Meschede. Der Einzelhandel im Lockdown. Eine Verkäuferin aus Meschede berichtet aus ihrem Leben. Es geht um Corona, Tränen und Verzweiflung.

Fast drei Monate hatte der Einzelhandel geschlossen - und die nächsten Einschränkungen sind angekündigt. Wir haben mit einer Verkäuferin aus Meschede gesprochen, die anonym bleiben möchte. Wie hat sie sich gefühlt, als sie nicht mehr zur Arbeit kommen durfte? Das hat sie genau nachgehalten und blickt auf eine emotionale Zeit zurück. Übermannt von Gefühlen wie Zukunftsangst, Sorge und Ausgeschlossenheit hat ihr der Lockdown - wie vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Branche - sehr zugesetzt. Mit unserer Zeitung hat sie darüber gesprochen und möchte Menschen in ihrer Situation auch zeigen: Ihr seid nicht allein.

Lockdown im Weihnachtsgeschäft

„Ich musste beim Abschließen des Ladens heulen. Das hat mich zu diesem Zeitpunkt einfach sehr überrumpelt“, erklärt sie. Sie habe niemals damit gerechnet, dass der Lockdown mitten im Weihnachtsgeschäft auch den Einzelhandel treffen werde. Eine Verabschiedung von den Kollegen sei auch flach gefallen, ganz zu schweigen von den Gesprächen mit Stammkunden, die neben dem Einkauf auch oft für eine nette Unterhaltung in den Laden gekommen und der Verkäuferin ans Herz gewachsen sind.

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„Ich hab mich in den letzten Monaten häufig gefragt, ob gerade die älteren Kunden die Corona-Krise überstehen. Wenn ich zum Beispiel in der Zeitung gelesen habe, dass wieder ein 85-jähriger Mescheder gestorben ist, habe ich immer gehofft, dass es kein bekanntes Gesicht getroffen hat“, berichtet sie.

Heiligabend und Silvester hat die Verkäuferin zum ersten Mal seit Jahren komplett zu Hause verbracht. Normalerweise stand sie immer an einem der beiden Tage im Laden. Wie es selbstverständlich ist für Angestellte im Einzelhandel, sich an den Feiertagen abzuwechseln. 2020 war alles anders. Was grundsätzlich besinnlich klingt, war für die Verkäuferin das genaue Gegenteil. Genießen konnte sie die freien Feiertage ebenso wenig wie die nächsten Wochen, die sie immer wieder an ihre emotionalen Grenzen brachten.

Boden unter den Füßen weggezogen

„Du kannst doch ruhig noch liegen bleiben“, sagte ihr Mann morgens manchmal, wenn er zur Arbeit ging und sie eigentlich keinen Grund hatte, das Bett oder das Haus zu verlassen. Das war jedoch nie eine Option für die 59-Jährige. „Ich bin jeden Morgen während des Lockdowns so aufgestanden, wie ich es auch während der Arbeitszeit getan habe und ich habe mich auch dementsprechend angezogen“, sagt sie. Die Tage im Jogger zu verbringen, kam für sie nicht in Frage. Dass Menschen aus ihrem Umfeld und auch ihr Mann arbeiten durften, während sie von jetzt auf gleich ihren Beruf nicht mehr ausüben durfte, hat die Verkäuferin sehr bewegt. „Die ganze Situation hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen, ich bin immer gern arbeiten gegangen und habe mich von jetzt auf gleich wirklich ausgeschlossen gefühlt.“

Ausgeschlossen aus dem gewohnten Alltag und der arbeitenden Gesellschaft. „Es fühlt sich allein schon komisch an, wenn man einen Arzttermin macht und auf die Frage ‘Wann können Sie denn?’ plötzlich antworten muss, dass man eigentlich immer Zeit hat.“ Hauptsächlich habe sie jedoch Vorsorge-Termine vereinbart, für die sie sich während der Arbeitszeit nur ungern Zeit einräumt. Und eine Krankschreibung hatte sie in den letzten Monaten ohnehin so gut es geht vermeiden wollen: „Schließlich wollte man immer dafür bereit sein, dass es endlich wieder losgeht.“

Raus in die Natur

Zur Verzweiflung hätten sie vor allem die Tage getrieben, an denen wieder einmal über Lockdown-Lockerungen entschieden wurde. „Wenn ich wusste, dass wieder darüber gesprochen wird, wie es für uns im Einzelhandel weitergeht, habe ich mir absichtlich viel vorgenommen, bin zum Beispiel raus in die Natur gegangen, um bloß nicht den ganzen Tag davon zu hören und am Ende doch wieder enttäuscht zu sein.“ An solche Tagen habe sie sich immer wieder in Erinnerung gerufen, dass sie letztlich auf hohem Niveau jammere, besser gefühlt habe sie sich dadurch jedoch nie. „Man bekommt ganz automatisch Zukunftsängste, fragt sich, ob man den Job wohl noch bis zur Rente ausüben darf.“

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Von den negativen Gefühlen konnte sie sich erst lösen, als Anfang März spruchreif wurde, dass der Einzelhandel unter gewissen Auflagen wieder öffnen darf. Ab diesem Punkt sind Freude und Erleichterung in ihr Leben zurückgekehrt. „Ich hatte direkt wieder ein super gutes Gefühl und habe mich unheimlich gefreut, wieder arbeiten zu dürfen. Muss aber auch sagen, dass mir die Arbeitstage nach der langen Pause etwas anstrengender vorkommen. Gerade jetzt mit den zusätzlichen Aufgaben durch das Termin-Shopping. Aber da gewöhne ich mich sicher schnell wieder dran.“

Stammkundin wieder da

Und eine ihrer großen Sorgen wurde der Verkäuferin in den ersten Tagen auch gleich genommen: Eine ihrer älteren Stammkundinnen, die mit ihrem Rollator häufiger das Geschäft besucht, in dem die Verkäuferin arbeitet, ist gleich wieder vorbeigekommen und hat die letzten Monate gut überstanden.

Doch jetzt werden die Läden wieder teilweise schließen: Nur noch Click und Collect wird vorerst möglich sein. Ein weiterer schwerer Schlag.