Calle. Corona hat den Gänsen der Grewen-Mühle in Calle beinahe ein längeres Leben beschert. Wie sie aufwachsen und warum sie doch dran glauben müssen.
Das Leben einer Martinsgans dauert für gewöhnlich genau einen Sommer lang. Anfang November wird den Tieren mit dem St.-Martin-Lied im wörtlichsten Sinne, Jahr für Jahr, das Lied vom Tod gespielt. Doch was passiert bis dahin und was, wenn die Restaurants im Lockdown stecken, wenn Gänsegerichte Hochsaison haben? Mit dieser Zeitung hat Stefan Vollmer vom Landhof Grewen-Mühle über das Leben und Sterben seiner Gänse gesprochen.
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„Wenn ich die Gänse im November zum Schlachten fahre und sie vom Anhänger laufen, ist das kein schönes Gefühl“, sagt Stefan Vollmer mit Blick auf seine Gänse, die am kühlen Herbstmorgen ihre Runden auf dem Mühlenteich drehen. Dass er mit den gefiederten Gefährten nicht nur ein rein berufliches Verhältnis pflegt, hört man gleich raus, wenn er über seine drei Langzeit-Bewohner berichtet.
„Drei Gänse habe ich als Ei gesammelt und die leben nun seit 15 Jahren bei uns. Die erkenne ich immer heraus und sie reagieren auf meine Stimme.“ Wenn wie jedes Jahr im Frühjahr um die 20 Küken zur Aufzucht einziehen, übernehmen die alten Hasen, die im Brutgerät selbst von der Familie Vollmer ausgebrütet wurden, die Erziehung. „Das ist sehr praktisch, die zeigen den Küken dann die Laufwege zu den Wiesen“, erklärt Vollmer.
Keine reine geschäftliche Beziehung
Daran, dass die Zieh-Eltern jeden Herbst ihre Pflegekinder wieder verlieren, haben sie sich längst gewöhnt. „Grundsätzlich trauern Gänse aber schon. Und sie sind monogam. Deshalb haben wir auch drei ältere Tiere. Zwei Gänse und einen Ganter. Ich hoffe, dass im Fall der Fälle nicht direkt einer allein zurückbleiben muss.“
Bis die Gänse in einem Geflügel-Schlachtbetrieb bei Soest geschlachtet werden, leben sie etwa von April bis November auf dem großzügigen Teich und auf den Wiesen vom Landhof Grewen-Mühle. Gefressen wird ausschließlich das heimische Gras, sind Gänse doch reine Vegetarier. Relativ biestige Vegetarier, die sich gerne mal streiten und zumindest so tun, als wären sie brandgefährliche Tiere: „Die können auch mal kiebig werden und laut schreien, wenn jemand auf den Hof kommt. Angreifen würden sie aber nicht“, erzählt Vollmer von seinen Gänsen, die in Calle des Öfteren mal zur Verkehrsberuhigung beitragen würden, wenn sie auf Streifzug sind.
Am Abend, wenn es dunkel wird, geht es aber zurück in den sicheren Stall. Zwar haben Fuchs und Mader die Gänse der Grewen-Mühle bislang verschont, wenn diese aber erst in einen Blutrausch gerieten, würde am Morgen höchstwahrscheinlich kein Tier mehr am Leben sein, fürchtet Vollmer. So hegt und pflegt er sie den Sommer über liebevoll, um den Gästen im November die eigens aufgezogenen Gänse auf der Speisenkarte anbieten zu können. „Das ist schon eine Menge Arbeit, schließlich müssen nicht nur die Gänse, sondern auch die Wiesen gut gepflegt werden.“
Lockdown zur Gänse-Hochsaison
Dass es ausgerechnet in der Gänse-Hochsaison zu einem zweiten Lockdown gekommen ist, stellt den Gastronom nun durchaus vor große Probleme. „Die Wiesen bieten zu dieser Jahreszeit kaum mehr Futter und wenn man jetzt über mehrere Wochen zufüttern würde, werden die Gänse eigentlich zu fett. Wenn ich sie jetzt schlachten lassen würde, sollten sie dann auch zeitnah frisch zubereitet werden. Einfrieren ist da die schlechtere Option.“
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Einige Stammgäste haben bereits angefragt, ob er die Martinsgänse vielleicht zum Abholen anbieten würde. Bereits im ersten Lockdown hatte der Landhof Grewen-Mühle einen Außer-Haus-Service angeboten,der vor allem um Ostern und Muttertag sehr gut angenommen wurde. „Gänsegerichte zur Abholung sind aber nicht ganz so einfach. Die Gans soll ja eine knusprige Haut behalten und auch die Beilagen, wie Rotkohl, Bratapfel und Co. sind doch sehr umfangreich und schwierig zu verpacken, wenn sie heiß Zuhause ankommen sollen.“
Wenn Anfang Dezember die Restaurants wieder öffnen dürfen, könnte der Lockdown für die Gäste vom Landhof Grewen-Mühle aber zumindest einen kleinen Vorteil gehabt haben: Während zu dieser Zeit die selbst aufgezogenen Gänse von Stefan Vollmer meist schon ausverkauft sind, ist es in diesem Jahr wahrscheinlicher, noch in den Genuss zu kommen. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann ab 14. November portionierte Gänse zum Abholen vorbestellen.