Meschede. Ärzte beobachteten, dass sich kaum ältere Migranten in den Impfzentren und in den Hausarztpraxen impfen lassen. Das ist die Erklärung.

Am Anfang stand eine Beobachtung der Mescheder Hausärzte, die auch das Personal im Impfzentrum bekräftigte, ohne es statistisch belegen zu können: „Ich sehe kaum Migranten beim Impfen“, erklärte Dr. Christian Schaefer, „weder in der Praxis, noch bei der Arbeit im Impfzentrum.“ Eine Beobachtung, die auch seine Mescheder Kollegen machten. Schaefer sagte, er denke dabei nicht nur an Menschen mit türkischen Wurzeln, auch Baptisten, Griechen oder Portugiesen fehlten. Erklären könne er sich das nicht.

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Ramadan

Christian Schaefer befürchtete, dass es einen Informationsmangel gibt und fragte sich, ob auch der Ramadan ein Problem sein könne. Das zumindest haben hochrangige Geistliche offiziell ausgeschlossen. Die Impfung gilt nicht als Aufnahme von Nahrung, betont der Flüchtlingsrat NRW in einer Stellungnahme. Trotzdem, so berichten Mescheder Türken, würden in der Türkei auch nachts Impfangebote gemacht.

Informations-Leck

„Vielleicht gibt es andere Infokanäle“, mutmaßte Dr. Bernd Ewert. In manchen Großfamilien seien auch schon viele erkrankt gewesen, beobachtete Dr. Barbara Jellentrup. Möglicherweise herrsche da die falsche Annahme vor, dass man sich nun nicht mehr impfen lassen müsse. Neben den Ärzten beobachtet auch der Kreis, dass Informationsangebote kaum genutzt werden. Der Hochsauerlandkreis hat seit dem 4. Januar eine mehrsprachige Impfhotline eingerichtet. Französisch, Russisch, Arabisch, Türkisch und Englisch lautet das täglich wechselnde Angebot. Necmi Keskin betreut aks ehrenamtlicher Übersetzer die türkischen Anfragen. „Ich hatte drei oder vier“, sagt er. In drei Monaten! Auch die übrigen Übersetzungsangebote würden wenig in Anspruch genommen, so der Kreis.

Kaum ältere Migranten im Sauerland

Ein Grund für die wenigen Anfragen: Es gibt gar nicht so viele ältere Migranten in der Region. Insgesamt leben im HSK rund 260.000 Menschen. Rund 41.000 Deutsche sind 70 Jahre und älter. In der gleichen Altersgruppe gibt es nur 1274 Ausländer. „Menschen mit Migrationshintergrund“, der Begriff ist weiter gefasst, sind im Schnitt etwa doppelt so viele.

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Lebensabend in Heimatländern

Gerade Türken und Portugiesen verbringen ihren Lebensabend zudem gern in den „Heimatländern“. Das bestätigen auch die Sprecher der jeweiligen Gemeinden. „Wir haben kaum Ältere, die im Moment hier sind“, erklärt Mahmut Polattimur, der Vorsitzende der Fatih-Moschee in der Jahnstraße. Er vertritt rund 320 Mitglieder. Menschen über 70 oder 80 fallen ihm spontan nicht ein. „Das Reisen ist schwierig geworden“, erklärt er. Viele Ältere seien nach dem letzten Besuch in der Türkei nicht zurückgekommen. Andere seien im Frühjahr noch in die Türkei aufgebrochen, weil sie Angst hatten mit dem erneuten Lockdown - so wie im vergangenen Jahr - im Sauerland festzusitzen. „Sie fühlen sich in der Türkei sicherer, haben auch ihren Arzt dort.“ Einige seien auch bereits in der Türkei geimpft worden.

Ähnlich sieht das auch Isilda Pinto, sie ist in der katholischen portugiesischen Gemeinde aktiv, zu der rund 500 Familien aus Meschede und dem Umkreis zählen. „Die Älteren sind überwiegend in Portugal“, sagt sie. Es sei nicht leicht gewesen, in den vergangenen Monate überhaupt zu reisen: „Die Lockdowns in Portugal und Deutschland haben sich ja quasi abgewechselt.“

Abwarten, bis man an der Reihe ist

Heval Akil nennt als Vorstandsmitglied des kurdischen Kulturvereins Mala Kurda einen weiteren Grund, warum Migranten möglicherweise bisher weniger bei den Ärzten aufgetaucht seien: „Unsere Leute sind davon überzeugt, dass in Deutschland alles gut geregelt ist. Sie warten ab, bis sie Post bekommen oder angerufen werden.“ Oftmals scheiterten sie sonst auch an Sprachprobleme. Das beobachtete auch Dr. Inez Aegenheyster: „Da fragen die Kinder dann für die Eltern, wenn sie sowieso in der Praxis sind.“

Erkrankung bereits durchgemacht

Ein Mitglied des kurdischen Kulturvereins sei bereits an Corona gestorben, berichtet Akil. Etwa ein Drittel der 120 Mitglieder, so schätzt Akil, sei bereits infiziert gewesen. Auch in der Mescheder Moschee-Gemeinde habe es einige Fälle gegeben, wie viele das waren, vermag Polattimur nicht zu schätzen. „30 Prozent ist aber deutlich zu viel.“

In Gesprächen hatte Akil zuletzt mehrmals die Falschinformation gehört, dass eine Impfung nach einer Erkrankung nicht mehr notwendig sei. Eine Vermutung, die auch die Mescheder Ärzte hatten. „Es gibt Infizierte, die denken, sie seien jetzt nicht mehr impfberechtigt“, erfuhr Barbara Jellentrup. Und sicherlich gebe es auch Ältere, so ergänzte Inez Aengenheyster, die „wie deutsche Senioren auch, zu Hause geduldig abwarten, bis die Hausärztin vorbeikommt, um sie zu impfen.“ Da gebe es sicher noch Aufklärungsbedarf.

Skepsis gegenüber Astrazeneca

Skepsis beobachtet Polattimur allerdings gegenüber dem Impfstoff von Astrazeneca. „Die meisten wollen Biontech und warten daher lieber.“ Das hatten allerdings die Mescheder Hausärzte bereits klargemacht: Über die Auswahl des Impfstoffs würden sie nicht diskutieren.