Bad Fredeburg. Der Ärztliche Direktor der Johannesbad Fachklinik in Fredeburg spricht über die Folgen der Corona-Krise für Suchtkranke. Er wird sehr deutlich.

Im November des vergangenen Jahres sagte Dr. Dieter Geyer, Ärztlicher Direktor der Johannesbad Fachkliniken Holthauser Mühle und Fredeburg in Bad Fredeburg, dass die Corona-Pandemie ein großes Suchtrisiko sei. Heute bestätigt er: „Ja, wir haben einige Patienten, die aufgrund ihrer Rückfälligkeit wieder hier sind.“

Als Grund geben die Patienten nicht die Corona-Pandemie direkt, sondern die Gesamtumstände an, sagt Geyer und nennt ein Beispiel: Kurz nach dem Pandemie-Ausbruch in 2020 habe er einen bis dahin Drogenabhängigen nach erfolgreicher Behandlung zurück in den Alltag und ins Arbeitsleben entlassen.

Durchhaltekräfte fehlen

Doch für den gelernten Industrie-Handwerker folgte die Kurzarbeit, einsame und unbeschäftigte Stunden in den eigenen vier Wänden. Geyer: „Er kam nach wenigen Wochen zurück, sagte, dass er rückfällig geworden sei, dass er es nicht geschafft habe.“ Die Durchhaltekräfte hätten ihn verlassen, er sei instabil geworden. Ein Paradebeispiel für Folgen der Corona-Pandemie.

„Die Krise sorgt für eine Zunahme von körperlichen und psychischen Krankheiten“, sagte Geyer im November: „In der Akutphase sind die Menschen meistens relativ stabil. Merken sie aber, dass die Krise zu einem Dauerzustand wird, dann werden der Widerstand gegenüber der Situation und das Durchhaltevermögen schwächer.“

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Viele Menschen werden schwach, finden ihren Ausweg in Alkohol, Drogen oder anderen Süchten. Aber auch psychische Folgen, die aktuell noch gar nicht ermessen werden können, werden aus der Corona-Pandemie hervorgehen. Eine Hamburger Studie machte kürzlich deutlich, dass fast jedes dritte Kind während der Pandemie psychische Auffälligkeiten zeige, sagt Geyer: „Es sind die Kinder, die Jugendlichen und die Alten, die leiden.“ Die Menschengruppen, die vereinsamen, denen Kontakte fehlen, die das soziale Miteinander brauchen.

„Und es ist zu befürchten, dass diese psychischen Belastungen bleiben und mit dem Mensch wachsen“, sagt Geyer. Ähnlich einer Wunde, die eine Narbe hinterlässt, könne auch die aktuelle Pandemie schwerwiegende und langfristige psychische Folgen haben: „Manche stecken eine solche Krise einfach weg, andere aber nicht.“ Gerade die, die sowieso eine schlechte Ausgangslage hätten, prekär und unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, durch die Krise noch stärker eingeschränkt werden, sind betroffen: „Wenn eine Familie mit drei Kindern auf 40 Quadratmetern lebt, jeder zuhause ist, da sind Spannungen doch vorprogrammiert.“

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Deshalb äußert Geyer auch Kritik: „Wir sollten nicht nur stolz auf unseren Umgang mit dieser Pandemie sein.“ Es gebe zu wenig Schutz für Alte, für Kinder und für Jugendliche. Sie seien auch Verlierer dieser Pandemie. Man hätte, so Geyer, zum Beispiel von Beginn an mobile Schutzteams in Pflegeheimen einsetzen müssen, um die Alten zu schützen: „Das bisschen Bundeswehr reicht da nicht. Das Personal muss aufgestockt werden, vielleicht durch die, die momentan in Kurzarbeit sind. Um einen Corona-Test durchzuführen muss man nicht Medizin studiert haben, aber die Menschen in der Pflege sind momentan am Anschlag.“ Dabei lobt Geyer das schwedische Modell, wo das erfolgreich geklappt habe: „Hier ist viel in die Hose gegangen.“

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Auch im Angebot für Kinder und Jugendliche: „Ich will die Politik nicht angreifen, aber wir sind unkreativ.“ Es müssten Maßnahmen in der Jugendhilfe folgen, es müssen Angebote geschaffen werden: „Und dann verstehe ich nicht, wie stattdessen Fluggesellschaften mit Millionen-Beträgen gerettet werden können.“

Die Folgen der Pandemie werde man erst später sehen, es gebe große Zukunftssorgen. Nicht ausgeschlossen, dass die Menschen, die aktuell am meisten leiden, irgendwann zu Patienten werden: „Wichtig ist, dass denen, die Probleme haben, zugehört wird. Die Kinder erleben momentan die Sorgen ihrer Eltern, das hinterlässt Spuren. Die Zuversicht fehlt bei vielen.“

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Man müsse die Natur und die Pandemie als Naturkatastrophe jetzt akzeptieren: „Wir können nicht dagegen arbeiten, sondern müssen damit arbeiten.“ Wer sich gerade nur nach der Zeit vor der Pandemie sehne, der werde nicht glücklich. Es gebe keinen Schuldigen für die Pandemie, das sei klar: „Aber niemand darf momentan alleingelassen werden.“ An einen dritten Lockdown will Geyer nicht denken: „Dann geht es auf die soziale Ebene, dann sind die Leute auf der Straße.“

  • In den Fachkliniken Fredeburg und Holthauser Mühle gebe es aktuell keine Corona-Fälle, so Geyer. Weder bei Mitarbeitern, noch bei Patienten. „Das strenge und komplizierte Sicherheitssystem funktioniert.“
  • So können Patienten seit Jahresbeginn sogar wieder Besuch empfangen: „Zur medizinischen Reha gehört auch die menschliche Teilnahmen. Es sollte sich dabei aber um wichtige und persönliche Beziehungen handeln.“
  • Auch eine Eltern-Kind-Betreuung (U6) sei wieder möglich. Grund dafür sei die gute Möglichkeit von Testungen.
  • Gruppentherapien können aktuell stattfinden, dafür werden extra Container angeschafft.
  • Allerdings werden die Gruppen untereinander strikt getrennt.