Meschede/Hochsauerlandkreis. Ulrike Mikitta ist Hygienekontrolleurin beim Hochsauerlandkreis in Meschede. Sie verfolgt Corona-Kontakte zurück. Was sie dabei erlebt.
Bis zu 100 Menschen, darunter auch Soldaten der Bundeswehr, beschäftigen sich inzwischen beim Kreisgesundheitsamt in Meschede mit der Nachverfolgung von Corona-Kontakten. Ulrike Mikitta aus Andreasberg, Hygienekontrolleurin beim Hochsauerlandkreis, macht das schon seit Beginn der Krise. Im Interview schildert sie, wie diese Arbeit praktisch läuft. Sie sagt: „Uns ist noch kein Fall durchgegangen!“
Wann ist man eine Kontaktperson?
Wenn man mit einem positiv Getesteten einen Kontakt hat, der länger als 15 Minuten andauert und der Abstand weniger als 1,50 Meter beträgt – oder wenn man mit ihm in einem Raum länger als 30 Minuten war. Natürlich sind auch alle Kontaktpersonen, die mit dem positiv Getesteten in einer häuslichen Gemeinschaft leben – da ist ja kein Abstand zu wahren.
Wie ermitteln Sie denn?
Wir bekommen die Laborbefunde mit den positiven Befunden zugesandt. Dann wird dieser positive Getestete von uns angerufen. Es werden bestimmte Dinge abgefragt, zum Beispiel der Krankheitsbeginn, ob er weiß, dass er Kontakt zu einem positiven Fall hatte, ob er aus dem Ausland zurückgekehrt ist, ob er im Krankenhaus war. Er muss uns seine familiären Kontakte mitteilen und wir benötigen die Kontakte, zwei Tage vor dem Symptombeginn. Oder: Wenn er keine Symptome hat, seine Kontakte zwei Tage vor dem Abstrich.
Erinnern sich die Leute denn daran?
Inzwischen ja, weil die Leute schnell von ihrem Arzt informiert werden und sich schon Gedanken machen können. Am Anfang im März war es so, dass ich gesagt habe, ich rufe in einer halben Stunde noch einmal deswegen an, weil die Angerufenen nur am Weinen waren. Wenn es viele Kontakte sind, schicken wir eine Liste zu und bitten, in Ruhe zu überlegen.
Erfolgt eine Überwachung, ob sich eine Kontaktperson tatsächlich an die Quarantäne hält?
Wir hoffen natürlich auf die Vernunft des Bürgers. Wenn wir Mitteilung bekommen, dass sich jemand nicht daran hält, wird das Ordnungsamt informiert. Oder wir informieren direkt das Ordnungsamt, wenn wir das Gefühl haben, da will einer aber nicht: Wenn ich am Telefon zum Beispiel die Quarantäne anordne und der Angerufene sagt, „Sie haben mir nichts zu sagen!“ Oder wenn ich sage, dass es Strafen gibt, wenn man sich nicht an die Quarantäne hält, und der Angerufene sagt, „Die zahle ich aus der Portokasse“! Dann klingeln die Alarmglocken. Dann wird das Ordnungsamt verständigt und das kontrolliert auch. Wir haben auch manchmal Nachfragen: Wenn ich jemanden in Quarantäne nicht erreiche, insbesondere nicht auf dem Festnetz, dann bohren wir schon nach.
Wenn ich auf meinem Display die Nummer der Kreisverwaltung sehe: Kann ich mich nicht vor einer Quarantäne drücken, indem ich einfach nicht ans Telefon gehe?
Wenn wir jemanden telefonisch nicht erreichen oder wenn wir keine Telefonnummer haben, dann kommt das örtliche Ordnungsamt wieder ins Spiel: Die gehen in Vollschutz dahin und sagen, man möge doch bitte ans Telefon gehen oder zurückrufen. Wir haben es bisher immer geschafft, jeden positiven Fall zu ermitteln.
Wir finden jeden! Ein Hygienekontrolleur ist immer auch ein bisschen Detektiv. Ich finde beim „Tatort“ im Fernsehen auch immer den Täter – und hier finde ich immer den Indexfall, also die Person, die positiv getestet wurde. Erreichen wir eine Kontaktperson zwei-, dreimal nicht telefonisch, dann erhält sie schriftlich die Quarantäne-Anordnung – und spätestens dann ruft sie uns auch an.
Kann man Ihnen irgendwie entgehen?
(lacht) Nein! Wir haben Zugriff auf das Meldeportal und versuchen alles, um den Fall zu ermitteln. Uns ist noch kein Fall durchgegangen. Unsere Ausbildung als Hygienekontrolleure ist darauf ausgelegt: Man muss mit allem Einsatz versuchen, Infektionsketten zu unterbrechen. Sonst bekommen wir es doch nie in den Griff.
Was bekommt man am Telefon zu hören? Wie haben die Leute am Anfang reagiert?
Es gab alle Variationen. Anfangs hieß es oft: „Das kann mir doch nicht passieren!“ oder „Warum soll ich jetzt positiv sein?“ Viele waren nur geschockt und haben geweint – besonders, wenn sie in sensiblen Bereichen arbeiten oder ältere Angehörige haben. Es gab auch welche, die sagten: „Sie lügen! Das stimmt nicht!“ Und inzwischen? Der Ton ist rauer geworden.
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Im März, April und Mai waren noch alle letzten Endes empfänglich für unsere Anordnungen. Jetzt möchten das viele nicht akzeptieren. Da wird gesagt, der Test sei falsch positiv, dass ich den Namen verwechseln würde, dass das Gesundheitsamt einem nichts zu sagen habe. Viele denken, sie kämen aus der Quarantäne heraus, wenn sie einen negativen Test haben. Sie verstehen nicht, dass die Inkubationszeit, also zwischen Aufnahme des Erregers und Ausbruch einer Erkrankung, 14 Tage beträgt – erst danach kann man einen negativen Test machen. Es kann immer noch passieren, dass jemand am 13. Tag positiv getestet wird. Deshalb muss er auch 14 Tage in Quarantäne bleiben.
Was wollen die Menschen am Telefon wissen, wenn Sie anrufen? Was ist die erste Frage an Sie?
Ob sie ihr Geld weitergezahlt bekommen! Da können wir beruhigen: Wenn jemand per Gesetz unter Quarantäne gestellt wird, dann muss jemand dafür bezahlen. Im Moment übernimmt das Land die Gehaltskosten. Dafür zuständig ist der Landschaftsverband in Münster. Man legt dem LWL unsere Quarantänebescheinigung vor und stellt seine Ansprüche. Das betrifft auch die, die auf 450-Euro-Basis angemeldet sind. Und es betrifft auch die Selbstständigen – aber hier nur die Person, nicht den Betrieb. Die Kontaktpersonen, die in Quarantäne kommen, fragen nach, was mit ihrer Familie sei: Die kann sich frei bewegen, solange die Kontaktperson nicht positiv getestet wird.
Ans Geld denken offenbar viele. Fürchtet sich niemand von den positiv Getesteten, womöglich sterben zu müssen?
Ja, konkret hörte ich das von einer Ärztin, die mich mehrmals angerufen hat. Es gibt aber viele, die sich Vorwürfe machen, weil sie noch bei ihren Eltern oder Großeltern waren. Da sagen wir dann auch, dass man sich bitte keine Vorwürfe machen darf: Es gibt einen asymptomatischen Verlauf – oder man hat schlicht gar keine Symptome.
Was ist das größte Problem bei der Nachverfolgung? Ist es die schiere Menge?
Einmal die Menge, dann der Zeitaufwand. Für den positiv Getesteten brauchen sie mindestens eine halbe Stunde, um ihm alles zu erklären. Dann bekommen wir die Kontaktpersonen – das dauert auch 15, 20 Minuten pro Person. Bis vor zwei Wochen konnte man uns auch anrufen. Jetzt mussten wir die Bremse ziehen: Es wurde zu viel. Das geht jetzt über die Hotline. Einrichtungen und Praxen wissen, dass sie uns eine Mail schicken können, dann rufen wir sofort zurück. Das funktioniert. Es gab auch Anfragen, wo wir schon fünfmal etwas erklärt haben – und es jetzt zum sechsten Mal erklären sollten. Oder den Anruf: „Ich habe Zahnschmerzen. Ist das Corona?“ Da müssen wir die Reißleine ziehen. Wir müssen schließlich unsere Fälle abarbeiten. Momentan gibt es mehr als 1000 Anrufe in der Hotline – pro Tag! Darum kümmern sich jetzt rund 25 Leute. Alle wichtigen Fragen stellen sie zu uns durch.
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Die Corona-Hotline des Hochsauerlandkreises ist erreichbar unter 0291 / 942202 .
Sprechzeiten: Montags bis donnerstags 8 bis 15.30 Uhr, freitags 8 bis 13 Uhr, samstags und sonntags von 9 bis 13 Uhr.
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Diese Hotline ist ausdrücklich nur für gesundheitliche Fragen im Zusammenhang mit Corona eingerichtet.
Für Fragen zu den Regelungen der Corona-Schutzverordnung sind die Städte und Gemeinden im Hochsauerlandkreis zuständig - also zum Beispiel für Veranstaltungen, den Schulbesuch und das Verhalten im öffentlichen Raum.