranke und Menschen in Not gedacht: „Ich habe ein großes Schamgefühl, aber in der Zeit bin ich wie eine Maschine losgelaufen.“ Er habe die Monate in der Untersuchungshaft nun auch genutzt, um den Kopf auf Vordermann zu bringen, macht aber vor Gericht selber klar: Ohne Therapie, ohne betreutes Wohnen geht es nicht: „Sonst verliere ich mich irgendwann wieder in den Drogen und das will ich nicht.“ Das erste Mal habe er mit 14 konsumiert, damals noch Haschisch. Irgendwann seien die Drogen härter geworden, inzwischen hat der Angeklagte knapp 20 Jahre mehr oder weniger harte Drogen konsumiert.
Schicksal noch nicht ergeben
Das da ein Wille zur Besserung sei, sei unbestritten, so Siepe. Der Angeklagte habe sich seinem Schicksal noch nicht ergeben. Was er brauche sei ein Rahmen, eine Struktur, eine Orientierungshilfe, so der Angeklagte.
Während die Staatsanwaltschaft aufgrund des gewerbsmäßigen Diebstahls und der Menge der Eintragungen sowie der schnellen Rückfallgeschwindigkeit eine Gefängnisstrafe von drei Jahren forderte, verglich Verteidiger Otto Entrup die zwei Gesichter des Angeklagten mit der Geschichte des Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Er forderte eine Strafe an der zwei-Jahres-Grenze, am Ende wurden es zwei Jahre und sechs Monate. Auch, weil sich der Angeklagte offen und selbstkritisch zeigte. Fraglos sei, dass er die Abhängigkeit in den Griff bekommen müsse, „aber da müssen wir jetzt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ins Poesiealbum schreiben“, so Siepe: „Mit dem Urteil ist der Weg in eine erneute Therapie nicht zu weit weg.“
Hintergrund
Zudem wurde am Schöffengericht bestimmt, die DNA-Daten des Angeklagten - ob durch eine Speichelprobe oder Blutabnahme - zu sichern, um bei möglichen Fällen der Zukunft einen DNA-Abgleich hinzuziehen zu können.